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Diary of an Unpublished Author 5 (Kritische Ausgabe)

Heute nacht hatte ich einen echt dystopischen Traum. Ich wurde mit einer Menge Leute in eine jugendherbergsähnliche Einrichtung untergebracht, mit Duschen wie es sie in meiner Kindheit an der Werner-von-Siemens-Schule gab. In meinem Zimmer waren die Betten in zwei Teile geteilt und jeweils zwei von uns mussten sich eine Decke teilen. Ich war ausgerechnet mit ein paar Rockern – die stark an Böhse-Onkelz-Fan gemahnten – in einem Zimmer untergebracht und es schien ausgemacht, dass zwischen uns keine Sympathien erblühen würden. Trotzdem entschied ich mich fürs Erste für Freundlichkeit.

Der Sinn der Unterbringung war eine soziale Simulation, etwas das im Traum den penetranten und wenig originellen Namen »1984« trug. Jedem von uns wurde eine bestimmte Rolle zugewiesen und unserem Zimmer wurde die Rolle des Polizisten zugeordnet.


Ich erinnere mich noch, das es ärmliche Bürger und höhere Töchter in Baumwoll-Spitzenunterwäsche gab. Frauen die aussahen wie Mercedes Bunz und die plötzlich auf die Strasse springen und mit den Bürgern verfahren durften wie sie wollten. Manche küssten junge Männer, die ihnen gefielen, andere beleidigten grundlos ärmlich aussehende Passanten. Ich als Polizist durfte nicht eingreifen. Unsere Aufgabe war lediglich andere Polizisten zu grüßen. Sie beim Namen zu nennen, wenn wir sie kannten und ansonsten »Guten Tag, Herr Polizist« sagen. Die Mißachtung dieser Regel, so nahm man allgemein an, wurde unter Strafe gestellt. Ich erinnere mich noch, dass ich ein wenig froh darüber war ein Polizist zu sein, weil ich mir davon eine kaserenähnliche Kameradschaft mit mir und den Rockern versprach. Trotzdem fühlte ich mich in der sozialen Simulation – in der man immer und immer wieder einen Straßenzug rauf und runter promenieren musste – nicht wohl. Es tummelte sich allerlei auf der Straße, aber außer das es restriktive Regeln für jede Gruppe gab (die armen Bürger wichen mir eher aus und schienen Angst vor mir zu haben) erinnere ich mich nicht an viel. Die Willkür mit der die höheren Töchter verfuhren gefiel mir nicht, aber ich durfte von Amts wegen nicht eingreifen. Nach einiger Zeit versuchte ich einen Widerstand zu organisieren.

(Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich in der Binnenwelt des Traumes ganz alltägliche Probleme wie Körperhygiene, Notdurft und die Organisation meines Hab und Guts hatte).

Wie die Widerstandsbewegung genau zustande kam, weiß ich nicht mehr, jedenfalls mussten wir maximal klandestin operieren, da überall Kameras hingen und wir Spitzel vermuteten. Als bewaffneter Polizist kam mir automatisch die Rolle eines Gruppenführers zu. Nach und nach sammelten sich viele Widerständige zu kleinen Untergruppen und es wurde von Ad hoc-Versammlungen in der ganzen Stadt berichtet. Wir zogen von Straße zu Straße, vorbei an verschlossene, anonymen Türen (Sevilla und Córdoba lassen grüssen) und wagten nicht die Bürger herauszuklingeln. Jemand sagte es würde zu lange dauern sie von unsere Sache zu überzeugen. Uns war schnell klar, dass unser Kampf vergeblich sein würde, aber wir wollten dem Regime maximalen Schaden zufügen. Jemand hatte eine Art Einmal-Haubitze aus Schrottteilen errichtet, hinter der es orangerot glühte. Ein junger Mann war Gefechtsstandsleiter. Es war klar, dass wir den nicht näher beschriebenen Angreifer (einen Roboter?) nur einmal treffen würden und der Gefechtsstand danach sofort zerstört werden würde. Ich rannte hin und her, versuchte Bodentruppen zu organisieren und redete mir ein, dass wir vielleicht doch (das Glück der Tapferen war auf unserer Seite) eine Chance gegen die Übermacht des Regimes haben würden. Dann wachte ich auf.

Ich dachte eine Weile über den Traum nach und wenn es eine interessante Botschaft gab, die ich mit ins Wachbewusstein nehmen konnte, dann ist es die: Wir müssen die Rollen nicht spielen die uns von den Autoritäten zugewiesen werden. Wir tun es aber trotzdem, aus Angst vor Strafe und sei diese nur, dass man von staatlicher Willkür anhängig wird.

Parallele zu meinem Leben: Wer nicht ökonomisch sinnvoll – im Sinne des Kapitalvermehrung oder wenigstens -bewahrung – arbeitet, der muss sich der Willkür des Arbeitsamts unterwerfen. Eine selbstorganisierte künstlerische oder karitative Tätigkeit muss auch – mindestens unterstützt durch freiwillige Spender oder staatliche Mittel – wirtschaftlich sein. Keiner kann sich dieser Maxime entziehen. Ist das sinnvoll? Wäre es denkbar, dass die Menschen kollektiv dagegen angehen und entdecken, dass das Leben mehr für uns bereithält als Dienst nach Vorschrift? Wäre ein Zusammenschluss von mutigen Leuten wie im Traum denkbar? Wogegen kämpfen wir?

Die Lösung im Traum bestand ja eben nicht aus Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Vollstrecker, sondern darin, dass die Menschen die Regeln erkennen, nach denen sie belohnt und bestraft werden. Natürlich war das System komplex: Die höheren Töchter hätten nichts von einer sozialen Gleichheit, sie würden ihre Privilegien verlieren. Wahrscheinlich waren wir Beamte dazu da sie auf ihren Geheiß hin zu beschützen beziehungsweise Übergriffe gegen sie zu vergelten. Und so spielte ich meine Rolle im Traumsystem, in dem verzweifelten Versuch mein Leben und meine sozialen Beziehungen im »normalen Leben« – also dem in der Jugendherberge und den Schlafsälen – kommod einzurichten.

»Most of the memorable ones (stories) have humour, pain or joy (sometimes all three). If every story were simply facts stated, one after another, most of us wouldn’t listen or remember any of it.«

The common elements of good storytelling

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