Artikel
0 Kommentare

Diary of an Unpublished Author 8 (Kritische Ausgabe)

Immer noch erkältet. Mein Kopf dröhnt wie eine gute Drone-Platte. Trotzdem befreit mich das selbstverständlich nicht von der Verantwortung ein paar Zeilen zu schreiben. Ich möchte ein paar Notizen hier abspeichern, die ich mir aus dem Buch »Darwin im Reich der Maschinen« von George B. Dyson gemacht habe. Sie werden wichtig sein für die Binnenwelt von »Das Turing Continuum«.

»Es befindet sich gewissermaßen eine spiralförmig gewundene Kette von Ideen im Respositorium des Gehirns, deren Anfang am weitesten entfernt ist vom Zentrum, wo die Ideen neu enstehen, dem Sitz der Seele, der immer den gegenwärtigen Moment bildet, und je mehr (Schichten) dieser Idee zwischen der gegenwärtigen Empfindung, dem gegenwärtigen Gedanken im Zentrum und einem anderen liegt, desto stärker wird die Seele den zeitlichen Abstand zwischen ihnen wahrnehmen.«

Robert Hook (1635-1703)

»’Und die Elektrizität, die dämonische, die engelgleiche, gewaltige physische Kraft, die alles durchdringende Intelligenz!‘, rief Clifford. ‚Ist das auch ein Schwindel? Ist es Tatsache – oder habe ich es geträumt -, daß die Welt der Materie vermittels der Elektrizität zu einem großen Nervensystem geworden ist, das auf Tausende von Meilen hin in einer atemberaubenden Sekunde alles in Schwingungen versetzt? Wahrlich, die Erdkugel ist ein einziger riesiger Kopf, ein Hirn, Instinkt gepaart mit Intelligenz. Oder sagen wir lieber, daß sie Gedanke ist, ganz Gedanke, nicht mehr Stoff, wofür wir sie hielten.’«

Nathaniel Hawthorne (1851) »Das Haus der sieben Giebel«

Gerade den letzte Satz finde ich sehr inspirierend. Zwar drückt er einen allgemein bekannten Gedanken aus, den unter anderem auch Frank Schätzing in seinem »Schwarm« beschreibt, aber eben weniger trivial als dieser Gedanke gemeinhin ausgesprochen wird. Die Erdkugel ist Gedanke, ganz Gedanke, nicht mehr Stoff. Ja, eine faszinierende Idee, die den ontologischen Realismus in Frage stellt (einen Begriff den ich gestern gelernt habe) und die Welt als Traum beschreibt, der sich selber träumt. Ist es das was Paul Madorn und Alisa Garret erzeugen?
Aber halt: Es gibt einen ontologischen Vorgänger des Gedankens: die Elektrizität und all die sie vermittelnden und emittierenden Apparate. Ok, das alles ist zu einem System geworden, dass auf einer höheren Beschreibungsebene existiert.

Von einem der Erde gleichwertigen Betrachter (hinsichtlich Größe und potentieller Intelligenz) erscheint das elektrische System als Neuronen, die chaotisch feuern, weil die Struktur zu klein ist um sie zu erkennen.

Doch wenn Hawthorne sagt, dass die Erde ein Gedanke ist, dann wechselt er gleich zweimal die Beschreibungsebene. Nicht nur sagt er, dass die Erde eine weitere Ebene höher (aus der Sicht einer Galaxis beispielweise) ein Neuron in einem größeren System sein könnte (was immerhin ontologischen Realismus impliziert) sondern er macht auch einen Kategoriensprung von der Struktur zur Sequenz: Der Gedanke ist das Ergebnis der Netzwerktätigkeit im Gehirn. Die Erde wäre dann das Ergebnis der Netzwerktätigkeit im Universum. Aber wo manifestiert sie sich dann physisch? Gedanken werden intra- und intersubjektiv vermittelt und stellen ein Kommunikationsprotokoll dar. Wenn die Erde ein Netzwerkknoten ist, kann sie nicht gleichzeitig ein Gedanke sein, genausowenig wie ein Neuron ein Gedanke sein kann. Was also will uns Hawthorne in dieser Passage sagen? Dass die Erde der Gedanke ist, den das Ökosystem des Planeten hervorgebracht hat? Aber dann sind der Planet und die Erde nicht identisch. Ich denke es handelt sich um ein bewusstes Paradoxon um auf das hinzuweisen was Dyson früher im Buch geschrieben hat:

Dass die beiden Kategorien: neuronales Netzwerk und Gedanken sich nicht trennen lassen, dass wir mithin unser Gehirn sind. Die elektrische Struktur in unserem Gehirn ist unsere Gedanken.

Schwierig vorzustellen, aber wiederrum auch irgendwie die Grundlage für mein Buch »Quantum Suicide« … Wo gehen die Gedanken hin, wenn die elektrische Struktur erlischt? Wozu ist ein so komplexes Wesen wie ICH erzeugt worden, wenn es am Ende wieder verschwindet? Sind wir wirklich nur die Vorstufe eine größeren und dauerhaften Intelligenz? Eines Bewusstseins, dass das Universum besser wahrnehmen kann als wir? Das ist doch auch die Frage von »Das Turing Continuum«, oder?

Dysons neues Buch heißt übrigens so ähnlich: »Turings Kathedrale« … »Darwin im Reich der Maschinen« gibt es derzeit nur gebraucht für ca. 50 Euro.

dysonturing

»Turings Kathedrale: Die Ursprünge des digitalen Zeitalters«

My Tiny Daily Networking
waitbutwhy.com

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.