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arte, je vous en prie! – Weg mit dem Vollprogramm!

Dieser Beitrag ist eine Polemik gegen das Vollprogramm von arte, die eigentlich den oder die Falschen trifft. arte ist ein kulturelles Highlight in der deutsch-französischen Fernsehlandschaft, ein vorbildlicher Sendeplatz für das Grand Format im Dokumentarfilm, Vorreiter im Bereich interaktive Medien (arte Future, Creative und Info), Sendeplatz für anspruchsvollere Serien, Spielfilme und sogar Kurzfilme und vieles mehr.

Der Grund warum ich trotzdem deutliche Worte finde, ist der, das ich bei arte noch Hoffnung habe. Hoffnung das es in zehn Jahren noch ein Leuchtturm und Vorbild in Europa geben wird für ein finanzstarkes, demokratisches, kulturell vielfältiges und intellektuell anspruchsvolles audiovisuelles Programmforum.


Natürlich bin ich biased. Ich bin um die Vierzig. Ich bin ein intellektueller Snob, ein Medien-Heini, zeitweise ein sogenannter Kreativer, zeitweise Ingenieur. Ich kenne die Strukturen der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender und bin seit ein paar Jahren im Feld Dokumentarfilm und Transmedia unterwegs. Aber ich gehöre somit auch irgendwie zur idealen Zielgruppe von arte oder werde bald dort hineinwachsen.

Zwei arte-Programmverantwortliche selbst haben mich überhaupt zum Nachdenken gebracht: Sie haben auf verschiedenen Foren des öfteren gesagt, dass arte vermutlich mehr facebook-Fans als Zuschauer habe, weil es schick und angesagt – wenn nicht gar hip – sei, arte gut zu finden. In my humble opinion (imho) haben sie völlig recht und im Folgenden will ich ein paar Gründe nennen, warum das (auch imho) so ist.

Das Vollprogramm:
arte hat definitive Programmhighlights. Sendeplätze und Formate die es so anderswo so nicht (oder nur verwässert) gibt: phi, Tracks, Mit offenen Karten, Karambolage, Durch die Nacht mit …, die Dokumentarfilmreihe Grand Format und die diversen Sendeplätze für court métrage, klassische Musik und Theaterinszenierungen (eher selten). Selbst bei pseudogehaltvollen TV-Dramen wie z.B. »Der Turm« möchte ich mal ein Auge zudrücken, obwohl so etwas bei ARD und ZDF besser aufgehoben wäre.

Dann gibt es aber auch maximal willkürliches, leicht an-kulturalisiertes Durchschnittsfutter. Eine zufällig ausgewählte Programmwoche: Am Reißbrett produzierte Doku-Serien unterschiedlicher Couleur (Europas hoher Norden, Royal Dinner, Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener, Brasiliens Küsten, Die neuen Paradiese, Im Bann der Pferde, Reisen für Genießer, Xenius, Flüsse der Welt), billig angekaufte »Kultserien« und »Kultfilme« (French Cancan, Laurel & Hardy, Ein Mann wird gejagt, Charles Dickens Little Dorrit, El Cid, Eselshaut, Lawrence von Arabien).

Unnötig zu sagen, dass die genannten Filme und Serien für sich genommen durchaus gut, wenn nicht brilliant sind. Aber warum müssen diese im öffentlich-rechtlichen Fernsehen laufen um damit das Vollprogramm zu stopfen? Solche Filme gibt es überall zu sehen, sie werden auf den Rummeltischen der Elektro-Großhändler verschleudert und ohnehin bei irgendeinem Privatsender rauf- und runtergespielt.

So ein Programm verschafft einem Kultursender weder Profil noch dauerhafte Akzeptanz in der nachrückenden Zielgruppe. Es verstärkt eher den Eindruck, den die oben zitierten Aussagen erwecken: artes Image ist wesentlich besser als sein Programm.

Mir leuchtet es nicht ein, wieso man als Sender mit dem Anspruch von arte auch nur einen Gebühreneuro für das Stopfen von Vollprogrammlöchern verwenden sollte, nur um die 24 Stunden irgendwie zu füllen.

Auf der letztjährigen IDFA habe ich im Forum und bei einer Pitching-Veranstaltung mit Kate Townsend (BBC), Cynthia Kane (Al Jazeera America) and Daniel Cross (EyeSteelFilm) erlebt, welche hohen Ansprüche an junge Doku-RegisseurInnen gestellt werden und wie schnell ein Filmprojekt jede Hoffnung auf Finanzierung verliert, weil es nicht den zu Recht hohen dramaturgischen und ästhetischen Ansprüchen der commissioning editors genügt.

Die Frage ist nur: Woher kommt dann das maue Fließbandfutter mit dem arte seine Vollprogramm-Zuschauer konstant im Halbschlaf hält um die fragwürdige Quote auf Vollprogramm-Mindestniveau zu halten???

Der erfolgreiche Transmedia-Producer Nuno Bernardo meinte anlässlich des DOK Leipzig 2014 die fehlenden Programmverbreitungswege seinen nicht das Problem von arte – man müsse also die Zuschauer nicht in bestimmten Medien abholen – sondern die ungenügende Relevanz der Inhalte. Wenn du relevante Inhalte produzierst, so sagte er sinngemäß, dann findet dich dein Publikum auch. Der Erfolg von youTube-Stars, VICE und seiner eigenen Firma beActive, geben ihm Recht – auch wenn ich mit Bernardo sicher nicht in der Frage übereinstimme was relevante Inhalte sind …

Was tun?
Oft wird lamentiert, dass die deutsche Film- und Serienlandschaft für den internationalen Markt so uninteressant sei. Bis auf »Lola rennt«, »Goodbye Lenin« und »Das Leben der Anderen« kennt man im Ausland ja kaum deutsche Filme (und zwei davon leben u.a. von der historischen Sondersituation Deutschlands). Ich sage: Das liegt auch daran, dass interessante, junge und schwierige Autoren keine Möglichkeiten haben sich zu entwickeln (vgl. auch hier und hier). Gegen die 2.500 Freelancer von VICE steht die Redaktion Das kleine Fernsehspiel und eine RBB-Insel für Kurzfilme der HFF Potsdam (jetzt mal polemisch gesprochen).

Das muss sich dringend ändern. Ich halte es für die Pflicht eines Senders der den deutsch-französischen Kulturaustausch fördern soll (und den Namen arte trägt) die Produktion von kantigen, politischen, ästhetisch-anspruchsvollen, dramaturgisch-experimentellen und unformatierten Stoffen als oberste Priorität anzusehen.

Dies geschieht bisher nur in Ansätzen. Die Serie About:Kate (die im samstäglichen Nachtprogramm versteckt war) ist ein schönes Beispiel. Auch die (leider chronisch unterfinanzierten) Webprojekte von arte (Creative, Future) gehen in die richtige Richtung. In punkto interaktive Projekte ist arte international gut aufgestellt (auch wenn die Finanzierung nur für französische Projekte gut funktioniert).

Aber: Da geht mehr. Wenn sich arte zu dem revolutionären Schritt entschliessen könnte sich vom trägen Vollprogramm-Ballast zu trennen, wären mehrere Millionen Euro für die Förderung der deutsch-französischen Film- und Kulturszene frei, die jetzt in den Ankauf und die Produktion von Fließbandfernsehen gesteckt werden, das ein reibungsarmes Durchglotzen (im Sinne von Audience Flow) garantieren soll.

Eine gut aufgestellte Webplattform mit wirkliche spannenden Inhalten, die das Ziel hat an die internationale Spitze des anspruchsvollen Film-, Format- und Serienmarktes zu kommen, hätte die Chance die Krise des öffentlich-rechtlichen Fernsehens – die uns in den nächsten zehn Jahre erbarmungslos überrollen wird – zu überleben. Und außerdem die Chance als strahlender, visionärer und mutiger Sieger aus diesem Umbruch hervorzugehen. Das erreicht man nämlich nicht indem man nur Serienerfolge wie Breaking Bad und Borgen ankauft, die die Zielgruppe schon längst beim Binge Watching verschlungen hat.

»Wenn es um mein eigenes Fortkommen durch Unterhaltung geht statt um die auf mich übergreifende, mich kapernde Ausweitung unternehmerischer Anteile an einem Aufmerksamkeitsmarkt, wird das Verhältnis von Unterhaltung und Ästhetik die zentral wichtige Rolle spielen. (…) Ein Kunstwerk ist gar nicht dazu da, mich zu unterhalten, vielmehr ’sieht es mich an‘ (…) stellt mich in einen Kontext, der mich staunen macht, und fordert mich heraus.«

Michael Jäger

Und um Kunst geht es doch, arte, oder!?

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