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Aus dem Notizbuch (27/12/2012): Die Bestatter von W.

Weihnachtlicher Besuch in der Heimat. Kaum war ich heute morgen wach, da rief mein Vater an und sagte er brauche Hilfe auf der Baustelle. Mein Onkel habe ein Stechen in der Brust und in letzte Minute abgesagt. Ich war total abgefuckt. Mir blieb ja nichts anderes übrig als »Ja« zu sagen und mit dem Zug nach W. zu fahren. M. hat mir netterweise seinen Blaumann ausgeliehen und ich bin wie ein Bauarbeiter (mit dem passenden Gesichtsausdruck vermute ich) aus dem Haus gestiefelt. Die Arbeit war dann natürlich nicht so schlimm. Ein paar Fliesen schlagen, ein bißchen Schutt schaufeln und einen Döner holen fahren. Das alles fand in einem Büro für Grabpflege statt, was ein wenig absurd war:

Die Bestatter standen rauchend vor der Tür, alle dreißig Minuten versammelte sich eine Trauergemeinschaft auf dem Hof und einige Individuen kauften panisch Blumengestecke beim Floristen.

(Notiz an mich: Eine absolute Pole Position habe jawohl Floristen in Friedhofsnähe!)
Mein Vater schickte mich dann einen Schlüssel suchen und als ich ihn nicht fand, sagte er: »Das kann doch wohl nicht sein. Ich dachte immer Bestatter hätten sogar den Schlüssel für das Himmelsreich«. Der Höhepunkt war dann, als der Sarglieferant kam. Während ich Schutt schaufelte, stapelte er Särge neben mir auf.

Ich habe immer geglaubt den Räumlichkeiten von Bestattern wohne eine Art magischer Geist inne, da sie so ein heikles Geschäft beherbergen. Letzten Endes: Nur verottete Fliesen, altes Mauerwerk, ausgediente Büromöbel und ein zugiger Unterstand, in dem ein paar Kiefernholzsärge rumstehen. Außerdem eine große Menge an Säcken mit Papierschnipsel, von denen ich keine Ahnung habe wozu sie gedacht sind. Kurz kam mir der schreckliche Gedanke sie könnten zum Ausstopfen der Särge gedacht sein. Wenn man es prosaisch betrachtet, sind die Särge ja auch nur Möbelstücke, nur dass sie ausnahmslos für einen traurigen Zweck benutzt werden.

Wobei: Wenn ich mir die Stadt W. und ihre grauen Unterführungen, den tristen Friedhof, den schäbigen Kiosk und den erbärmlichen Fernsehturm so ansehe, frage ich mich sowieso, wer denn hier glücklich leben kann. Einst hatte W. für mich schon eine Art Magie: Der Titus-Skateshop, der Musikladen in den Passagen, der Plattenladen am Ende der Einkaufsstrasse. Dort habe ich meine erste Techno-Compilation gekauft. Der Kornmarkt und seine Kneipen, der See und der Bahnhof als Dreh- und Angelpunkt meiner Welt. Ich besuchte meinen Freund D. und wir begossen unseren Schwermut in den Kneipen der Stadt, saßen fröhlich auf dem Balkon rum oder redeten nächtelang Blödsinn. All das ist vorbei und lässt sich nicht mehr aufwärmen.

Ich glaube W. hat sich bei mir »vertrostlost«, weil ich keine Verbindungen mehr zu dieser Stadt habe. Wenn ich durch ihre Straßen laufe, werde ich niemanden treffen, den ich kenne und kein Mädchen wird mir mit Blicken Hoffnung machen.

Wo ist überhaupt diese ganze Hoffnung hin, dieses Feuer, das uns immer auf die Straßen getrieben hat? So sehr sind wir doch alle nicht enttäuscht worden?

Damals haben wir doch auch nie ein Mädchen aufgerissen und trotzdem die Hoffnung nicht aufgegeben. Hinter jeder Kneipentür, hinter jeder Auffahrt lauerte ein Abenteuer …

(Unvollendet)

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