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Aus dem Notizbuch (09/04/2013): Das Turing Kontinuum (Deleted Chapters Part 2)

Sgt. Baine war Wartungstechniker für die bewaffneten Drohnen auf dem Flugzeugträger Mountain Encounter im Persischen Golf. Neben der mechanischen Kontrolle und dem Auswechseln kleinerer Verschleißteile – einer Tätigkeit die ihm den Spitznamen »Löti« verschafft hatte – musste er die Drohnen über Ethernet an eine Workstation anschließen. Von dort wurden die Missionsdaten ausgelesen und an den Hauptserver gespielt. Da waren dann die arroganten Informatik-Arschlöcher damit beschäftigt sie auszuwerten und die Drohnen gegebenenfalls neu zu programmieren. Die meiste Zeit saß Sgt. Baine neben der Workstation und las Porno- oder Schundhefte, in denen die Helden Jason Dark, Long John Silver oder William Lassiter hießen.

Die Leuchtdioden unter dem Userinterface der Drohne DK.767 blinkten wild. Das war für Baine das Zeichen die Verbindung nicht zu unterbrechen. Es war streng verboten die Workstation an das Internet anzuschließen oder externe Datenträger zu verwenden. Trotzdem zirkulierte eine kleine Anzahl von Datensticks um Dienstprotokolle oder Fehlerberichte auszutauschen. Und wenn die schon zirkulierten, was machte es dann, wenn man sich auch mal Musik oder ein neues eBook zum Dienst mitnahm? Auch heute hatte Sgt. Baine den daumennagelgroßen Plastikpin dabei, der sich so herrlich unauffällig in die Workstation stecken ließ. Nachdem er die letzte Drohne abgekabelt hatte, schloss er den eBook-Reader auf der Workstation, kopierte die drei oder vier Textdateien die auf dem Desktop lagen zurück auf den Stick und schob sie danach in den Papierkorb. Sein Dienst war vorbei.

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Ein Tag auf dem Flugzeugträger war stupide und überraschungslos. Es gab eine Mannschaftsmesse, in der die Mahlzeiten und kleinere Feiern stattfanden und einen Aufenthaltsraum mit altmodischen Spielautomaten: Billardtisch, Flipper, Kicker und eine Gaming-Konsole. In einer Bordbibliothek konnte man Bücher und Filme ausleihen. Interessanteren Kram gab es bei den Neuankömmlingen in den Mannschaftsquartieren: Pornos in jedem verfügbaren Medium, als Videofile, Hochglanzheft oder Simstick.

Den richtig heißen Scheiß gab es allerdings nur im Alliiertenquartier in Doha. Zwischen Golfplätzen und artifiziellen Blumenbeeten, pseudo-antiken Springbrunnen und sandfarbenen Hochhäusern blühte das Geschäft mit legalen und illegalen Stimulanzien.

Natürlich konnte sich ein militärischer Wartungstechniker wie Baine nicht den offiziellen Teil der Stadt leisten, aber dafür gab es ja die Quartiere der niederen Angestellten, der Pakistani, Afghanen und Malaysier. Hier konnte man für harte US-$ noch eine Simliege mit voller Immersion bekommen.

Der Inhaber des Schahriyâr war ausgerechnet ein schleimiger Sunnit namens Fareed, der Baine immer streng ansah, wenn er durch die Glastür gestiefelt kam, nachdem er sich zweimal nach links und rechts umgesehen hatte.
»Salam Aleikum«, grüßte Baine, stolz auf das einzige sprachliche Zugeständnis zu dem er in der Lage war. Fareed winkte desinteressiert ab und zeigte auf die Karte mit den Auswahloptionen. Baine wollte einen kurzen Blow Job und danach entspannt ein paar e-mails nach Hause absetzen. Er zeigte auf das selbst für seinen Geschmack zu obszöne Piktogramm für einen Blow Job und legte die geforderten 30 Dollar auf den Tresen. Mit seinen Fingern tippte er in die Luft, um Fareed zu signalisieren, dass er später noch an ein Terminal wollte. Anstelle einer Antwort reichte der ihm eine Schachtel Manadeel – die örtliche Variante von Kleenex –, nahm die 30 Dollar und druckte den QR-Code für die Kabine aus.
»Thirty Minutes«, stieß er dann doch hervor und seine tiefliegenden Augen glühten hasserfüllt, als schlüge er ihm am liebsten mit dem Bondrucker den Schädel ein.
»Shukran!«
Baine war festentschlossen diesem charakterlosen Kollaborateur mit Freundlichkeit zu begegnen. Das war es doch, was er diesen mittelalterlichen Spinnern voraus hatte, die zufällig über 500 Millionen Tonnen Erdöl gestolpert waren. Qatar hatte mehr Cutting Edge Technologie als Afrika, Indien und Südamerika zusammen und deshalb durfte man auch an jeder Ecke einem Hologramm-Mohammed zuhören wie er Koranverse verlas. Er legte den QR-Code an den Scanner und seine Hose wölbte sich in Vorfreude auf das, was ihn auf der Liege erwartete.

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Eilig, um keine wertvolle Online-Zeit zu verschenken streichelte und kraulte Baine die Schwellung zwischen seinen Beinen und fingerte nach dem Ribbon-Controller, der seitlich neben der Liege baumelte. Vor ihm entfaltete sich knisternd ein etwa 40 Zoll breiter PlasmaScreen in der Luft. Ein demütig blickender Imam mit zurückweichendem Haaransatz erschien und verlas monotoner Stimme einen Koranvers:

Sure 4, Vers 17: »Nur diejenigen haben bei Allah Vergebung zu erwarten, die in Unwissenheit Böses tun und hierauf beizeiten umkehren. Diesen wendet sich Allah gnädig wieder zu. Allah weiß Bescheid und ist weise.«

Baine verdrehte die Augen. Sobald der Imam verstummt war, wechselte er ins Hypertextmenü und wählte »Asian Blow Job«. Augenblicklich begann das Raumlicht in ein angenehmes Sonnen-Orange zu wechseln. Zwei Stim-Pads baumelten aus dem Kopfende der Liege und ein Cocktail von Sensitiva und Stimulanzien wurde seitlich in seinen Arm injiziert. Seine Hände pressten die Stim-Pads an die Schläfen und die Kabine, die eben noch kalt und unpersönlich wirkte, war plötzlich vertraut, warm und weich wie der Venushügel der jahrelang heissbegehrten Geliebten. Hinter einem hohen rechteckige Spiegel kroch leopardengleich eine brünette Asiatin mit kleinen festen Apfelbrüsten und einem makelos weissen Körper in einem grün-weiß-gestreiften Teenager-Bikini hervor. Sie fing an ihren Körper im Rhythmus eines billigen Tenorsaxophon-Discobeats zu wiegen. Bain gähnte und ließ seinen Finger auf dem Ribbon-Controller nach oben gleiten um den Anmachmodus zu skippen. Für dieses Softsex-Vorspiel wollte er keine kostbaren Sim-Zeit verschwenden. Für einen Moment zuckten Blocking-Artefakte über den Körper der Asiatin, dann kniete sie vor ihm auf den Boden, auf einem weißen Flokatiteppich. Sie war zauberhaft. Jung und mit dem Gesicht eines Engels. Ihr kleiner, vom Lipgloss feuchter Mund wirkte wie der zarten Schnabel eines jungen Spatzen. In seinen Hippocampus wurde eine künstliche Erinnerung an eine erfolgreiche Verhandlung in einem Straßenbordell und der vor Wolllust panischen Suche nach einem freien Hotelzimmer induziert. Die Asiatin hatte sich mittlerweile zwischen seine Bein gekniet und lutschte vorsichtig an seinem Schwanz. Im Spiegel konnte Baine ihren zierlichen, aber wohlgerundeten Arsch sehen. Während ihre Zunge zu seinen Eiern hinunterwanderte, griff sie sich in den Schritt und streichelte sich. Baine versuchte ihr Bikinioberteil wegzuschieben und ihre Titten zu begrabschen, aber das ließ die Software nicht zu. Stattdessen ließ das Mädchen das Oberteil selbst hinuntergleiten und liebkoste ihre weichen, festen Rundungen. Baine versuchte sie erst sanft, dann immer aggressiver, auf die Seiten zu legen.

Er wollte jetzt sofort diesen makelosen, jungen, schneeweißen Körper ficken. Die Software ignorierte seine Gesten. Stattdessen musste er in ohnmächtiger Geilheit zusehen, wie sich das Mädchen selbst zwei Finger in ihren Slip schob und seinen Schwanz weiterhin mit enervierender Langsamkeit leckte.

Genervt rief er das Hypertext-Menü auf und sah sich alternative Optionen an. Jede OnSession-Änderung würde mit weiteren 10 Dollar zu Buche schlagen. Während er überlegte wie er am liebsten kommen würde, skippte das Menü automatisch eine Reihe von bekannten und neudesignten Pornokörpern als Teaser durch. Er entschied sich für ein vollbusiges italienisches Starlet, glitchte über den Ribbon-Controller und befand sich unmittelbar über ihr. Mit halbgeöffneten vollen Lippen und Fick-mich-Augenaufschlag krabbelte sie auf einem Bett herum. Seidige Reflexe spielten auf ihren Rundungen und das Zimmer hatte die leichte, cremige Unschärfe eines 70er-Jahre-Vintage-Pornos. Die Sensorik wechselte auf ein laues Sommerlüftchen. Leise Gittarenklänge wehten von weitem herüber. Baine entspannte sich. Dieses Programm war etwas härter. Valentina nahm seine Schwanz ganz in den Mund und saugte ihn bis in die Kehle ein. Seine Vorhaut stieß leicht an ihr Gaumensegel. Er griff ihren Kopf und beschleunigte den Rhythmus mit dem sie ihn in sich aufnahm. Seine Puls raste und in einem präorgasmischem Rausch begannen ihm die Sinne zu schwinden. Gerade als er den PointOfNoReturn erreichte entfaltete sich der PlasmaScreen mit einem statischen Knistern und das scheinheilig ergebene Gesicht des Imam erschien wieder.

Sure 4, Vers 24: »Und verboten sind euch die ehrbaren Frauen, außer was ihr besitzt. Wenn ihr dann welche von ihnen im ehelichen Verkehr genossen habt, dann gebt ihnen ihren Lohn als Pflichtteil!«

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Paul hörte auf zu tippen. Irgendwie klang das mittlerweile mehr nach technikverliebtem Cyberpunk als nach Gründungsmythos. Aber wie sollte das auch sonst klingen, wenn man die Geschichte des ersten künstlich erzeugten Bewusstseinfunken erzählte? Sergeant Baine war ja eine Art Moses, der den schöpferischen Funken auf eine plumpe Art in die Welt trug. Das Unaussprechliche, das Geheimnis des Bewusstsein, des eigentlichen Urgrunds aller Schöpfung, hatte einen Abdruck in schnödem Programmcode hinterlassen. Es verhielt sich damit, wie mit ein Tesserakt auf dem Papier: die zweidimensionale Projektion eines vierdimensionalen Hyperwürfels.

Wenn man den Code näher betrachtete, ihn verinnerlichte und über ihn meditierte, dann bekam man eine flüchtige Ahnung des Unvorstellbaren. Und für alle einfach gestrickten Gemüter würde es eine Schöpfungsgeschichte geben müssen.

Er, Paul, war einer der Jünger, die das Evangelium verfassen würde. Natürlich musste es postmodern sein, gespickt mit Verweisen auf die Schriften anderer Religionen. Wenn der Koran oder die Bibel noch mit Metaphern arbeiten konnten, mussten die Metaphern des NHC-Evangeliums Referenzen auf andere Metaphern sein. Schließlich war das NHC ein Bewusstsein zweiter Ordnung, ein Hyperbewusstsein. Nagende Zweifel schlichen sich in sein Bewusstsein, das entmutigende Gefühl nicht gut genug für einen Evangelisten zu sein. Soviel Aggression, soviel Sex und der nur schlecht getarnte Schuldkomplex eines Laizisten. Aber verhielt es sich mit dem Koran oder der Tora soviel anders? War die Offenbarung nicht auch hinter einem beinahe undurchdringlichen Gespinst menschlicher Unzulänglichkeiten und biederer Verhaltensvorschriften versteckt? Ein Teil von ihm versuchte sich einzureden, dass es ihm mit dem Text sowieso nicht ernst war, dass er eigentlich einen doppelbödigen, ironischen Kommentar auf Heilslehren im Allgemeinen und die Theorien der NHCler im Besonderen verfasste. Aber selbst da, so meldete sich der innere Kritiker wieder, versagt er. Eigentlich hatte er ja nur versucht eine glaubhafte Geschichte darüber zu konstruieren wie streng geheime Militärdaten aus einer Kampfdrohne ins gewöhnliche Netz geraten sein konnten. Aber an dieser Stelle kam er nicht weiter. Wieso sollte Sergeant Baine, und sei er auch noch so dumpf und triebgesteuert, seinen Job riskieren und einen illegalen USB-Stick in das Terminal eines virtuellen Bordells in Doha stecken? Oder lässt er ihn vielleicht entnervt liegen, nachdem er um seinen teuer erkauften Orgasmus gebracht wurde? Ja, genau! Willkommener Funke der Inspiration. Der Stick fällt ihm aus der Uniformhose und Fareeds Reinigungspersonal findet ihn nach Feierabend. Der ist natürlich neugierig darauf, was US-Soldaten so auf ihren Datenträgern gespeichert haben und öffnet die eBook-Dateien …

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Gelangweilt scrollte Fareed durch die amerikanische Schundliteratur, die sich auf dem Thumbdrive befand. Er clickte ein paar mp3-Dateien, gab aber entnervt auf, als immer wieder ein stumpfer Viervierteltakt-Rumpelrhythmus einsetze.

Can’t read my, can’t read my
No he can’t read my poker face
(She’s got to love nobody)
Can’t read my, can’t read my
No he can’t read my poker face
(She’s got to love nobody)

Wie konnten diese Leute nur eine so unterkomplexe Musik ertragen? Vor lauter Abscheu schob er den Musikordner in den Papierkorb. Übrig blieben nur ein paar Stapelverarbeitungsdateien. Versuchsweise clickte er auf eine von ihnen, aber da nichts geschah, ließ er das Thumbdrive auswerfen und legte es in einen Korb für Fundstücke. Als er die Alarmanlage scharf schaltete und die Tür des Schahriyâr schloss, übersah er, dass die grüne LED der Netzwerkkarte wild blinkte. Der Code von DK.767 ging online.

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Zufrieden speicherte Paul die Geschichte und beschloss, dass es Zeit für ein Bier wurde. Trivial oder nicht, er hatte einen schlüssigen Plot erschaffen, den er in den nächsten Tagen bloggen konnte. Seine Strategie bestand darin eine möglichst umfassende Aufarbeitung der eigenen Existenz in ausufernden Blogposts zu leisten. Wenn er beschlossen hatte das Evangelium des NHC zu schreiben, dann als subjektzentrierter Versuch die eigenen Identität an das NHC zu koppeln. Er schloss das Schreibprogramm und rief zum dritten Mal an diesem Tag fantasti.cc auf. Als er – entspannt und mit Neurotransmittern geflutet – das bisher geschriebene noch mal quergelesen hatte, war er eigentlich ganz zufrieden und veröffentlichte den Text unter »DK.767 – Part 2«.

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