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Platte der Woche: Wasserstoff – Die 5 Elemente

Das neue Werk des Produzenten Christian Ogrinz aka Wasserstoff aus Berlin-Weißensee ist ein organisch-dichter Festtagsbraten aus minimalem, dubbigem Techno. Die musikalische Grundsubstanz ist der Urschleim aus dem alle Technoeuphorie gebiert: Bassdrum und Bassline. Der Entstehungsraum für ‚Die 5 Elemente‘, so heißt die EP.

Feuer, Erde, Luft, Wasser und Kosmos. Aus einem Funken wird eine Flamme, dann bratzt ein Steppenfeuer über kubische Clonks. Wir befinden uns in der Frequenzharmonik von LFO. Die Erde ist alkalisch, voller Katalysatoren für explosive Reaktionen und erlangt ihr volles Potential nur zusammen mit dem Sauerstoff der Luft. Die Luft erinnert an die rohen Grooves früher Chicago-Trax und das Wasser ist schließlich das Element der Hydronauten der afrikanischen Diaspora. Ohne das Konzept von Drexciya zu kennen rekonstruiert Ogrinz hier das Genre Aquatechno.

Am Ende der Vereinigung der vier Grundelemente steht der Kosmos. Eine Meditation über die Möglichkeiten des 4/4-Taktes in bester Studio 1-Tradition. Der Kosmos ist hier luftig, housig, fröhlich und vereint kunstvoll die angerissenen Zeitlinien elektronischer Musik. Ein lexikalisches Werk.

Buy @: juno.co.uk

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Platte des Tages: Kenny Glasgow – Final Frontier [My Favorite Robot 018]

Erst durch die Finger geflutscht, weil eben Kenny Glasgow. Sein rührend-nostalgisch verhaftetes Album Taste for the Low Life war schon fein, doch so richtig überspringen wollte der Funke nicht. Warum auch? Chicago und Sehnsucht passt einfach nicht so recht. Vielleicht doch mal konservativ sein, Hedonismus ist dort viel besser aufgehoben und die Sehnsucht gehört nach Detroit, dachte sich Kenny möglicherweise selbst.

Noch ein wenig Militanz in den Titel und schon war sound- und titelmäßig die Brücke zu UR gebaut, wie Bleed im ersteren Fall so passend beschreibt: “Final Frontier‘ spricht zurecht das Epos einer dieser Underground-Resistance-Hymnen an und bewegt sich in 12 Minuten von seinem melodischen Anfang über immer breiter in ihr Glück verstrickte Momente und baut sich auf, ohne das es über die weitesten Strecken wirklich eine Bassdrum bräuchte, und man hat immer das Gefühl, erst ganz am Anfang einer Enthüllung zu stehen‘.

Bis auf die ‚Enthüllung‘ unterschreibe ich alles. Weil diese Melodie wie eine schamanenhafte Formel wirkt, saugt sich das Gehirn viel tiefer hinein und das Kopfkino lässt an geheimnisvolle Maya-Tempel im Dschungel Südamerikas denken. Eher Offenbarung statt Enthüllung. Alles grün, supergrün, diamantgrün. Sasses housigere und My Favorite Robots Version ergänzen das Original. Gerade MFR setzen auf Strings und Bassline statt Melodie. James Teej hingegen geht mir mit seiner Beliebigkeit ein wenig ab. Doch gegen das Original (leider nicht auf youtube) haben alle drei keine Chance. Zu perfekt ist es.

Einziger Wehrmutstropfen: das Cover. Selten so ein hässliches Cover gesehen. Das verdirbt sämtliche Fantasien und verschandelt jeden Plattenladen.

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Platte des Tages: Deetron feat. Seth Troxler – Each Step [Circus Company 045]

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Überraschungssieger der Chicago-Gedächtnismedaille werden in diesem Monat der Schweizer Deetron und der schon nicht mehr ganz so Neu-Berliner Seth Troxler. Um die Verwirrung komplett zu machen kommt dieses Monster eines Jacktracks auf dem bisher eher retro-unverdächtigen Pariser Label Circus Company. Dass aus ‚Each Step‘ trotzdem kein ironiefreier Dance-Mania-Aufguss geworden ist, verdankt das Stück vor allem Troxlers tongue-in-cheek-artiger Hunter S. Thompson meets Volkshochschul-Poesiekurs-Performance, die man durchaus als Parodie auf die virile Ernsthaftigkeit und sinnentleerte Spiritualität so manches Chicago-Klassikers verstehen könnte. Eine Kostprobe: „The stars from the heavens keep shining and the other lights they go low. For one thing I know that is true is my love… it is my love for you.“

Ohne Troxler, aber nicht weniger charmant kommt ‚Sing‘ auf der Flip daher. Relaxt groovender Detroitbeatdown-House mit endlos gelooptem weiblichen Vocalsnippet, der an den Omar-S-Hit ‚Day‘ erinnert. Für die Open-Air-Saison auf jeden Fall eine Bank.

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Diggin’ The Crates: Tortoise – Millions Now Living Will Never Die

Auf dem Plattenteller liegt Millions Now Living Will Never Die von Tortoise und dreht sich. Die Platte müsste ich mir so im Jahre 1996 gekauft haben, wenn ich mich recht erinnere. Ich weiß noch, daß ich mich damit nach einer durchzechten Nacht zu einer Freundin geschleppt – die Platte hatte ich die ganze Nacht mit mir rumgetragen – und sie ihr zum Geburtstag geschenkt habe. Ich trug eine karierte Homeboy-Stoffhose, es war Sommer, ich war extrem entspannt, leider fanden die Beschenkte und ihr Freund die Platte nicht so toll.

Teile dieser Platte habe ich dann im Oktober diesen Jahres in einem Theaterstück in Altenburg unerwartet wiedergehört: ‚Die Nibelungen‘ von Hebbel in einer Neuinszenierung von Amina Gusner und Anne-Sylvie König. Dazu Chicago-Postrock. Diese Platte ist einfach zeitlos. Zeitlos in dem Sinne, dass sie nie voll eingeschlagen ist – wiewohl sie Tortoise irgendwie weltbekannt gemacht hat – aber immer noch in einem Teil meines Bewusstseins weiterlebt. Bei jenem Theaterstück sind sofort tausende von Erinnerungen und Emotionen angetriggert worden.

Auf einem Tortoise-Konzert in der Kantine in Köln war ich mal rotzeblau und mein Kumpel Öpi und ich haben die Xylophon(!)-Passagen laut mitgegrölt. Das war zu Zeiten des Albums TNT und ich glaube wir haben die gediegenen Tortoise-Fans etwas irritiert. Tortoise und Tocotronic gehören übrigens zu der handvoll Bands die mir überhaupt mal ein Live-Konzert wert waren.

Auf dem hinteren Teil des ersten Viertels der ersten Seite läuft jetzt gerade eine verlangsamte und dadurch irgendwie ‚gedubbte‘ Version des Eingangsstücks. Ist es eigentlich ein Verlust, dass man in den Zeiten von Digital-Downloads nicht mehr den physikalischen Ort eines Musikabschnitts innerhalb eines Gesamtwerkes angeben kann?

Auf der zweiten Seite – wieder so ein selten gewordener Terminus – befindet sich das dynamikverliebte Nicht-Song-Stück Glass Museum bei dem mich meine Mutter mal gefragt hat, ob das unsere Band sei, die das spielt. Ob sie weiß, dass ich weltberühmt wäre, wenn dem so wäre? Oder sind Tortoise maßlos überschätzt und meine Mutter ist die Einzige die es gemerkt hat? Oder hält sie mich heimlich für ein musikalisches Genie?

Den Muckerpart in ‚Glass Museum‘ hätten sich Tortoise allerdings sparen können, er zerstört die Atmosphäre die die dekonstruktivistischen Songruinen vorher und nachher schaffen.

Irgendwie klingt der Part wie ein letzter Aufschrei des Muckertums gegen die körperlose Gravität des Postrock.

Insofern markiert Millions Now Living Will Never Die immer noch den Beginn einer Epoche die von Anfang an keine werden wollte.

Millions Now Living Will Never Die klingt wie eine Rundfunksendung aus dem All, bei der die Gitarrensounds an den scharfen Kanten von unzähligen Satelitten vorbeigeschrammt sind und dadurch zu einem nicht-essentialistischen, seiner Zeichenhaftigkeit beraubtem, reinen Sound geworden sind. Kein Blut, kein Schweiß, keine Tränen. Man kann eben nach Jimi Hendrix kein Gitarrenvirtuose mehr sein. Zumindest nicht im Diskurskontinuum von Tortoise.

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Platte des Tages: Map.ache – Carmella [Kann 02]

Dem Leipziger Label Kann Records ist es bereits nach drei Releases gelungen, einen unverwechselbaren Trademarksound zu etablieren, ohne sich dabei ausgelutschter Klischees zu bedienen. Auch die Tracks auf Map.aches erster Solo-EP Carmella atmen wieder diesen warmen, butterweichen Chicago-Vibe, bei dem man geradezu spürt, wie man dem Frühling mit jedem Takt näher kommt.

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„Clouds Over Clowns“ schleicht sich mit hintergründiger Percussion auf den Floor, wo einen die Pianoakkorde von „Tel Aviv“ gleich verweilen lassen. Mein Favorit ist aber das detroitige Neuneinhalb-Minuten-Epos „Carm“. Nirgendwo kickt House-Understatement derzeit mehr! Da müssen sich die Hamburger Brüder im Geiste von Dial warm anziehen. Ein Label, von dem man kein einziges Release mehr verpassen möchte, nicht zuletzt wegen der farbenfrohen, kubistisch angehauchten Artworks der Grafikdesignerin Franziska Kempiak.