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Romane für das 21. Jahrhundert?

„Little Brother“ von Cory Doctorow und „Saal 6“ von Achim Szepanski

Ich habe in den letzten Tagen Auszüge aus den Romanen „Little Brother“ von Cory Doctorow und „Saal 6“ von Achim Szepanski gelesen. Obwohl die beiden Romane sprachlich, zeitlich, publikationschronologisch (VÖ Little Brother: 2008) und ästhetisch weit auseinanderliegen, so haben sie doch eines gemeinsam: Ihr programmatisches Anliegen eine Gegenwartsanalyse oder -beschreibung mit den Mitteln der Prosa oder des epischen Romans zu liefern.

Cory Doctorow, der definitiv der lesbarere der beiden ist, bedient sich in Little Brother eines (zumindest in der deutschen Übersetzung) oft peinlich klingenden Tekkie-Sprechs um in die Erlebniswelt eines Hackers oder Digital Natives einzutauchen.

„Mein SchulBook zu cracken war simpel gewesen. Der Crack war binnen eines Monats nach Einführung der Maschine online zu finden, und es war eine billige Nummer – bloß ein DVD-Image runterladen, brennen, ins SchulBook stecken und die Kiste hochfahren, während man ein paar Tasten gleichzeitig gedrückt hielt. Die DVD erledigte den Rest und installierte etliche versteckte Programme auf dem Laptop, die von den täglichen Fernprüfungs-Routinen der Schulleitung nicht gefunden werden konnten. Man musste bloß hin und wieder ein Update aufspielen, um auch die neuesten Testverfahren der Direktion zu umgehen; aber das war ein bescheidener Preis dafür, ein bisschen Kontrolle über die Kiste zu bekommen.“
[Deutsche Übersetzung hier]

Von den Gründern des Genres (William Gibson, Neal Stephenson) ist das meilenweit entfernt. Ich hatte streckenweise das Gefühl hier würde versucht lahme Erzählprosa durch Jargon und Verweise auf technologische Gimmicks aufzuwerten. (Englisches Original hier)

[Weiterlesen]

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Cory Doctorow – Backup / Upload

Der 1971 in Toronto geborene Schriftsteller, Blogger und Net-Aktivist Cory Doctorow hat gerade seinen zweiten Roman Upload (Original: Eastern Standard Tribe) veröffentlicht.

Im Gegensatz zu seinem ersten Roman Backup (Original: Down and Out in the Magic Kingdom) in dem Cory Doctorow eine Zukunft beschreibt, in der man das menschliche Bewusstsein als Datenpaket im weltweiten Netz abspeichern und immer wieder neu herunterladen kann, hat mich Upload richtig begeistert.

Doctorow entwickelt in Upload das Konzept der Zeitzonen-Stämme, die, im Gegensatz zu archaischen Tribes, nicht geographisch beschränkt sind, sondern in der virtuellen Welt des Internet entstehen. Je nach eigenen Vorlieben kann der User sich seinen Stamm – zum Preis des zu seiner unmittelbaren Umgebung verschobenen Lebensrhythmus – wählen.

Dieses Modell taugt an sich schon als interessanter Hintergrund für einen SF-Roman, da es einen möglichen Ausweg aus der menschlich-allzumenschlichen Sehnsucht nach Identitätsversicherung in der territorialen Stammesbildung mit Hilfe moderner Technologie skizziert und in diesem Sinne beste kalifornische Ideologie ist, die hiermit ihren Eingang in die Literaturgeschichte gefunden hätte.

Doch als waschechter DRM-Aktivist hat Doctorow natürlich mehr auf Lager. In seiner Zukunftsvision hat das DRM augenscheinlich schon gesiegt, wird allerdings von einer Reihe von subversiven Piraten bombardiert. Doctorows Romanheld Art Berry versucht mit seinen Stammesgenossen diesen Umstand für eine produktive Verwertung zu nutzen, die gleichzeitig die DRM-Piraten als Super-User aufwertet. So gelingt Doctorow eine kleine literarische Meditation über die Bedeutung von Solidarität und Loyalität in kapitalistischen Gesellschaften und gleichzeitig eine phantasievolle Anregung für eine bessere DRM-Politik.

Um Form und Inhalt zu verschmelzen, hat Doctorow seine beiden Romane unter Creative Commons gestellt und so können Backup hier und Upload hier kostenlos runtergeladen werden.

Backup – Taschenbuch
Upload – Taschenbuch