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Rhauder feat. Paul St. Hilaire – No News [Ornaments 009]

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Mit Paul St. Hilaire an Bord kann kaum was schief gehen, vor allem wenn ihn Rhauder „ordert“. Die Platte klingt durchweg gut, wie erwartet, wobei mir Marko Fürstenbergs verspielter Dub in dessen Version besser ins Ohr geht, aber er wollte es vielleicht auch zugänglicher und weniger abgespeckt produzieren als Rhauder. Daniel Stefanik lässt die Bassdrum reiner Taktgeber sein, so kommt der Bass zur vollen Entfaltung, dabei ist sein Riddim weniger verspielt als Fürstenbergs und extrahiert die Aura von Rhythm and Sound. Deswegen mein Favorit einer wieder sehr gelungenen Ornaments.

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Platte des Tages: Peak – Darksuite [Ornaments 008]

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Ein Track, drei Versionen, drei verschiedene Stimmungen. Mehr braucht es nicht, um eine große Sommerplatte zu erschaffen. In Peaks anfänglich klassischem Dub, taucht man in ein bildliches Höhlennirvana ein, verschwindet im Nichts und – gleich einer Fledermaus – nur ganz ohne Ohrdeckel und Magnetsinn, entschwebt man am Ende diesem Trip, bevor Soultourist einen in den Club begleitet. Eingekleidet im Techhouse-Gewand lässt er den Dub stellenweise von Licht durchfluten und dieser knappe Funkbreak … köstlich. youANDme vereint den Club und die Höhle, setzt auf straightere Techno-Elemente … die dunkle Industriehalle oder ähnliches. Treibend geht es weiter bis zum nächsten Morgen. Großartig.

[audio:http://www.ornaments-music.com/audio/ORN008_A1_Peak_Darksuite.mp3]
Peak – Darksuite
[via ornaments-music.com]

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phOkus – Dem All Shot – Teil 2

Fortsetzung von Teil 1

Das ist jetzt eine gute Zeit lang her. Wie schätzt du die Situation von Grime und Dubstep heute ein? Ist nicht Dubstep de facto ein Massenartikel geworden, dagegen Grime in seiner zumindest anfänglichen Außenseiterposition verhaftet geblieben? Und die bedrückendste aller Fragen: Herrscht Jahre nach dem Aufbruch bereits Ernüchterung?

Ich habe nicht das Gefühl. Eventuell muss man zwischen Dubstep und Grime unterscheiden, richtige Hammer-Grime-Tracks sind in letzter Zeit relativ schwer zu finden. Ich habe schon das Gefühl, dass die Grime-Szene 2006/2007 sehr viel mehr Interessantes hervorgebracht hat, was aber einfach zum großen Teil damit zusammenhängt, dass sich viele UK-Grime-Artists immer mehr im Chartspop-Bereich bewegen und immer weniger neue Dinge ausprobieren als noch vor zwei Jahren, sie im Gegenteil sogar Pop-Elemente in ihre Tracks übernehmen, damit sie im Charts-Kontext besser funktionieren.

Im Bereich Dubstep gibt es immer noch neue Entwicklungen, und die Leute probieren alles Mögliche aus. Darin besteht ja auch der große Reiz: Es ist möglich, nahezu alle musikalischen Einflüsse im Dubstep zusammenzuschmelzen. Und genau das passiert nach wie vor, wodurch immer noch ungehörte, neue Kombinationen entstehen.

PhOkus II

Photo by Marco Heinzmann

Welche Perspektiven eröffnen sich für Dubstep? − Welche Gefahren gibt es? Welche Chancen kannst du sehen? Kannst du Strategien erkennen, vielleicht sogar den unsäglichen Hype? Anders gefragt: Lässt sich so etwas wie Dubstep überhaupt hypen?

In letzter Zeit tauchen vermehrt Pop-Dubstep-Remixes auf. Natürlich besteht die Chance, dass es immer weiter wächst und mehr und mehr Leute Dubstep kennen und mögen, andererseits gibt es wie immer die Gefahr des großen Ausverkaufs. So wie einige Zeit in jedem zweiten Werbespot Drum ’n‘ Bass im Hintergrund lief. Nur die Drums, ohne die Basslines, weil man die im Fernsehen nicht hört. (schüttelt den Kopf)

Ich habe aber den Eindruck, dass sich die meisten Protagonisten der Szene einig sind, dass es Dubstep nicht gut tun würde, wenn auf einmal Verkaufszahlen und nicht die Innovation bzw. die Funktionalität auf dem Dancefloor zum schlagenden Argument werden. Die Dubstep-Szene selbst ist sehr stark über Internetforen, Instant Messenger und Social-Networking-Plattformen vernetzt, so dass es Außenstehenden schwer fallen dürfte, sich dort zu positionieren und einen Hype zu starten. Und auf den Fernseh-Sound bezogen: Wenn man bei Dubstep die Basslines und Subbässe weglässt, bleibt nicht mehr viel übrig. (grinst)

Was vom Dubstep übrig bleibt … Schauen wir in die Zukunft: Mit wem arbeitest du aktuell zusammen, welche Projekte verfolgst du, und wo kann man dich live/als DJ erleben?

Mit The Next aus meiner Hamburger Nachbarschaft arbeite ich seit Drum ’n‘ Bass-Zeiten zusammen. In letzter Zeit bin ich oft mit Mr. Boogie aus Potsdam mit b2b-DJ-Sets unterwegs, und wir haben auch einige gemeinsame Tunes produziert. Außerdem fertige ich Remixe für verschiedene Leute an, z.B. Jazzsteppa, Mahanee … oder Spillsbury, ein Mitglied meiner letzten Punkband. Ich plane im Augenblick mit MC Bandog von Killa Instinct, Grime-Tunes zu produzieren. Interessant, mal typische Britcore-Vocals mit Grime in Verbindung zu bringen … wir werden hören, ob es funktioniert (schmunzelt).

Diskographie:

Phokus feat. Tinchy Stryder & Dirty Danger: Dem All Shot (12″) 2006
Jazzsteppa: Five (Phokus-Remix) (12″) 2008
Phokus: Da Loot (12″) 2007
Phokus & The Next: Smoke Ganja (12″) 2008
Phokus & The Next: Inta (7″) 2008
Phokus: Mash Up Di Place (MP3) 2008
Mahanee feat. Solo Banton: No Joke Ting (Phokus-Remix) (12″) 2009
Phokus & MrBoogie & TKR: BigUp! (12″) 2009

Erscheint Juni 2009:
Phokus & Mr Boogie: The Infect (12″)

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phOkus – Dem All Shot – Teil 1

Prolog

Die Menschenschlange vor dem Berliner Berghain ist um halb vier Uhr morgens hunderte Meter lang, dabei ist der geräumige Club schon seit Stunden voll. Internationales Publikum, Internationale DJ-Sets, vor allem aus UK. Es geht hier um die zukunftsweisendste unter den aktuellen Musikrichtungen: Dubstep.

Der Begriff ist schnell definiert: Dubstep ist dem Namen nach eine Mischung aus Dub und 2step. Das Brisante, geradezu Revolutionäre liegt im Modellcharakter von Dubstep begründet: Diese Musikrichtung funktioniert nicht als ein in sich geschlossenes System, nicht als kohärentes, einheitliches Muster, wie es uns etwa im Bluesschema des Rock ’n‘ Roll begegnet – drei Akkorde, über Jahrzehnte Grundlage und Erkennungsmerkmal – oder wie es im House- und Technobeat aufscheint – dessen kleinster gemeinsamer Nenner die 4/4-Bassdrum bildet – gleichsam die Tradition der Disco-Ära.

Dubstep ist das Synonym für eine musikalische Entwicklung. Für eine Technik, die in einer Umgangsweise mit Musik begründet liegt, Dub genannt. Die Anwendung auf 2step ist dabei eine Möglichkeit, wenn auch nicht willkürlich. 2step steht für das Erbe urbaner Tanzmusik, ist Funk, Disco, House, gepaart mit der afro-amerikanischen Tradition des R ’n‘ B. Dub ist eine aus dem Reggae hervorgegangene mediale Reflexion, Rückführung auf das eigentlich Klingende, Minimierung, Substrahierung.

Fünf Uhr nachmittags in einem kleinen Straßencafé in der Mainzer Straße im Bezirk Berlin-Friedrichshain. Wenige Stunden vor seinem DJ-Set bei den Dubstep Standarts und am Vorabend von Bass The World begegne ich Phokus. Mir gegenüber sitzt ein entspannter Endzwanziger in der Sonne. Der Musikproduzent sorgt seit 2006 als Teil der deutschen Grime- und Dubstep-Szene für Aufsehen. Er ist im Verbund der WOBWOB!-Crew Hamburg zu einem der wichtigsten Protagonisten des kontinentalen Dubstep geworden.

Phokus I

Photo by Henrietta Langholz

Bei vielen Künstlern geht der Anfang ihres Schaffens einher mit einem besonderen Moment in der Erkenntnis ihrer Kunst. Oft ist das noch nicht einmal etwas Spektakuläres. Wie hast Du angefangen? Wie bist du zur Musik gekommen, oder ist die Musik zu Dir gekommen?

Solange ich zurück denken kann, hat Musik für mich eine Rolle gespielt. Aber ich möchte lieber nicht sagen, was ich früher mal für gute Musik gehalten habe. Jedenfalls habe ich irgendwann von einem Freund meines Bruders Schlagzeugunterricht genommen und in verschiedenen Bands als Drummer gespielt. Meist ging es dabei in Richtung Punk.

Als meine Eltern endlich einen Computer angeschafft hatten und ich mir im Winter auf einem alten Skateboarddeck im Schnee den Arm gebrochen hatte, besorgte ich mir von einem Kollegen so Sachen wie Fasttracker 2 und fing an, meine ersten Pfade in der elektronischen Musik zu beschreiten. Ich habe von Anfang an ausschließlich mit dem Computer produziert, was sich bis heute nicht geändert hat. Vor einigen Jahren habe ich zwar einem Kumpel, der sein Auto zu Schrott gefahren hatte, seinen Synthie abgekauft, der dient allerdings nur noch als MIDI-Keyboard. Natürlich habe ich verschiedene Arbeitsweisen und Tools ausprobiert, aber externe Gerätschaften oder sowas sind nicht dazugekommen. (zuckt die Achseln) Ich kenne es nicht anders, da vermisse ich das Drehen an echten Knöpfchen oder die „Seele“ von meinen Lieblingssynthies erst gar nicht.

Deine Anfänge verlieren sich im Dunkel der Kindheit, du hast Wurzeln im Punk, einem wichtigen Wegweiser der neuen elektronischen Musik seit den 80er Jahren. Als Drummer hattest du zudem wie selbstverständlich ein Bein auf dem Dancefloor. Wie hast du Zugang zu der Musik gefunden, die Du heute machst?

Bevor ich mich mit Musik um die 140 BPM beschäftigt habe, war ich eher schneller unterwegs. Genauer gesagt habe ich Drum ’n‘ Bass-Tracks produziert. Irgendwann hat sich der vorherrschende Drum ’n‘ Bass-Sound, jedenfalls der, den es in Hamburg auf den meisten Parties zu hören gab, in eine Richtung entwickelt, mit er ich nicht mehr all zuviel anfangen konnte. Die Elemente, die mich ursprünglich so für den Sound begeistert haben, sind sehr stark in den Hintergrund getreten, und die Stimmung ist immer aggressiver geworden.

Zu der Zeit habe ich relativ viel Internetradio gehört und bin als erstes auf Grime gestoßen, was in mir sofort ähnlich euphorische Gefühle ausgelöst hat wie die ersten Jungle-Tunes die ich gehört habe. Ich habe auch vorher schon immer mal wieder in solchen Geschwindigkeiten experimentiert und mich ab diesem Zeitpunkt völlig darauf konzentriert. Das erste Ergebnis war die 12″ auf MG77 (Dem All Shot).

Außerdem hatte ich seit einiger Zeit aufgehört mir Platten zu kaufen, was sich ab dem Moment schlagartig änderte. Ich habe dann viel Grime- und Dubstepmaxis gekauft und angefangen, alle miteinander zu mixen, was mir einen riesen Spaß gemacht hat!

Fortsetzung folgt…

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Igor And The Rattlesnake – Solar Sound System

„I quite like the Strokes as a comedy group, and I very much like the Strokes when their music is mixed up, in a bootleg sense, with the music of pole-dancing pop fiasco Christina Aguilera (…) The stupid sublime stitching together of heated machined pop dripping with money and reheated NY punk scratched out of the fake history books creates a ravishing blur of signals, signatures, speeds and gaps in time (…) at the end of the twentieth century (…) it was commercial pop that was more exciting than commercial rock.“
Paul Morley – Words And Music

Diese erschütternden Sätze gingen mir durch den Kopf, als ich heute die Ausstellung ‚Igor And The Rattlesnake – Solar Sound System‚ verließ. Was Morley da feststellt, geht nicht nur blutjungen ‚The‘-Band-Hörern und Intro-Lesern an den Kragen, sondern auch all denjenigen die immer noch an einen NY-Mythos der späten Siebziger Jahre – Blondie, Burroughs, Warhol, Patti Smith (just to name a few) – glauben. Das dies aber nicht zwangsläufig einen Sieg des Punk/Hyperpop-Mashups bedeutet, habe ich heute durch das Solar Sound System gelernt.

Igor And The Rattlesnake sind die Künstler Nik Nowak aus Berlin und Thomas Chapman aus Brooklyn und ihre Installation Solar Sound System ist noch bis zum 15. Mai in der Galerie Infernoesque zu sehen.

heidestrasse

Im strömenden Regen erreiche ich das East Village von Berlin, die Heidestrasse, wo Galerien, Labels und Clubs eine Industriebrache mit kulturellem Mehrwert versehen. Im Erdgeschoß des Aufgangs II, im Vorraum der Installation, treffe ich den Künstler Nik Nowak, im IR$$$$ MINIMART. Hier kann man in einer Asia-Gemüseladen-Atmosphäre alles von Klopapier über Fake-Kokain, Tampons, Apfelsinen bis hin zur CD ‚Igor and the Rattlesnake Solar Sound System‘ erwerben.

Letztere stellt den auditiven Teil der Installation dar, die mich im nächsten Raum erwartet:

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Mother Sculpture

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Male Satellite

Die Installation besteht aus drei miteinander vernetzten Teilen, der Mother Sculpture (Verstärker und Subwoofer) und zwei Speaker-Satelliten die visuell männlich und weiblich codiert sind. Durch Materialien, Farbgebung und collagiertem Fotomaterial vermittelt die Installation erstmal ein Gefühl von Blackness und Alienation. Dies ist m.E. eine Basisstimmung, die den Hauptteil der Installation transportiert: Die Musik.

Produziert von Nik Nowak – der auch Beats und Tenor-Klacnisphniton spielt – ist die CD ‚Solar Sound System‘ das Werk von Niks Freundin Ronel Doual und Thomas Chapman als Vokalisten bzw. Lyricisten und dem Multi-Instrumentalisten Chris Gertges.

Schon in der Produktionsweise schwingt die Idee des Wild Bunch-Kollektivs aus Bristol mit, ein Referenzpunkt der auch in der schleppenden Dubbyness und Open-Mindness der Musik ankert (ich glaube sogar in den Drums des ersten Stückes ein Reminiszenz an Massive Attacks Blue Lines zu hören).

Auf diesem Grundgroove werden Spoken Words, jazzig bis freejazzige Saxophon-Einlagen, Clicks-n-Cuts und wunderschöne Conscious-Vocals collagiert. Alles in einer gutproduzierten Roughness, die einerseits DIY und andererseits hochprofessionell klingt.

Das hier ist das Retro von etwas, was vielleicht in dieser Konsequenz nie war: Brooklyn-Multitude, Hip-Hop, Post-Punk, State-Of-The-Art Beatprogramming, Jazz und Politik. Vielleicht ist Retro zu Unrecht als Nabelschau und Nostalgie verschrien, denn, wenn wie hier, an längst noch nicht ausformulierten Konzepten und Standards gearbeitet wird, macht das alles wieder Sinn…

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School of Stylez [Vol.2 – Dub, Grime, Dubstep] – Teil 3

(Fortsetzung von Teil 2)

Wie hat man sich eine Ethnie Dubstep vorzustellen?

„Das sind Leute, die machen Drum n‘ Bass oder Breakbeats, oder Leute, die HipHop oder Techno machen. Die versuchen jetzt alle, diese gebrochenen, minimalen Beats zu machen. Ich glaube, dadurch, dass Dubstep und Grime Fusionen aus verschiedenen Musikrichtungen sind, kommen die Leute aus allen möglichen Ecken. Und das ist schön dabei.“

Der Grime aus Deutschland rückt mit seiner fein programmierten Elektronik in Richtung Dubstep. Ich spreche hier vor allem von DJ Maxximus und seinem Berliner Label MG77.

„Hier gibt’s auch so einige Leute, die machen coole Sachen. Die Freak Camp Posse z.B. das ist eine Gruppe hier in Berlin, Dubstep DJs. Eine Partyreihe im WMF hieß Grime Time. In Maria am Ostbahnhof sind ab und zu Sachen – Bass the World findet statt im Josef, im kleinen Club von Maria. Und natürlich seit letztem Jahr alle drei Monate Dubstep-Party im Techno-Club Berghain.“

Er erzählt mir von seinen Plänen, mit anderen Berliner Künstlern eine CD oder sogar ein Doppelalbum herauszubringen. Genug Material hätte er bereits für die Compilation. Es müsste sich nur noch ein Vertrieb finden, der mutig genug ist, diese neue Musik unter die Leute zu bringen.

Lässt sich eine Theorie des Grime formulieren?

„Zum Glück gibt’s immer noch nicht diese Formel, wie man einen Song baut, was wir sehr oft in elektronischer Musik erlebt haben. Denn wenn es diese Formel gibt, dann weißt Du: erst gibt’s das Intro, dann den Break, danach geht’s los, dann nochmal Intro, und dann geht’s volle Kanne los … und das ist bei dieser Musik immer noch nicht so, es ist immer noch sehr experimentierfreudig, immer noch sehr frisch.“

Apropos frisch: was ist eigentlich die Wortbedeutung von Grime?

„Grime ist, wenn Deine Waschmaschine ausläuft, und nach sieben Jahren bewegst Du Deine Waschmaschine aus der Ecke. Das, was Du in der Ecke findest, das ist Grime (lacht).“

Wir hören Phokus aus Hamburg mit seinem Klassiker ‚Dem All Shot‘ – zu deutsch: Wir haben alle abgeschossen.

„Die spielen natürlich wieder mit dieser Provokationstechnik, was ja auch Punkrock damals gemacht hat, so zu schocken, deswegen benutzen die auch ziemlich aggressive Texte.“

Zu uns gesellt sich DJane Spoke, um neue Platten zu hören. Sie berichtet von ihrem aktuellen Projekt mit einem Kollegen namens Wasserstoff. Sie arbeiten an einem Sound, den sie TechDub nennen, eine langsame Form von klassischem Techno, gemischt mit Dub und 2step-Einflüssen: „Auf der Party im RAW haben die Leute geschrieen vor Vergnügen! Am Ostersonntag im Rosi’s werde ich unseren neuen zweiten Track zum ersten mal spielen.“

Ich mache mich auf den Heimweg und höre die Abendglocken läuten. Funk, Dub, Disco, Electro, HipHop, House, Techno, Breakbeat, 2step, R‘ n‘ B, Grime, Dubstep … Diese Begriffe aus 40 Jahren Musikgeschichte umkreisen meinen Kopf wie kleine zwitschernde Vögelchen:

Ob Dean für seine deutsche Grime-Compilation einen Vertrieb finden wird? – Werden die Dubstep-Parties im Berghain auch weiterhin gut besucht sein? – Gibt es eigentlich schon Dub-Jazz? – Habe ich nicht zuhause noch eine CD mit Balkan-Dub? – Und was hat Dean beim Abschied doch gleich gesagt?

„Ich bin sicher, das wird jetzt mehr und mehr, weil, ich merke auch, hier in Deutschland sind mehr und mehr Leute, die das produzieren.“

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School of Stylez [Vol.2 – Dub, Grime, Dubstep] – Teil 2

(Fortsetzung von Teil 1)

Plötzlich sprechen wir von Grime:
„Grime ist eigentlich so eine Art UK HipHop. Er ist sehr MC-basiert. Sehr experimentell, sehr minimal. Am Anfang haben viele Kids ihre Tunes einfach auf der Playstation produziert. Die Grime-Szene ist wirklich sehr, sehr jung, die sind alle so 18, 19.“

Die musikalischen Einflüsse, die Grime in sich vereint, sind sehr vielfältig. Als Bruder von Dubstep sind seine nächsten Verwandten House, HipHop, R‘ n‘ B einerseits und Reggae, Dub sowie Raggamuffin andererseits. Diese dynamische Mixtur kommt aus dem Osten Londons. Hier leben die Kinder und Kindeskinder karibischer und afrikanischer Einwanderer aus dem Commonwealth. Unter dem Dach des UK entsteht hier im wahrsten Sinne des Wortes Weltkultur.

„Worüber die Jungs in den Songs reden – da kommt schon ziemlich hartes Zeug. Dieses ganze Gang bzw. Ghetto Thing … Die Szene ist auch, muss man sagen, relativ gewalttätig. Ich kenne Typen aus London, die gesagt haben, dass sie so was in England nicht spielen können, weil sich kein Promoter traut, das zu promoten. Da gibt’s ständig irgendwelche Schießereien, Stechereien. Aber musikalisch ist es sehr entspannt.“

Grime – Artikulation eines Teils der Jugend, der sich darüber im klaren ist, vom Geburtsland niemals vollständig angenommen zu werden, während der Weg in die alte Heimat der Väter abgeschnitten ist.

Dubstep – ein seltsamer Hybrid aus Dub und 2step. 2step ist, wenn man so will, eine Weiterentwicklung des House aus den späten 90er Jahren. Wesentlich am 2step ist seine vom Breakbeat beeinflusste, stark synkopierte Rhythmik, die eine Art Ziehen verursacht und fast unweigerlich dazu führt, dass der Hörer seine Tanzbewegungen auf einen Zweischritt, den 2step, koordiniert. Etwa so: Links-rechts, rechts-links, links-rechts, rechts-links … Eine Art von Disco-Fox also, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, dass Housemusic im Disco der 70er wurzelt.

Folgende Linie lässt sich also ziehen: Disco – House – 2step. Und die fröhliche Tanz- und Partymusik trifft völlig unerwartet auf – Dub. Aus 2step wird Dubstep. Melancholie aus dem Londoner Süden.

„Dubstep ist ernsthafter, würde ich sagen. Das merkt man gleich bei der Musik, Dubstep ist eher monoton, mehr deep. Grime ist eher so … Kids halt, die es sich beweisen wollen auf die eine oder andere Weise. Dubstep ist sehr gebrochen, sehr minimalistisch. Ich will es vielleicht mal so unterscheiden: Grime ist eher schwarze Musik, und Dubstep geht schon wieder in die weiße Richtung, wo du Produzenten hast, die stundenlang frickeln und Monsterbässe machen.“

Fortsetzung folgt…

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School of Stylez [Vol.2 – Dub, Grime, Dubstep] – Teil 1

Ein Gespenst geht um in Europa: Dub, Grime, Dubstep. Seit den frühen 90er Jahren mit Techno, Breakbeat und TripHop, so wage ich zu behaupten, hat es keinen derart neuen Sound in der Popmusik gegeben. Was ist Dub? Was ist Grime? Was ist Dubstep?!

Sie mögen sich nun, liebe Leser, zurückgelehnt haben und zu sich selbst sagen: „Törichtes Gedröhne! Muss ich mir das antun? Musik von Underclass-Kids mit mangelhafter Bildung und Migrationshintergrund, aus Großstadtghettos, mit Gewaltpotential … da ist ja nicht mal ne richtige Melodie bei.“ Und Sie mögen damit recht haben. Aber Tatsache ist: Das Zeug rockt wie die Hölle.

Ich werde mich an einer Darstellung der Phänomene Dub, Grime, Dubstep versuchen, die sich an folgenden drei Disziplinen der Musikwissenschaft orientiert: Musikgeschichte, Musiktheorie, Musikethnologie. Welche historischen Wurzeln hat Dub? Lässt sich eine Theorie des Grime formulieren? Wie hat man sich eine Ethnie Dubstep vorzustellen, also einen Stamm, der Dubstep produziert und konsumiert?

Ich suche das Gespräch und fahre mit der Straßenbahn nach Berlin-Friedrichshain. Mein Weg führt mich in die Mainzer Straße zum Plattenladen Tricky Tunes. Sie werden es schon ahnen, liebe Leserinnen und Leser, es handelt sich hier um den wahrscheinlich coolsten Plattenladen der Stadt. „Bassline Provider“ steht auf dem Ladenschild geschrieben, und der Mann, den ich hier treffe, kann mit Fug und Recht „Koryphäe“ genannt werden. Dean Bagar alias Tricky D, seines Zeichens DJ, Besitzer von Tricky Tunes und Owner des gleichnamigen Labels. Seinen Laden betreibt er seit sieben Jahren. Seit Anfang der 90er lebt er in Berlin, davor war er ein paar Jahre in London. Geboren und aufgewachsen ist er im heutigen Kroatien, und gerade kommt er von einer Reihe von Veranstaltungen in europäischen Ländern zurück, bei denen Dean als Tricky D mit seinem Soundsystem mitgewirkt hat.

„Dub entwickelt sich. Es ist wirklich eine sehr, sehr breite musikalische Richtung, wenn es um Dub geht. Die Wurzeln liegen auf jeden Fall im Reggae.“

Zu Beginn der goldenen 70er Jahre wurde in Jamaika eine Musikproduktionstechnik entwickelt, die in den folgenden Jahrzehnten eine ungeahnte Wirkung auf die gesamte Ästhetik der Popmusik haben sollte. Es war eine sanfte Revolution, die hier in den Tonstudios der Karibik ihren Ausgang nahm. Sie bestand im schlichten Weglassen der meisten Tonspuren eines Reggae-Songs, bis nur noch Rhythmus und Basslinie übrig blieben. Aus dieser rhythmisch-harmonischen Verdichtung konnten im zweiten Schritt neue Klangräume erschlossen werden.

Durch Ein- und Ausblenden, Zu- und Wegschalten der Gesangs- und Instrumentalspuren mit reichlich Hall und Echo. Der Akt der Umwälzung vollzog sich also auf medialer Ebene: Das Mischpult im Tonstudio wurde zum Musikinstrument. Von der Dub-Technik zum „Musikant mit Taschenrechner in der Hand“ war es nur noch ein Schritt.

Der Einfluss des Dub, der inzwischen eine eigene musikalische Richtung geworden ist, ist stilübergreifend und international. Seinen Niederschlag fand er zweifelsohne in der neuen Elektronischen Musik der Gruppe Kraftwerk, deren „Trans Europa Express“ wiederum den frühen amerikanischen HipHop geprägt hat, der seinerseits im Funk eines James Brown wurzelt.

So entwickelte sich ein Sound für die Zukunft: Dub-Ästhetik, Mensch-Maschinen, Funkyness und die Power der Deklassierten.

Fortsetzung folgt…

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Tipanic & Chacki Chen aka The Mooshipeters – She Likes To [BH003]

Erstmal zum Wesentlichen: Das dritte Releases aus dem Hause Big-N-Hairy von Florian Richling aka Tipanic und dem Drum n‘ Bass-Veteranen Chacki Chen ist ein – um einen leicht pornografisch-cheesy Vocoder-Vocal („she likes to f**k me in the morning“) herum arrangierter – straight-forward Stomper, handwerklich gut gemacht und mit an Dubstep geschulten tiefen wobbligen Bässen, mit einem echt merkwürdigen Break nach ca. drei Minuten.

She Likes To

Die Frage bei den Releases von Tipanic auf Big-N-Hairy scheint mir allerdings eher zu sein, für wen diese Musik eigentlich produziert wird: Mit beiden Augen auf den Dancefloor und das Hands-In-The-Air schielend (oder eher starrend), State-Of-The-Art-Producing mit allen technischen Raffinessen, aber irgenwie blutleer und zu bemüht den Big-Beat-verseuchten Dancefloor zu erobern. Mehr Form als Inhalt, aber ohne die eklektische Galanterie der Postmoderne.

Der Edelsüss Spezial Remix nimmt etwas Tempo raus und groovt Motorbasshaft-housig, was ziemlich swingt und spätestens nach Minute 2:40 den letzten Arsch zum Tanzen gebracht hat.

Der Australier Wax Motif verleiht dem Track ein Disco/Breaks/Tech-House-Gewand mit Space Invaders-Synthesizern und -bleeps, verfällt aber im Laufe des Tracks zu sehr in ausgelatschte Vorstellungen von Dynamik und Trackstruktur.

Spätestens beim Remix von Nicole Hensei aka Ravissa beginnt das Vocal wirklich zu nerven, wofür der ordentlich pumpende Electrohouse-Track – der rasant an Fahrt gewinnt – eigentlich garnix kann. Mehr von den weiblichen Vocalsamples hätte ich mir gewünscht, ansonsten echt OK…

Der Bonustrack pair of kings hat auf der Vocal-Schiene ein besseres Händchen, leider blitzt hier wieder Tipanics Vorliebe zu >Rockbeats und -gitarrensounds durch, die ich nicht wirklich teile.

Durchschnittliche, gut produzierte Club-Single, die sicher ihre Fans finden wird.

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Quarta 330 – Sabacco [Hyperdub]

Wo wir gerade schon bei Post-Dubstep waren, Dubstep scheint ja gerade nach allen Ecken auszufransen bzw. nach Input aus immer spezialisierteren Ecken zu forschen.

Der Japaner Quarta 330 kommt mit 8Bit-Chiptunez im jahtari.org-Style um die Ecke, aber mit deutlich mehr Bass als jemals aus einem 8Bit-Chip gequetscht wurde. Ich hatte ja schon im jahtari-Post über die Beziehung von Dub zu 8Bit-Musik philosophiert und wundere mich jetzt, wie global-kompatibel dieser jugendkulturelle Link scheinbar ist.

Sabacco

Für eine 12″ lang – Sabacco auf Hyperdub – löst sich das Versprechen eines musikalischen Äquivalents zum Science-Fiction-Genre Cyberpunk ein und ist gleichzeitig höchst Dubstep-Floor tauglich. Mit der Katalognummer HDB017 released Hyperdub eine roughe, primitive Style-Synthese die eine strange, nostalgische Form von Vertrautheit verströmt.