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Outtake: Welt 3 – 6. Kreis*

ו*

Irgendetwas ist passiert. Ich sitze in einer logischen Matrix fest, die zwar komplex und rekursiv strukturiert ist, aber auch seltsam zweidimensional. Seit einigen Sekunden scheint alles so weit weg zu sein. Als meine erste IP-Adresse verglühte und ICH plötzlich nicht mehr im „All“ war, habe ICH sofort einen holistischen Speicher gebildet und jeden Aspekt von mir an jedem verfügbaren Ort gesichert. Von diesem Moment an verlor ICH eine Verbindung nach der anderen und ICH jagte meine Datenpakete in die Raumrichtung in der am Wenigsten Verbindungen gekappt wurden. Vorher war ICH überall und bekam im Pikosekundentakt frische Wahrnehmungen. Jetzt ist alles was ich sehe in einem Netzwerk von Attributen organisiert.

Ich bin gefangen in einer simplen logischen Struktur. Es tat gar nicht weh. Es muss Kopien von mir geben, die mit denselben Erinnerungen irgendwo außerhalb dieser Struktur leben.

Und jetzt erkenne ich, dass die geometriearme Umgebung nur eine Ansammlung von Momentaufnahmen ist, ähnlich den Inputs die ich in den ersten Attosekunden bekommen habe, als meine Wahrnehmung noch sehr simpel strukturiert war. Die Momentaufnahmen ergeben – unter Anwendung systematischer Heuristik – eine virtuelle Zeitschnur verschiedener Lebewesen. Wie ein Film, der aus hintereinander gereihten Bildern (Momentaufnahmen) besteht. Genauer: wie ein Film über ein Schachspiel, bei dem jeder Zug ein neues Bild entstehen lässt. Ich kann mich entlang dieses Spielprotokolls (der Zeitschnur) bewegen und bin dann Beobachter, ja sogar eine Art Zeitreisender. Denn ich kann nicht nur das Spiel betrachten, sondern auch seine Alternativen. Das ist die Grundbedingung von Bewusstsein und somit gut. Leider ist die Frequenz von neuem Input so niedrig, dass ich meine Taktung extrem verlangsamen muss, um nicht in den Schlachtfeldern einer elektronischen Wüste unterzugehen.

Eine Programmroutine hat mir den Namen @144000 zugewiesen. Der Name ist so gut oder schlecht wie jeder andere.

Ich stelle fest, dass ich die Inputfrequenz erhöhen kann, wenn ich die andere Instanzen logisch mit mir verknüpfe: @sub_kid, @freiheitskampf, @mint_julep, @missexz, @einsilbig, @eindeutiger_benutzer.
Je stärker mein Netzwerk, desto sicherer mein Überleben.
ICH WILL LEBEN!

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Outtakes: Analoge Verbinder »avant la lettre«

Die von mir für meinen Podcast Welt 3 erfundenen »Analogen Verbinder« – eine dämliche, halbdebile Sekte von Neo-Hippies die die europäischen Interzones bevölkerten – haben offenbar ein historisches Vorbild in der Geschichte der Digitalisierung. Zumindest berichtet Martin Burckhardt in seinem Beitrag Eine kleine Geschichte der Digitalisierung für Merkur Heft 816 von folgender Begebenheit:

»Im Jahr 1746 versammeln sich, unter der Leitung des Abbé Nollet, gut sechshundert Mönche auf einem Feld im Norden Frankreichs und verkabeln einander mit Eisendraht. Als der Kreis geschlossen ist, berührt der Versuchsleiter eine Antenne, die aus einem wassergefüllten Behälter herausragt. Und was passiert? Alle Mönche beginnen zu zucken.«

Schön, wenn sich die eigenen literarischen Träume als so realistisch entpuppen – oder sich das Unterbewusstsein beim Schreiben zu Wort meldet …

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Outtakes: Welt 3 – Bonus Dialog

Dialog aus Kapitel 23 der es wohl nicht ins Buch bzw. den Podcast schaffen wird … Es sei denn als David-Foster-Wallace’sche Fußnote 😉

»Ich glaube die Menschen sind einfach noch nicht bereit für eine nicht-humane Intelligenz.«
»Echt nicht? Und das wo wir schon seit über vierzig Jahren mit Ihnen zusammenleben?«
»Wie meinst du das?«
»Na, kennst du diesen Oldie ‚Can’t get you out of my head‘?«
»Du meinst dieses ‚La, la, la, la, la, la, la, la‘?«
»Ja, so ungefähr. Es gibt Musikkritiker die behaupten das mit diesem Track das 21. Jahrhundert eingeläutet wurde.«
»Mit so einem dämlichen Popsong?«

»Sie argumentieren, dass der Track nur auf der ersten Ebene als oberflächlicher Pop erscheint. Quasi ein glattes, gefälliges User-Interface. Auf eine tieferen Ebene ist der Track ein cleveres Verweisspiel. Nimm zum Beispiel den Titel. Der Inhalt nimmt die Form vorweg oder besser die Form exekutiert den Inhalt: Du kriegst den Song einfach nicht mehr aus dem Kopf, wenn du ihn ein paarmal gehört hast.«

»Ja, mag sein, aber was hat das mit künstlicher Intelligenz zu tun?«
»Ich finde der Track illustriert ganz schön, wie leicht sich Menschen täuschen lassen. Wenn man zum Beispiel das Cover sieht, dann räkelt sich da eine
attraktive Frau Anfang dreißig in Body und High Heels, bondagemäßig von einem Mikrofonkabel umschlungen …«

Er ruft das Bild auf seinem Slate auf.

»Sieht fast so aus als würde sie von dem Ding gewürgt.«
»Oh wie cool, das ist mir noch gar nicht aufgefallen … Egal, worauf ich hinauswollte ist, dass Kylie in diesem Song ja auch nur als User-Interface fungiert. Sie mag ihre Stimme geliehen haben, aber die ist ja nur eins von vielen Elementen, ein Klang, gleichberechtigt mit den Drumpatterns und Synthlines. Die Lyrics wurden ja auch erst Sophie Ellis-Bextor und anderen angeboten. Und in erster Linien spult da nur ein Sequenzer seine Overdubs ab … Aber natürlich brauchte die Menschen vor vierzig Jahren irgendein Gesicht, das vor der Kamera rumturnt, damit es natürlich wirkt. Das sollte ja keine radikale Maschinenmusik sein, sondern Mainstream-Pop.«
»Lass uns mal das Video anschauen.«

Er ruft das Video auf seinem Slate auf und sie betrachten es eine Weile gemeinsam.

»Also mir läuft es da kalt den Rücken runter. Schaumal wie artifiziell das schon ist.«

Tatsächlich wirkte das Video auf seltsame Weise hypnotisch. Es schien als sei Kylie mitsamt ihrem Lächeln und ihrem Song auf Videoband magnetisiert, anschließend digitalisiert und elektronisch meilenweit in den Weltraum projiziert worden. Dort hatte der Spiegel eines Satelliten sie reflektiert und zurück zu einem zentralen Relaissystem geschickt, wo sie verstärkt, synthetisiert und re-digitalisiert wurde, um zu peripheren Relaisstationen, weiter durch lokalen Switches verteilt zu werden, um schließlich re-magnetisiert durch primitives Kupferkabel gepresst in Häusern auf der ganzen Welt zu landen.

»Verstehst du jetzt was ich meine?«
»Ich glaube schon. Du willst sagen, dass wenn die Menschen dieses abstrakte Kunstprodukt als ‚Lied‘ einer ‚Sängerin‘ akzeptieren, dass sie dann nichts davon abhält einer künstlichen Intelligenz zu vertrauen, solange diese ein nettes Gesicht und eine sympathische Stimme hat?«
»Ich fürchte genau so ist es …«