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Mute Magazine

Manchmal möchte man einen Überblick bekommen, was eigentlich wirklich los ist in der digitalen Welt.

Das britische Magazin Mute und die Online-Version Metamute sind so etwas wie die ZEIT oder die Lettre International für linke, freiheitliche oder meinetwegen auch post-politische Netzbewohner. (Bei Mute bekommt man sowieso erstmal erklärt was so etwas wie Post-Politik überhaupt bedeuten könnte.)

Das Magazin beschäftigt sich nach eigener Aussage mit Folgendem:

(We) develop and refine key areas of analysis and coverage which help to stir up complacent thinking around politics, technology, labour, the city, art, music and everything in between.

– Es geht um die Bedingungen von Produktion in sogenannten „immateriellen Zeiten“ und um die Fantasie vieler digitaler Bohèmiens auf so etwas wie „thin air“ zu leben.
– Es geht um ein Leben in den engen Räumen von standardisierter Technologie, neoliberalen Institutionen und „alternativlosen“ Sparzwängen.
– Es geht um eine Tiefenanalyse der kapitalistischen Krise, die keine Euro-Rettung und keine „Aufstand der Macher“ verhindern wird.
– Es geht um die „kreative Ökonomie“ und deren Übernahme von ehemals widerständigen Formen wie Partizipation und Selbst-Organisation.

Und um vieles mehr. Wer also keine Angst vor der englischen Sprache hat und mehr will als nur dem nächsten digitalen Trend hinterher zu laufen, der ist bei Mute richtig.

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Ametsub – The Nothings of The North [Mille Plateaux]

Ungefähr fünf Jahre nach dem Zeitpunkt an dem die Frage, ob es Mille Plateaux-Labelbetreiber Achim Szepanski jemals ernst war mit den Verweisen auf das Hauptwerk der französischen Poststrukturalisten Deleuze und Guattari, keinen mehr interessiert hat, steht das einstige Force Inc. Sublabel wieder in den Startlöchern, sogar mit eigenem Sublabel Cluster.

Meiner Meinung nach hat der Mille Plateaux-Betreiber die Theorie des Rhizoms eher in der populären Auslegung der Medientheorie – als Metapher zur Beschreibung von Hypertext-Netzwerken – verstanden und somit eine zwar komplexe, aber seinerzeit übliche techno- technikaffine Metapher für die Musik geschaffen. Folgerichtig gehörten auch die genrebildenden Clicks&Cuts-Compilations, die die CPU und ihre Fehler zum musikalischen Gegenstand erhoben, zum zentralen Oeuvre des Labels.

Diese Compliation findet jetzt ihre späte Fortsetzung in der Version 5.0 Paradigm Shift. Das Cover erinnert an frühere Autechre-Platten, aber halt, um die Compilation soll es hier gar nicht gehen. Ich habe sie ein paarmal nebenher laufen lassen, aber bisher ist noch nicht viel hängengeblieben. Eine Platte die aber durchaus meine Aufmerksamkeit erregt hat, ist das Album The Nothings Of The North von Ametsub aus Tokyo.

Die Musik vom Ametsub ist eine leise aber hochkonzentrierte Meditation über eisgesprenkelte Landschaften. Beim ersten Hören macht die Musik den Eindruck von Fragilität und Belanglosigkeit, wie ein hübsches aber uninspiriertes Gemälde. Dann entdeckt man aber den entscheidenenden Farbtupfer, den musikalischen Kontrapunkt, sei es ein hübsch sägender Mikrokorg, wie wir ihn von Dorian Concept kennen, oder eine Fennesz-eske Rauschperkussion.

Das Album dürfte sein volles Potential erst im Herbst entfalten, wenn die Zeit für längere Listeningsession wiederkommt und insofern war der VÖ-Termin etwas unglücklich gewählt. Jetzt kaufen, im Oktober auspacken …

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School of Stylez [Vol.2 – Dub, Grime, Dubstep] – Teil 3

(Fortsetzung von Teil 2)

Wie hat man sich eine Ethnie Dubstep vorzustellen?

„Das sind Leute, die machen Drum n‘ Bass oder Breakbeats, oder Leute, die HipHop oder Techno machen. Die versuchen jetzt alle, diese gebrochenen, minimalen Beats zu machen. Ich glaube, dadurch, dass Dubstep und Grime Fusionen aus verschiedenen Musikrichtungen sind, kommen die Leute aus allen möglichen Ecken. Und das ist schön dabei.“

Der Grime aus Deutschland rückt mit seiner fein programmierten Elektronik in Richtung Dubstep. Ich spreche hier vor allem von DJ Maxximus und seinem Berliner Label MG77.

„Hier gibt’s auch so einige Leute, die machen coole Sachen. Die Freak Camp Posse z.B. das ist eine Gruppe hier in Berlin, Dubstep DJs. Eine Partyreihe im WMF hieß Grime Time. In Maria am Ostbahnhof sind ab und zu Sachen – Bass the World findet statt im Josef, im kleinen Club von Maria. Und natürlich seit letztem Jahr alle drei Monate Dubstep-Party im Techno-Club Berghain.“

Er erzählt mir von seinen Plänen, mit anderen Berliner Künstlern eine CD oder sogar ein Doppelalbum herauszubringen. Genug Material hätte er bereits für die Compilation. Es müsste sich nur noch ein Vertrieb finden, der mutig genug ist, diese neue Musik unter die Leute zu bringen.

Lässt sich eine Theorie des Grime formulieren?

„Zum Glück gibt’s immer noch nicht diese Formel, wie man einen Song baut, was wir sehr oft in elektronischer Musik erlebt haben. Denn wenn es diese Formel gibt, dann weißt Du: erst gibt’s das Intro, dann den Break, danach geht’s los, dann nochmal Intro, und dann geht’s volle Kanne los … und das ist bei dieser Musik immer noch nicht so, es ist immer noch sehr experimentierfreudig, immer noch sehr frisch.“

Apropos frisch: was ist eigentlich die Wortbedeutung von Grime?

„Grime ist, wenn Deine Waschmaschine ausläuft, und nach sieben Jahren bewegst Du Deine Waschmaschine aus der Ecke. Das, was Du in der Ecke findest, das ist Grime (lacht).“

Wir hören Phokus aus Hamburg mit seinem Klassiker ‚Dem All Shot‘ – zu deutsch: Wir haben alle abgeschossen.

„Die spielen natürlich wieder mit dieser Provokationstechnik, was ja auch Punkrock damals gemacht hat, so zu schocken, deswegen benutzen die auch ziemlich aggressive Texte.“

Zu uns gesellt sich DJane Spoke, um neue Platten zu hören. Sie berichtet von ihrem aktuellen Projekt mit einem Kollegen namens Wasserstoff. Sie arbeiten an einem Sound, den sie TechDub nennen, eine langsame Form von klassischem Techno, gemischt mit Dub und 2step-Einflüssen: „Auf der Party im RAW haben die Leute geschrieen vor Vergnügen! Am Ostersonntag im Rosi’s werde ich unseren neuen zweiten Track zum ersten mal spielen.“

Ich mache mich auf den Heimweg und höre die Abendglocken läuten. Funk, Dub, Disco, Electro, HipHop, House, Techno, Breakbeat, 2step, R‘ n‘ B, Grime, Dubstep … Diese Begriffe aus 40 Jahren Musikgeschichte umkreisen meinen Kopf wie kleine zwitschernde Vögelchen:

Ob Dean für seine deutsche Grime-Compilation einen Vertrieb finden wird? – Werden die Dubstep-Parties im Berghain auch weiterhin gut besucht sein? – Gibt es eigentlich schon Dub-Jazz? – Habe ich nicht zuhause noch eine CD mit Balkan-Dub? – Und was hat Dean beim Abschied doch gleich gesagt?

„Ich bin sicher, das wird jetzt mehr und mehr, weil, ich merke auch, hier in Deutschland sind mehr und mehr Leute, die das produzieren.“

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School of Stylez [Vol.2 – Dub, Grime, Dubstep] – Teil 1

Ein Gespenst geht um in Europa: Dub, Grime, Dubstep. Seit den frühen 90er Jahren mit Techno, Breakbeat und TripHop, so wage ich zu behaupten, hat es keinen derart neuen Sound in der Popmusik gegeben. Was ist Dub? Was ist Grime? Was ist Dubstep?!

Sie mögen sich nun, liebe Leser, zurückgelehnt haben und zu sich selbst sagen: „Törichtes Gedröhne! Muss ich mir das antun? Musik von Underclass-Kids mit mangelhafter Bildung und Migrationshintergrund, aus Großstadtghettos, mit Gewaltpotential … da ist ja nicht mal ne richtige Melodie bei.“ Und Sie mögen damit recht haben. Aber Tatsache ist: Das Zeug rockt wie die Hölle.

Ich werde mich an einer Darstellung der Phänomene Dub, Grime, Dubstep versuchen, die sich an folgenden drei Disziplinen der Musikwissenschaft orientiert: Musikgeschichte, Musiktheorie, Musikethnologie. Welche historischen Wurzeln hat Dub? Lässt sich eine Theorie des Grime formulieren? Wie hat man sich eine Ethnie Dubstep vorzustellen, also einen Stamm, der Dubstep produziert und konsumiert?

Ich suche das Gespräch und fahre mit der Straßenbahn nach Berlin-Friedrichshain. Mein Weg führt mich in die Mainzer Straße zum Plattenladen Tricky Tunes. Sie werden es schon ahnen, liebe Leserinnen und Leser, es handelt sich hier um den wahrscheinlich coolsten Plattenladen der Stadt. „Bassline Provider“ steht auf dem Ladenschild geschrieben, und der Mann, den ich hier treffe, kann mit Fug und Recht „Koryphäe“ genannt werden. Dean Bagar alias Tricky D, seines Zeichens DJ, Besitzer von Tricky Tunes und Owner des gleichnamigen Labels. Seinen Laden betreibt er seit sieben Jahren. Seit Anfang der 90er lebt er in Berlin, davor war er ein paar Jahre in London. Geboren und aufgewachsen ist er im heutigen Kroatien, und gerade kommt er von einer Reihe von Veranstaltungen in europäischen Ländern zurück, bei denen Dean als Tricky D mit seinem Soundsystem mitgewirkt hat.

„Dub entwickelt sich. Es ist wirklich eine sehr, sehr breite musikalische Richtung, wenn es um Dub geht. Die Wurzeln liegen auf jeden Fall im Reggae.“

Zu Beginn der goldenen 70er Jahre wurde in Jamaika eine Musikproduktionstechnik entwickelt, die in den folgenden Jahrzehnten eine ungeahnte Wirkung auf die gesamte Ästhetik der Popmusik haben sollte. Es war eine sanfte Revolution, die hier in den Tonstudios der Karibik ihren Ausgang nahm. Sie bestand im schlichten Weglassen der meisten Tonspuren eines Reggae-Songs, bis nur noch Rhythmus und Basslinie übrig blieben. Aus dieser rhythmisch-harmonischen Verdichtung konnten im zweiten Schritt neue Klangräume erschlossen werden.

Durch Ein- und Ausblenden, Zu- und Wegschalten der Gesangs- und Instrumentalspuren mit reichlich Hall und Echo. Der Akt der Umwälzung vollzog sich also auf medialer Ebene: Das Mischpult im Tonstudio wurde zum Musikinstrument. Von der Dub-Technik zum „Musikant mit Taschenrechner in der Hand“ war es nur noch ein Schritt.

Der Einfluss des Dub, der inzwischen eine eigene musikalische Richtung geworden ist, ist stilübergreifend und international. Seinen Niederschlag fand er zweifelsohne in der neuen Elektronischen Musik der Gruppe Kraftwerk, deren „Trans Europa Express“ wiederum den frühen amerikanischen HipHop geprägt hat, der seinerseits im Funk eines James Brown wurzelt.

So entwickelte sich ein Sound für die Zukunft: Dub-Ästhetik, Mensch-Maschinen, Funkyness und die Power der Deklassierten.

Fortsetzung folgt…

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DJ Food – Raiding The 20th Century Mix

Ich hatte in meinem letzten Post – über das Buch Words and Music von Paul Morley – schon den MashUp-Pastiche-Mix Raiding the 20th Century von DJ Food erwähnt, der quasi die musikalische Version des Buches von Morley darstellt und tatsächlich von einem Alvin Lucier-Sample eröffnet und von Kylie Minogues ‚Can’t Get You Out Of My Head‘ beendet wird.

Gleichzeitig fasst dieser Mix vieles, was auf der letztwöchigen Veranstaltung Recyling_Sampling_Jamming verhandelt wurde, besser zusammen, als es eine minutiöse Wiedergabe der Fülle an Vorträgen, Diskussionen und Musikbeispielen leisten könnte. (Wer dies trotzdem will, kann sich auf der Website die umfangreichen Podcasts anhören.)

Strictly Kev hat den Mix am 18ten Januar 2004 auf XFM’s The Remix Show in London gesendet und damit einen auditiven Katalog der Geschichte der Cut-Up Musik erstellt. Part 1 beginnt mit einem Rundumschlag bekannter Bastardpop Mash-Ups um den Sachverhalt vorzustellen und leitet über zur Historie in Part 2: Avantgarde Tape Manipulation, Minimal Musik und Musique Concrète.

Part 3 featured mit Turntable-Megamixen und Cut n‘ Paste-Tracks von u.v.a. Bomb The Bass, Coldcut, M/A/R/R/S, Mantronix und Steinski die Old School der Samplekunst, während Part 4 gewissermaßen die New School repräsentiert. Part 5 stellt dann die Synthese in Form populärer Bastardpop Mash-Ups – wie in Part 1 angerissen – dar.

Eine Reise die den auditiven Cortex neu formatiert. Let’s Begin!

[audio:https://media.sas.upenn.edu/pennsound/authors/DJFood/DJ_Food_-_Raiding_the_20th_century.mp3]
DJ Food – Raiding the 20th Century – Words & Music Expansion
[via ubu.com]

Tracklist:
[Weiterlesen]

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Paul Morley – Words And Music

„… es scheint als sei sie (Kylie Minogue) mitsamt ihrem Lächeln und ihrem Song auf Videoband magnetisiert, anschließend digitalisiert und elektronisch meilenweit in den Weltraum projiziert worden, dort hat das Antlitz eines Satelliten sie reflektiert und zurück zu einem zentralen Relaissystem geschickt, wo sie verstärkt, synthetisiert und re-digitalisiert wurde, um zu peripheren Relaisstationen, weiter durch lokalen Switches verteilt zu werden, um schließlich re-magnetisiert durch primitives Kupferkabel gepresst in Häusern auf der ganzen Welt zu landen.“
Paul Morley (Übersetzung: Sub_Kid)

Dieser Satz, den ich mir erlaubt habe aus dem – bisher nur in Englisch bei bloomsbury publishing erschienenen – Meisterwerk Words and Music: A History of Pop in the Shape of a City von Paul Morley zu übersetzen, umreißt brilliant die ästhetische Theorie der Popmusik die Morley in seinem Buch entwickelt.

Words and Music Cover

Paul Morley, Ex-NME-Schreiber und Mitgründer des Plattenlabels ZTT Records und der Band Art of Noise, ist einer der ‚Schöpfer‘ eines postmodernen Schreibstils über Musik und passionierter Popfan.

Anhand der dichotomen Pole ‚Can’t Get You Out Of My Head‘ von Kylie Minogue und ‚I Am Sitting In A Room‘ von Alvin Lucier hebt Morley zu einer mitreißenden Prosa über die Liebe zur Musik, ihrer gleichzeitigen Immaterialität und Körperlichkeit, ihrer biografischen Relevanz und ihrem verführerischen Glanz an und ermutigt seine Leser noch mehr und noch besser zuzuhören.

Kein Satz, der nicht mit verblüffenden Anschauungen operiert, keine eingeschobene Randbemerkung bei der man nicht wild kopfnickend zustimmen will, ein großes Buch, das hoffentlich auch bald einen Übersetzer finden wird.

Kylie Minogue und ihren unentrinnbaren Ohrwurm wird jeder kennen, aber Luciers Stück wohl eher nicht so viele. Das Stück ‚I Am Sitting in a Room‘ hat der Avantgarde-Komponist Alvin Lucier 1969 eingespielt. Eine von ihm gesprochene Ton-Aufnahme wird in einem normalgroßen Raum abgespielt und gleichzeitig eine Aufnahme davon gemacht. Diese wird wiederum in denselben Raum gespielt und gleichzeitig aufgenommen. Dieser Vorgang wird so oft wiederholt bis die Stimme der Aufnahme nicht mehr zu verstehen ist, sondern nur noch die vielfach multiplizierte Raum-Akustik hörbar ist.

[audio:http://ubumexico.centro.org.mx/sound/source/Lucier-Alvin_Sitting.mp3]
Alvin Lucier – I Am Sitting In A Room [Original Recording]
[via ubu.com]

Sowohl Alvin Lucier als auch Paul Morley haben Strictly Kev von DJ Food zu seinem großen MashUp-Pastiche-Mix Raiding the 20th Century inspiriert. Später mehr dazu …

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Editorial – Back In 2009

So, da wären wir wieder. Die Geburtswehen des neuen Jahres sind überstanden, ich bin vor kurzem von einer Rundreise durch Deutschland, Österreich und (short but impressing) Tschechien und mit einem Sack voller kultureller Eindrücke zurückgekehrt.

Das Jahr 2008, in dem ich mehrfach ankündigte durch möglichst bedingungslose Affirmation jedes auch noch so seltsamen Web2.0-Phänomens eine Implosion der Realität im Baudrillardschen Sinne zu initiieren und sixgroups.com, twitter.com sowie laut.fm beitrat, schien für mich im Abgang dann doch das Jahr der Rückkehr des Analogen zu sein.

Web-Phänomene wie der Techno-Viking, die Geschichte der Netzkünstlerin CYM – die ich auf der interfiction kennenlernte und die sich quasi aus dem Cyberspace in die reale Welt (zurück-)katapultiert hat wirkte auf mich, als wenn die Web2.0-Generation verzweifelt versucht, die Skills n‘ Techniques aus dem Web, zurück auf die Straße bzw. in die Physis des menschlichen (Wikinger-)Körpers zu transferieren.

Eine teilweise Abkehr von der reinen Zeichenhaftigkeit und eine Wiederentdeckung von so etwas wie dialektischem Materialismus, teils aus der Not geboren, als Kunst- und Kulturproduzent schrittweise zu verarmen, wie Ekkehard Ehlers und Björn Gottstein in der Konferenz Audio Poverty im Februar darlegen werden, teils aus der Erkenntnis, dass Virtualität ohne Orgasmus, blaue Flecken und Schweiß auf Dauer sehr eintönig und das Leben als reine Idee dann doch sehr kreislaufschädlich sein kann.

Die Web-Energiedebatte keimte en passant auf und lieferte uns die Vorboten des Schocks, dass die massenhafte Verfügbarkeit von Energie vielleicht doch keine logische Folge der Evolution des Menschen ist, sondern das Ergebnis einer zufälligen Entdeckung von fossilen Brennstoffen, über die das Säugetier Mensch gestolpert ist.

Dies hindert allerdings nicht bisher eher Web2.0-unverdächtige Einrichtungen wie die Berliner Philharmoniker eine Digital Concert Hall einzurichten, auf der seit dem 6. Januar die Konzerte (ab 9,90 Euro) in die ganze Welt übertragen werden.

Es bleibt also weiterhin spannend an der Urban Electronic Culture-Front.

Stay Tuned!

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interfiction XV/2008 – Re/Cycling Invention

Vom 14.-16. November 2008 findet begleitend zum 25. Kasseler Dokumentarfilm- & Videofest zum fünfzehnten Mal die interdisziplinäre Workshop-Tagung interfiction für Kunst, Medien und Netzkultur statt.

Das diesjährige Thema wird Re/Cycling Invention – die Frage nach den ‚Innovationspotentialen medialer und materialer Strategien und Praktiken des Recycling in Kultur und Kunst‘ – sein.

interfiction

Ich werde dort mit folgendem Vortragsthema vertreten sein:

zu sampling, cut-and-paste und aggregatzuständen die götter (oder musen) von außen aus dem weltall getrennt halten

In der antiken Vorstellung wird die Idee, das Denken und folglich das Kunstwerk nicht selbst entwickelt, sondern von Göttern (oder Musen) von Außen eingegeben. Diese Vorstellung eines genialischen, göttlichen Impulses beherrscht bis heute in verschiedenen Aggregatzuständen die kulturpessimistische Debatte. Die postmoderne Kunstformen werden als unkreativ, unsinnlich oder gar als affirmative Verdoppelung der Umwelt beargwöhnt, was zu teilweise haarsträubenden Selbstbeschränkungen in der Wahl des künstlerischen Mediums führt.

Doch wie soll ein Künstler seine alltäglichen Wahrnehmungen, zu denen selbstverständlich auch die omnipräsente Welt der Warenanpreisung, des Internets und des TV-Spektakels gehören von „wahrhaftiger” Inspiration trennen?

William S. Burroughs, der soweit ging, der Sprache selbst zu mißtrauen, die er für ein Virus aus dem Weltall hielt, entwickelte die Technik des Cut-Ups um sich von der Semantik zu befreien. Genau diese Technik des Cut-Ups führte jedoch Jahrzehnte später zum Sampling, Cut-and-Paste und dem Musikgenre Plunderphonics, der selbstreferentiellsten und anti-essentialistischsten Kulturtechniken ever.

Ich möchte in meinem Vortrag zeitgenössische Formen des Kunstrecyclings vom Berliner ‚Maler’ Blaise Vincent und seiner Wiedergeburt als Darko Maver bei 01.org, über das Webprojekt aftersherrielevine.com bis zum zynischen Softwareprojekt logohallucination.com von Christophe Bruno vorstellen und die Frage stellen, was eine ursprüngliche Inspiration eigentlich sein soll und wem ein solches Modell dient.

Der Vortrag wir anhand eines Wikis gehalten, das ich zu Beginn der Veranstaltung öffentlich zugänglich machen werde, so dass der Vortrag Online verfolgt werden kann. Natürlich sind auch Offline-Zuschauer vor Ort in Kassel herzlich eingeladen, die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenlos…

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ubermorgen.com – The Sound Of eBay

Hans Bernhard dürfte den Lesern dieses Blogs bereits ein Begriff sein. Zusammen mit Lizvlx bildet er das Künstler-Duo ubermorgen.com – Gründer von etoy – und bestritt große Teile meiner Dokumentation Culture Jamming.

ubermorgen.com sind die Schöpfer der EKMRZ-Triologie, die aus der Faszination für die Oberflächen von Google, Amazon und eBay enstanden ist. Teil Eins dieser Triologie war das Projekt Google Will Eat Itself – ein Hack der Selbstreferentialität von Google – in den Jahren 2005 und 2006. In den Jahren 2006/07 folgte Teil Zwei Amazon Noir – The Big Book Crime, über den ich noch im Culture Jamming-Blog berichtete. Die Triologie wird nun durch das Projekt The Sound Of eBay fortgesetzt:

Sound Of eBay

Wie funktioniert The Sound Of eBay nun?
ubermorgen.com bieten auf der VTX-inspirierten Website eine Eingabemaske an, in die eBay-Username und e-mail-Adresse eingegeben werden können. Aus den eBay-Userdaten werden durch eine sc3 Supercollider-Soundengine einzigartige Songs generiert, die dann nach Autechre (kein Wunder, benutzen dieselbe Engine), Microstoria oder L@N klingen.

„The Sound of eBay“ is the affirmative high-end low-tech contribution to the atomic soundtrack of the new peer-to-peer hyper-catastrophic shock-capitalism.
ubermorgen.com

Für Nerds gibt es eine technische Dokumentation, das Visualcoding ist hier zu bestaunen, den theoretischen Background liefert Grischinka Teufl hier und den Teletext-Look hat Lizvlx aus VTX-Porno-Pages des österreichischen Kabelfernsehens entwickelt.

[audio:http://www.sound-of-ebay.com/songs/080627_174058_djpasquez.mp3]
Sound Of eBay – Der Account von Subliminal_Kid

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Amir Gutfreund – Unser Holocaust

In der gestrigen aspekte-Sendung habe ich ein sehr schönes Interview mit dem israelischen Autor Amir Gutfreund gesehen, der die vielbeschworene Holocaust-Keule, die ja laut Martin Walser et alibi immer wieder gegen die Deutschen geschwungen wird, charmant entschärft:

„Ich muss niemanden sagen: ‚Weil Deine Vorfahren meinen Vorfahren dies und jenes angetan haben, musst Du jetzt … – nein! (…) So etwas wie eine historische Instanz gibt es nicht. Niemand wird Euch Deutsche verurteilen, wenn Ihr Israel nicht helft. Natürlich gibt es vernünftige Gründe: weil wir die Front bilden gegen den radikalen Islam. Dieser Krieg richtet sich gegen euch. Wir sind nur die Vorspeise, das Hauptgericht seid ihr.“

Amir Gutfreund in aspekte vom 2.Mai 2008>

Der Roman Unser Holocaust (ausführliche Rezension hier) erzählt die Geschichte eines jungen Israeli und seiner Auseinandersetzung mit den traumatischen Überlebenserfahrungen der älteren Generationen. Mit außergewöhnlichem Gespür für Details und sensibler Komik zeigt Gutfreund die Individualität der Holocaust-Überlebenden, die hinter den Ritualen der öffentlichen Erinnerungskultur ihres Landes immer wieder verloren zu gehen scheinen.

Unser Holocaust (Gebundene Ausgabe)
Unser Holocaust (Taschenbuch)