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Platte des Tages: Oktoberfest [1998, Auftrieb 008]

Wolfgang Voigt hätte sich keinen besseren Titel für diesen Track ausdenken können. Denn auch wenn die Quelle des Tracks alles andere als aus Bayern stammt, so deckt er dessen unbewusstes Potential voll auf: als Blaskapellensteilvorlage, dass es – ohne platt zu sein – wunderbar in Techno integriert werden kann. In 98er Techno, wohlgemerkt, als Väth gerade auf dem Heckmann-Trip war – dieser mit seiner Ton, Steine, Scherben-Serie ein mittelgroßes Sägezahnrevival einläutete, das von Berlin (Taksi) bis München (Kurbel) reichte und eben der anderen Rheinstadt Köln zu einem Schatz meiner Plattenkiste verhalf.

Definitiv kein Kanonklassiker, für mich aber immer wieder spielenswert. Sowas konnte man damals noch vor stinknormalen Schülern auf einer Abiparty spielen – neben Rush und den Space DJs – was heute unmöglich wäre, so ein Statement abzulassen, dass auch noch freudig angenommen wird. Aber das nur am Rande als kleine Kulturkritik 😉

Das zünftige Sample stammt übrigens aus dieser Quelle.

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Platte des Tages: Tony Lionni – The Brain EP [Polymorph 003]

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Nach der verschrobenen 001 serviert uns Polymorphs Tony Lionni auf der 003 einen echten Raveslammer aufs Tablett. Gespickt mit einem hochpassgefiltertem Sägezahn, langen Chordsweeps die spielerisch auch in einem ruhigeren Track voll zur Geltung kommen würden – und hier erst recht passen – lässt die A-Seite die Endorphine wie von einer Flex aus dem Körper sprühen. Definitiver Höhepunkt der Nacht. Und auf der B ein Techno-Stück, das einen einfach antreibt. Mit seinen ratternden HiHats – die wie die mechanische Einspritzung eines alten BMW klingen – und treibenden Loops ist “The Brain“ genauso zeitlos wie die alten Münchner Reihensechszylinder. Bitte mehr davon.

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Platte des Tages: 3 FS – Crackerjack Stitch [FIM 095]

Nie hat House härter oder metallischer geklungen als auf dieser 12″. Während ich mich an drei Tracks kaum noch erinnere, ist der Sneak Mix von Slali Window einer dieser Alltime-Classics, der nirgends gespielt wird und wohl auch auf keiner Top Ten jemals vertreten sein dürfte.

Mit direktestem 909-Beat und den ständig reinhauenden metallischen Claps, schaffte es der Track nicht nur die gemietete Anlage im Niersteiner Jugendheim und meine Ohren in der Wiesbadener Hasengartenstraße zu zerfetzen, sondern macht auch heute noch neben totkomprimierten Tracks eine sehr gute Figur. Zwei Sounds und ein Drumcomputer reichen Sneak, um einen unheimlich knallenden Groove zu entwickeln, der in seiner Härte besser mit Nitzer Ebbs ‚Let Your Body Learn‘ mixbar ist, als mit van Heldens ‚Phunk Phenomenon‘. Großgroß, groß, sicherlich auch noch in 2017.

Sollte man allen aktuellen Minimalisten und DeepHousern kräftig um die Ohren hauen, bis sie wieder rohe Technik walten lassen.

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Squarepusher – Just A Souvenir

Der Squarepusher oder – wie Bodenständig 2000 es kongenial formulierten – der Klangklötzchenschieber war der Prototyp des Musiker in den 90igern. Tom Jenkinson aka Squarepusher hat seinerzeit die Meßlatte der Clicks n‘ Cuts per Minute mit seinem Jazzrock / Fusion / Ernest Borgnine-Cut-Up um Meilen höher gesetzt und als Mitglied des inoffiziellen Quartetts Aphex Twin, Michael Paradinas µ-ziq und Luke Vibert die Stilrichtung Drill n‘ Bass erfunden.

Auf seinem Debütalbum Feed Me Weird Things twistete er den Jazzrock und reißt mich damit heute noch vom Stuhl:

Im Dictionary findet man unter Squarepusher die Definition ’someone who likes the ladies‘, was bei der Interpretation von Jenkinsons umfangreichen Werk erstmal wenig weiterhilft.

In der einen Minute quetscht Squarepusher Miles Davis-infizierten Jazz in einen Drum n‘ Bass Tracks, in der nächsten verliert er sich in Reverb-Schleifen und lässt die Melodie in einer dubbigen Fusion verschwinden. Auf dem Album Music Is Rotted One Note überraschte er dann 1998 mit live eingespielten Drums, Keyboards und Bass ohne jegliches Sequenzing: Bitches Brew on Acid

Just a Souvenir [Vinyl] ist Squarepushers dreizehntes Album und basiert auf einer Vision, die der Künstler auf einem Rockkonzert hatte:

„This album started as a daydream about watching a crazy, beautiful rock band play an ultra-gig. At first, a giant fluorescent image of a coat hanger appeared at the back of the stage. A couple of seconds later a full size replica of the Camden Falcon backroom materialised around the glowing coat hanger. Upon the stage was a group composed of five musicians. They seemed to be of differing ages, some young, some old. I noticed that the drummer was an Eskimo.“

„They played instruments either of their own design or conventional ones that were modified such that they could be used to generate a range of sounds not typically associated with a rock band.“

What to do after an experience of that order? As the room around me regained its familiar shape, I was left with an urgent sense of responsibility that I do honour to this vision of a remarkable ensemble. My memory of it was the only souvenir, and I feared its vulnerability with only a skull to protect it. I ventured forth to the studio shortly after the New Year. I emerged on July 15th. This is the result. I hope you enjoy it.“

Das Album wird am 27. Oktober erscheinen und bildet eine wilde Mischung aus Trans Ams Album Futureworld, Experimental Rock, Future Jazz, den Drill n‘ Bass-Eskapaden früherer Platten und Vocoder-Quatsch.

Die Clubtransmediale präsentiert am 26. November 2008 um 21 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz das erste und einzige Deutschlandkonzert von Squarepusher zum neuen Album. Im Zusammenspiel mit einem Schlagzeuger und aufwändiger Videoshow wird Tom Jenkinson alias Squarepusher mit einem spektakulären Aufführungskonzept die große Bühne des Theaters in einen brodelnden Dancefloor verwandeln.

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Dntel – (This Is) The Dream Of Evan and Chan / Umbrella

Es gibt Tracks –Nein!– Songs, die einen ein Leben lang begleiten. Sie sind wie der erste Kuss im Sommergewitterregen unter der Eisenbahnbrücke oder die aus Liebeskummer durchsoffene Nacht, die verzweifelt im Sonnenschein auf dem Vorplatz des Düsseldorfer Hauptbahnhofes endet.

(This Is) The Dream Of Evan and Chan, von Jimmy Tamborello aka Dntel und Ben Gibbard – Gründer von Death Cab For Cutie – zusammen als The Postal Service, ist so ein Song.

Aus weißem Rauschen und verzerrten Drones schält sich langsam eine warme Synthesizer-Fläche und eröffnet einen Dubby Indietronics Love-Song. Dabei bleibt der Track über voller Länge in der Ästhetik, die ich an anderer Stelle schonmal HarddiscSampleGlitch-Experimentaltrash genannt habe und erinnert mich an eine noch zu schreibende musiktheoretische Abhandlung über die Frage, warum ein genialer Popsong wie beispielsweise There’s A Light That Never Goes Out von The Smiths gerade in der Reduktion bzw. Destruktion (Schneider TM versus KPT.Michi.Gan mit The Light 3000), eine noch höhere Ebene der Perfektion erreicht.

High Definition Clip

(This Is) The Dream of Evan and Chan [Vinyl]

Um es mit Mary-Ann Hobbs zu formulieren: This Massive Track Will ABSOLUTELY Blow Your Mind!

Auf dem Dntel-Album Life Is Full of Possibilities finden sich weitere „absolutely wicked“ Tracks/Songs wie Umbrella mit Vokalist Chris Gunst oder Anywhere Anyone mit Mia Doi Todd.

Neues Album von Dntel: Dumb Luck
Dumb Luck [Vinyl]

The Postal Service-Album: Give Up
Give Up+B-Sides [Vinyl]

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Christian Prommers Drumlesson Vol.1

Christian Prommer, of Trüby Trio-, Fauna Flash– and Voom:Voom-Fame, hat es gewagt: Massive Klassiker der Techno- und House-Geschichte im Jazz-Quartet-Gewand.

Wie viele Fehler man bei diesem Cover-Vorhaben machen kann, haben unzählige Synthesizer-Classics, Jazz goes Pop und Acid-Jazz-Compilations vorgemacht. Von verdaddelter Beliebigkeit bis zu stupider Harmonisierung der Loop/Hookline/Sample-Ästhetik des Track-Formates.

Christian Prommer hingegen hat alles richtig gemacht: Grossartige Ausgangsstücke (Anthems wie Can You Feel It?, Strings Of Life, Higher State of Consciousness oder Beau Mot Plage sind fest im kollektiven Gedächtnis der Liebhaber elektronischer Tanzmusik verankert), kompetente Jazz-Grössen wie den Allround-Schlagzeuger Wolfgang Haffner oder Pianist Roberto di Gioia und die eigenen Hipster-Nase.

Das Christian Prommer – Drumlesson Vol. 1 [CD] auf Sonar Kollektiv kein Novelty-Gag ist, merkt man allein daran, dass man die Originale nicht kennen muss (zwei oder drei Stücke sind selbst mir unbekannt :-)) um die musikalische Stringenz zu begreifen. Alle Tracks sind freejazzig in ein anderes musikalisches Medium transkribiert worden und funktionieren dort ohne grossen musikalischen oder theoretischen Hintergrund.

Inwieweit die Transformation auch umkehrbar ist, wird sich im Herbst auf der Drumlesson Vol.2 zeigen, auf der Techno-Produzenten Jazzkompositionen interpretieren werden.

Christian Prommer – Drumlesson Vol. 1 [CD]
Strings of Life / Space Jam [Vinyl]
Beaut Mot Plage / Rex Drums [Vinyl]

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Theo Parrish

„Love of the music should be the driving force of any producer, performer or DJ. Everything else stems from that core, that love. With that love, sampling can become a tribute; An expansion on ideas long forgotten, reconstruction, collage. Using the same understanding openly and respectfully can turn DJing into a spiritual participation. It can turn a few hours of selection into essential history; Necessary listening through movement.“
Theo Parrish

Der in Chicago aufgewachsene Produzent Theo Parrish kam schon mit vierzehn Jahren zum Chicago House und in Kontakt mit Produzenten wie Larry Heard, Lil Louis, Farley Jackmaster Funk, Mike Dunn oder Frankie Knuckles.

Theo Parrish

Nachdem er nach 1994 nach Michigan gezogen war, ergaben sich lebhafte Kontakte mit der Detroit-Techno-Szene und erste Veröffentlichungen. Sein eigenes Label Sound Signature betreibt er seit 1997. Seine Philosphie ist es, Jäger und Sammler von Sounds zu sein, da man sich sonst nur wiederholen könne, was im Endeffekt zu Stagnation führe. Deswegen begibt Parrish sich mit seinem Field-Recorder auch auf immer neue Klangsuche in den SubUrbs von Detroit.

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Bomb The Bass – Future Chaos

Seit dem letzte Album Clear von Tim Simenon aka Bomb The Bass sind vierzehn Jahre vergangen. Die lange Wartezeit wird jetzt mit dem vierten Album Future Chaos, das voraussichtlich am 15. September 2008 erscheint, beendet.

Das Album ist weitaus elektronischer, als die ersten drei und das meistverwendete Instrument ist der Minimoog, der mit seinem warmen, einladenden Sound ja eh gerade in UK wieder à la mode zu sein scheint. Wie immer hat Simenon reichlich Gastmusiker und -vokalisten wie die Band Toob, Fujiya & Miyagi, Jon Spencer, Ex-Queens Of The Stone Age-Sänger Mark Lanegan, die alten Bekannten Jack Dangers von Meat Beat Manifesto und Justin Warfield, sowie vor allem Paul Conboy, eingeladen.

Wie auf Clear schon begonnen, entfernt sich Simenon auf Future Chaos weiter von den Cut-Up-Soundscapes hin zum Songformat, ja man könnte fast von Electronica Unplugged sprechen.

„It’s basically a Minimoog album with vocals on it. I suppose the key element is its simplicity. A lot of the original tracks were quite complicated, so the choice was made to strip everything back and get rid of anything that was cluttering up the song. I just wanted the songs to stand out clearly. I wanted it to be as simple and direct as possible.“
Tim Simenon

Paul Conboy singt fünf der neun Stücke auf Future Chaos und hat das Album mitgeschreiben und -produziert und bricht damit das von Tim Simenon gesteuert Kollektivprojekt erstmals in eine Richtung von so etwas wie einem Duo auf.

Soulige bis fordernde Electronica und Slow-Motion-Pop mit einer kleinen Prise Noir. Das alles sehr warm und analog.

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Luke Vibert & Jean-Jaques Perrey Present: Moog Acid

Der Beat-Junkie Luke Vibert hat sich für sein Album Moog Acid [Vinyl], auf dem Experimentalmusik-Label Lo Recordings, mit Jean-Jacques Perrey einen der Pioniere elektronischer Musik ins Studio geholt.

Perrey, der 1929 in Frankreich geboren wurde, hat 1965 – zusammen mit Gershon Kingsley – die elektronische Musik aus der Avantgarde-Ecke befreit. Sie produzierten auch für das Massenpublikum goutierbare elektronische Musik in einer Mischung aus field recordings á la Musique Concrète, Ondioline und Moog. Mit der LP In Sound From Way Out schufen sie den Space Age Pop. Perreys Elektronikmusik diente immer wieder als Sample- und Remixmaterial für Musiker jüngerer Generationen.

Die illustre Instrumentenliste für das Moog Acid-Album umfasst alle möglichen Vintage-Synths wie Minimoog, Polymoog, Moog Modular, Moog Voyager, Moog MG-1, Ondioline, Prophet T8 und einen EMS Vocoder 1000.


JJP und LV

Moog Acid enthält alle Stile, die man von so einer kreativen Partnerschaft erwartet: Verrückte Cut-Ups mit JJ Perrey’s Original Sample-Material, Drum n‘ Bass-, Disco-, HipHop- und Funk-Beats, die Stimme von Jean-Jacques, begleitet von Trompete, Sitar, Percussions und der oben aufgeführte Moog-Riege. Ein äusserst inspiriertes und spaßiges Album.

Jean-Jaques Perrey – Moog Indigo
JJP & Gershon Kingsley – In Sound From Way Out
Moog Acid
Moog Acid [Vinyl]

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Westbam – The Early Years

Maximilian Lenz aka Westbam aka Westfalia Bambaataa wurde in Münster geboren. Bevor er der „Avantgardist der Raving Society“ (sic!) wurde, hat der umtriebige DJ eine Reihe von richtig coolen Cut n‘ Paste und House-Trax produziert.

Nach dem Paul Hardcastle-RipOff 17 – This Is Not A Boris Becker Song unter dem Pseudonym Cowboy Temple folgte der – trotz oder gerade wegen des offensichtlichen Kraftwerk-Samples – extrem funkige Low Spirit-Release Monkey Say Monkey Do.
Monkey Say, Monkey Do (Remix) [Vinyl]

Kurz nach Monkey Say Monkey Do folgte die durchaus inspirierende LP Westbam mit einem sehr interessanten Cover.

Westbam LP Cover

Einer der ersten deutschen Cut n‘ Paste-Charthits war The Roof Is On Fire 1990, der seinen großen Brüdern aus UK in nichts nachsteht. House-Piano, Robo-Voice, Oldschool-HipHop-Samples und Trillerpfeifen. Party On!

The Roof Is On Fire [Vinyl]
The Cabinet [CD]

Westbam sieht sich nach eigener Aussage auch als eine Art Avantgardist und postmoderne Konzepte wie die Zerstörung des überholten bürgerlichen Autoren- oder Genie-Begriffs oder der Mißbrauch der Technik durch z.B. Schallplattenmanipulationen sind ihm wohlbekannt:

„Das kann man schon als Jazz begreifen, als Improvisation mit Technik, die ihren spezifischen Groove entwickelt.“

Schade, dass es Westbam später nicht mehr so richtig gelang diese interessanten Ansätze explizit in seiner Musik umzusetzen. KLF beispielsweise haben auf diesem Gebiet wesentlich mehr überzeugen können.

Eine sehr interessante Kollaboration hatte der frühe Westbam 1987 mit der westrussische Avantgardeband Popularnaja Mehanika oder Pop Mechanics.

„Die Pop Mechanics sind in Riga an mich herangetreten, als sie dort während ihrer Tournee auftraten. Sie fragten mich, ob ich Lust hätte, bei ihrem Konzert in der Schule der Aeronauten Platten aufzulegen. Von diesem Auftritt ist ein Mitschnitt auf Kassette gemacht worden, der dann bei What’s So Funny About erschien.“

Die dekonstruktivistischen Scratch-Phrasen über dadaeskem Gesang, Free-Piano, Folklore und Jazz – alles schön nacheinander – sind ein echtes Sammlerstück mit dem Titel Westbam – Live at Riga [Vinyl].

Den hypnotischen Groove von Chicago House entdeckte Westbam in den frühen Neunzigern mit einer Reihe von Veröffentlichungen, unter denen für mich vor allem Hold Me Back hervorsticht.

Hold Me Back [Vinyl]

Auch an Skacid im weiteren Sinne hat sich Westbam mit dem Track Cold Train [Vinyl] versucht.

Es zeigt sich also, dass der frühe Westbam eine erstaunliche musikalische Bandbreite und konzeptionelle Reife hatte, die über die Mayday-Jahre peu à peu verlorenging und später nur noch manchmal mit obskuren Veröffentlichungen wie dem Merve-Band Mix, Cuts und Scratches mit Rainald Goetz aufblitzte.