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#fail: Martyn – Ghost People

Zugegeben: Nach der Red-Serie (Red 1-3) von Dave Clarke Anno ’94 und ’95 war eigentlich alles über detroitige Chords gesagt. Um so schwerer wurde es, durch geschickte Setzung der Noten und dem Einsatz von Echo, Delay, Reverb und Velocity, aus diesem Sound noch einen Kitzel herauszuholen. Dieser schwierigen Aufgabe haben sich die Dubstep- und Dubtechno-Produzenten unserer Zeit gewidmet, mit immer wieder guten Ergebnissen.

Einer der das auch konnte (und in seinen Remix-Arbeiten auch immer noch kann) ist Martyn. Auf kaum ein Album hatte ich mich dieses Jahr mehr gefreut als auf Ghost People und wurde bitter enttäuscht.

Während Great Lengths eins meiner Alben des Jahres 2009 war, ist Ghost People die Enttäuschung des Jahres 2011. Damals schrieb ich über Great Lengths:

Martyn importiert auf Great Lengths immer genau ein Stilmittel-Setup pro Track, seien es Chicago-typische Handclaps und mittige Snares, sowie Casio FZ-1 artige Mikrosamples in Elden St., Dave Clark Synth-Stabs in Vancouver oder Tribaldrums in Is This Insanity?.

Ähnliche Elemente findet man auch auf Ghost People, doch die Magie des Vorgängers ist vollständig abhanden gekommen. Chords, 909-Drums und Arpeggios wirken uninspiriert aneinandergereiht, so als habe hier einer einen Aufguss seines Erfolgsrezeptes versucht. Der Titeltrack ist biederster Chord-Einheitsbrei und Alldayallnight klingt wie eine besser gemasterte DJ International-Platte von 1989. Eher Regression als Reminiszenz. Die militärischen DJ Skull-Snares in Horror Vacui machen in der Tat Angst: Angst vor der Leere seelenloser Dubstep-Produktionen.

Nicht alles ist schlecht auf Ghost People: Popgun rast mit einer groovenden Bassline nach vorne und erweckt alte Public Enemy-Essentials wie den Terrordome-Guitar Lick und Chuck D-Stöhner wieder zum Leben. Twice As groovt ganz amtlich und We Are You In The Future klingt so wie ein moderner Global Communication-Track. Von Martyn hätte ich allerdings mehr erwartet, zumal in der illustren Labelnachbarschaft vom Brainfeeder-Label. Bleibt die Hoffnung auf bessere Remixe. Von Martyn selbst und von den Tracks des Albums.

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Subliminal Kid’s Selection of the 9 Best Records in 2009

Es ist bald Weihnachten (Oh mein Gott, wirklich?) und die Jahresendpolls schießen wie Pilze aus dem Boden. Freitag habe ich mich – nach Aufforderung durch BTH – daran gemacht die zehn besten Alben des Jahre 2009 zusammen zu stellen. Erstaunlicherweise sprudelten mir neun Alben nur so auf die Tastatur, nur beim Letzten bin ich gescheitert. Ich habe vielleicht einiges vergessen oder übersehen, aber so far gibt es lediglich eine Top 9, die folgendermaßen aussieht:

Martyn – Great Lengths
Bibio – Ambivalence Avenue
Lusine – A Certain Distance
Hudson Mohawke – Butter
Kettel – Myam James Part II
Various Arists – Warp20 Recreated
Major Lazer – Guns Don’t Kill People… Lazers Do
Kona Triangle – Sing a New Sapling into Existence
Dorian Concept – When Planets Explode

Der gemeinsame Nenner fast aller Veröffentlichungen ist ein fast schon avantgardistisches Verständnis von Beats und Grooves, eine reflektiert postmoderne Produktionsweise, die einen Vektor von Prefuse 73, J Dilla, Madlib, Flying Lotus, Dabrye u.ä. ins neue Jahrzehnt projiziert.

Die Struktur des Songs bzw. des Tracks wird aufgebrochen, zerfasert und zu einem neuen Klangteppich verwoben, ohne den Produktionsprozess stolz als Gimmick auszustellen. In vielen Tracks meint man zwischen all den Glitches noch die Lagerfeuergitarre, das Klavier oder den R’n’B-Song zu hören, die schemenhaft unter der Patina des alten Jahrtausend erkennbar sind. 2009 war ein grossartiges Jahr, die Musik ist endlich im 21. Jahrhundert angekommen, wie mein wilder 30 Minuten Cut-Up der schönsten Momente aller neun Alben beweist:

Subliminal_Kid's Selection 2009 by Subliminal_Kid on Mixcloud

Eine Zusammenstellung der Platten die mir in 2009 wichtig waren ist idealerweise für andere Menschen (nicht notwendigerweise Lesern dieses Blogs) unverständlich. In vielen Jahrzehntcharts habe ich zum Beispiel The Strokes – This Is It gesehen, da scheint es eine Art Konsens zu geben, der aber m.E. nicht den Sinn persönlicher Charts ausmacht.

Ist es nicht eher so wie in Marcel Prousts ‚Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘, wo auf 3.500 Seiten bewiesen wird, dass jeder Mensch ein einzigartiges Universum mit sich herumträgt welches sich im Augenblick der Wahrnehmung (oder der Erinnerung) konstituiert?

Und wäre da die Platzierung von This Is It nicht in etwa so unpassend wie den Fall der Berliner Mauer in einem Liebesbrief zu erwähnen? Naja, zumindest sichert man sich die zustimmenden Posts im Kommentarfeld mit so einer Selection. Wenn jemand meine Auswahl trotzdem nachvollziehbar findet, darf er/sie das natürlich gerne mitteilen. Momentan arbeite ich übrigens an einer Top 10 für das gesamte Jahrzehnt, die sich als ständig mäandernde Liste herausstellt und zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich zu mixen sein dürfte …

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Platten des Tages: Martyn – Great Lengths / Kettel – Myam James Part II

Wer meinen twitter-Account verfolgt, der hat es ja schon vernommen: Ich bin jetzt Bezahl-Downloader bei boomkat.com. Und weil der Sinn der Aktion ja ist, endlich wieder eine subjektiv höhere Wertschätzung für die erworbene Musik zu entwickeln – Robert Kurz und Wertkritik ick hör dir aufstöhnen – bin ich natürlich auch ganz und gar begeistert von meinen beiden Neuerwerbungen.

Der vielfach abgefeierte Autoren-Dubstep-Produzent Martyn hat mit Great Lengths sein Opus Magnum vorgelegt, dass höchstens noch mit Burials beiden Alben in einem Atemzug genannt werden kann.

Neuerdings stelle ich mir beim Hören von repetitiver elektronischer Musik immer vor wie ich diese mit meiner Freundin oder meinem ehemaligen Mitbewohner höre – beide mit klassicher Musik sozialisiert (einer davon ausschliesslich) – und beide erst mal die metrische Strenge als einfallslose Partitur vor ihrem geistigen Auge sehen. Es ist natürlich so, dass diese Musik nicht ausschweifend, melodisch ausgefeilt und raffiniert komponiert sein will, sondern musikalische Ideen auf einem strengen Rhythmusraster ausprobiert. Mit der richtigen Portion Euphorie kann dies dann Leben retten, ohne essentialistisch zu werden. Man stelle sich probeweise das einfache Volk aus der Zeit von Händel und Vivaldi mit Laptops und Ableton ausgerüstet vor …

Martyn importiert auf Great Lengths immer genau ein Stilmittel-Setup pro Track, seien es Chicago-typische Handclaps und mittige Snares, sowie Casio FZ-1 artige Mikrosamples in Elden St., Dave Clark Synth-Stabs in Vancouver oder Tribaldrums in Is This Insanity?. Das abgefeierte Natural Selection ist m.E. noch der schwächste Track auf den Album, während ich bei Right?Star! den 2Step-Orgasmus bekommen habe.

kettel2.jpeg

Mit Kettels – in einem merkwürdigen Cover daherkommenden – Follow-Up Myam James Part II könnten Freundin und Mitbewohner wahrscheinlich ungleich mehr anfangen, entwickelt Reimer Eising seine Tracks doch offensichtlich am Klavier und lässt es dann auch schonmal alleine oder mit Spinett- oder Violinbegleitung erklingen. Ansonsten lupenreine IDM mit Euphoriegarantie.