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The Corporation, Das Netz und die Stammzellen-Debatte

Inspiriert von den Debatten der Transmediale 08, über die ich zu Beginn diesen Jahres auf realvinylz.de berichtet habe, schaute ich mir vergangene Woche endlich den hochgelobten Dokumexploitation-Film The Corporation von Mark Achbar und Jennifer Abbott – nach einem Buch von Joel Bakan – an.

Der Film wurde in der alternativen Community u.a. als ‚Lord of the Rings of modern documentaries‘ bezeichnet und berichtet – unter Zuhilfenahme der ‚üblichen Verdächtigen‘ Noam Chomsky, Naomi Klein und Michael Moore – über das pathologische Streben der Konzerne nach Geld und Macht.

The Corporation Trailer
The Corporation (OmU)

In der darauffolgenden Debatte mit meiner Freundin über die Gefahren und Vorteile populistischer Dokumentarfilme, denn ein solcher ist The Corporation in jedem Fall, schälten sich zwei mögliche Analyseformen heraus:

Entweder man beschreibt das herrschende System mit Hilfe der Kritischen Theorie exakt und detailliert, wie es z.B. die Jungle World oder Konkret tun, und läuft Gefahr sich in mikropolitische Grabenkämpfe oder analytische Endlosschleifen zu verstricken oder man tritt mit einem eingängigen, MTV-esken, reißerischen und suggestiven Machwerk an die Öffentlichkeit und bringt aber eventuell auch die Menschen zum Nachdenken, die sonst nie mit derlei Gedankengut in Kontakt gekommen wären.

In diesem Sinne ist The Corporation ein gutgemachter Film, der die richtigen Themen bespricht und hochinteressante Ansätze birgt, aber teilweise mehr als haarscharf an verkürzter Kapitalismuskritik und merkwürdigen Tautologien vorbeischrammt.

Wie man es besser, ebenso interessant und richtig machen kann, zeigt Lutz Dammbeck in seinem Laptop-Roadmovie Das Netz.

Das Netz ist eine freejazzige Meditation über Ted Kaczynski’s Unabomber-Manifest und die „Revolution gegen den technologischen Fortschritt“. In dem Film kommen sowohl avantgardistische Vordenker der Kybernetik und moderner Kommunikationstechnologie, als auch LSD-Prankster zu Wort, die von Dammbeck in loser – durch ein Sketchbook zusammengehaltene – Assoziation verknüpft werden. Zwar setzt der Film durchaus Konzentration und ein Interesse am komplexen theoretischen Themenpark voraus, belohnt aber mit Inspiration und einem unaufdringlichen Reset des eigenen Weltbildes.

Interview mit Heinz von Foerster in Das Netz

2 x 2 = grün. Zwei mal zwei gleich grün. [2 CD]
Einführung in den Konstruktivismus.

Die rhizomatische Denkweise von Das Netz und die Information zur Patentierung von Lebewesen aus The Corporation haben mich auf einen völlig unter den Tisch gekehrten Aspekt der Stammzellen-Debatte und der letztwöchigen Abstimmung gebracht:

Während das Hauptaugenmerk zwischen den ethischen Fragen Schwerstkrankenheilung versus Schutz des ungeborenen Lebens oszillierte, fiel mir auf, das immer von ‚der Forschung‘ und ‚der Wissenschaft‘ gesprochen wurde. Es dürfte mittlerweile jedem klar sein, das man nicht gleichzeitig von wirtschaftlich gesponsorten Elite-Universitäten und freier, altruistischer und von wissenschaftlichem Geist beseelter Forschung sprechen kann. Oder anders gefragt: Wer ist eigentlich die Wissenschaft?

Forschung an Stammzellen dient meiner Ansicht nach in erster Linie der Erforschung patentierbarer Genstränge, Aminosäuren, Enzymen und ähnlicher biochemischer Enigmen zur warenförmigen Vermarktung. Dabei spielen die Eigentumsverhältnisse an Körpersubstanzen eine große Rolle.

Denn schließlich geht es im Endeffekt um die grundsätzliche Frage ob eine Abstraktion wie geistiges Eigentum von Individuen 1:1 auf Konzerne angewandt werden kann und darf.

Die Theorie vom Geistigen Eigentum entstand größtenteils erst in der Neuzeit, vor allem ab dem 18. Jahrhundert und dort im Zusammenhang mit dem Nachdruck von Büchern, wohl um es Einzelpersonen unabhängig von Institutionen zu ermöglichen von ihrer intellektuellen Schöpfung zu profitieren. Sollen aber deswegen Heilmittel oder Therapieformen einer bestimmten Firma gehören?

„Die Gesellschaft sieht sich mit der schlichten Tatsache konfrontiert, dass der Ausschluss vom Besitz schöner und nutzbringender intellektueller Erzeugnisse – und von dem Wert all dieser Wissenszuwächse für die Menschen – nicht länger der Moral entspricht, wenn jedermann sie zu den gleichen Kosten wie jede Einzelperson besitzen kann. Hätte Rom die Macht gehabt, jedermann zu ernähren, ohne dass daraus weitere Kosten als die entstanden wären, die für Cäsars eigene Tafel zu zahlen waren, hätte man Cäsar mit Gewalt verjagt, wenn noch irgend jemand hätte verhungern müssen. Das bürgerliche System des Eigentums verlangt jedoch, Wissen und Kultur nach Maßgabe der Zahlungsfähigkeit zu rationieren.“

Eben Moglen – dotCommunist-Manifesto

Mehr und besser formuliertes Wissen zum Themenkomplex als in meinem kurzen Abriss bietet Felix Stalder in Geistiges Eigentum: Zur Kritik an der Aneignung kultureller Produktion.