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Wahre Worte (I)

Von Zeit zu Zeit sondert die „perverse Presse“ doch ganz gute Gedanken ab. Um das zu würdigen zitiere ich von heute an gelegentlich gute und erhellende Artikel. Den Anfang macht ein Artikel von Verena Schmitt-Roschmann aus dem freitag vom 22.03.2012:

Die Autorin untertitelt in „Empört euch nicht!„:

„Das Wahlvolk sehnt sich nach Glaubwürdigkeit in der Politik. Aber das ist die falsche Kategorie: Es geht um Richtungsentscheidungen“

Nach einer kurzen Einleitung mit konkretem Beispiel (damit sich der Leser das abstrakte Thema besser vorstellen kann) fällt der entscheidende Satz:

„Immer öfter überdeckt die Personalisierung in der politischen Berichterstattung, die sich durchaus als Teil der Unterhaltungsindustrie verstehen darf (und eine unmittelbare Folge der Boulevardisierung auch von öffentlich-rechtlicher Berichterstattung ist (Anm. d. V.)), die kleinteiligen und mühsamen Inhalte zwischen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.“

„Vertrauen“ und „Authentizität“ seien inzwischen für einen Politiker wichtigere Kategorien als „Kompetenz“, konstatierte der Emnid-Forscher Klaus-Peter Schöppner schon 2009.

Und dann nach weiteren Fallbeispielen:

„Es ist falsch anzunehmen, die Politiker machten es schon richtig, solange sie nur authentisch sind. Genauso falsch ist es zu suggerieren, Politik sei unterschiedslos – in ihren Inhalten wie in ihrem angeblich korrumpierbaren Personal.“

Dem kann ich nur voll zustimmen. Ein anderes, ebenfalls erfrischend klarsichtiges Statement findet sich ausgerechnet im (Jugend)magazin der Bundeszentrale für politische Bildung bpd, dem fluter.

Zu seinen Studien zu rechtsextremistischen Einstellungen in Deutschland befragt, sagt der Sozialpsychologe Oliver Decker u.a. folgendes:

„Es gibt leider seit Jahrzehnten einen manifesten Antisemitismus in der Gesellschaft. Dass Juden aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute Vorteile ziehen oder nicht dazu beitragen, die Gesellschaft zu bereichern: Bei solchen Vorurteilen gibt es relativ große Zustimmung. (…) Ich sehe nicht, dass Kritik an Israel nicht geäußert werden darf. Sie werden in der gesamten Presse von links nach rechts jede Menge Kritik an Israel finden (…).“

„Adorno hat das in den 50er-Jahren „Krypto-Antisemitismus“ genannt – dass also der Antisemit in der Rolle des Verfechters demokratischer Werte auftritt, um sein Ressentiment zu verbreiten, das er dann mit den Worten „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen!“ anmoderiert.“

„Die Chancenungleichheit ist ein Demokratiedefizit. Man kann sogar auf nationaler Ebene sehen, wie der Fetisch des Wirtschaftswachstums über eine Entsolidarisierung zu weniger demokratischem Denken führt. In der Rede vom Standort schimmert kaum verdeckt eine Nationalstaatslogik durch, die alle unter ein gemeinsames Interesse sammelt, nämlich das der wirtschaftlichen Prosperität. Das ist Nationalismus und eigentlich antidemokratisch.“

„Wir haben eine derartige Entpolitisierung in der Bevölkerung, dass zum Beispiel ein Zusammenhang zwischen unserem Exportüberschuss und der Krise anderer europäischer Länder gar nicht gesehen wird. Stattdessen gibt es mittlerweile sogar Stimmen, die sagen, das Beste, was Griechenland passieren kann, ist eine Diktatur.“

Ja, solche Stimmen gibt es, auch in den Kreisen mir bekannter Personen mit akademischer Ausbildung. Aber schön, dass es mal jemand in einem staatlichen Organ sagen darf, auch wenn es nur im Gewand eines „Jugendmagazins“ daherkommt. Das ganze Interview gibt es hier.

Den fluter. kann man übrigens kostenlos abonnieren.

Und um abschliessend noch eine Lanze für die bpd zu brechen sei erwähnt, dass diese schon 2009 den drittbesten Film über Copyright, nämlich Good Copy Bad Copy, herausgebracht hat. Für eine Gebühr von 7 Euro kann die DVD, samt Dossier zum Urheberrecht, hier bestellt werden. Bliebe nur zu wünschen, dass die zuständigen Abgeordneten die Organe der bpd auch selber studieren oder zumindest auf deren Erkenntnisstand operieren.

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Amir Gutfreund – Unser Holocaust

In der gestrigen aspekte-Sendung habe ich ein sehr schönes Interview mit dem israelischen Autor Amir Gutfreund gesehen, der die vielbeschworene Holocaust-Keule, die ja laut Martin Walser et alibi immer wieder gegen die Deutschen geschwungen wird, charmant entschärft:

„Ich muss niemanden sagen: ‚Weil Deine Vorfahren meinen Vorfahren dies und jenes angetan haben, musst Du jetzt … – nein! (…) So etwas wie eine historische Instanz gibt es nicht. Niemand wird Euch Deutsche verurteilen, wenn Ihr Israel nicht helft. Natürlich gibt es vernünftige Gründe: weil wir die Front bilden gegen den radikalen Islam. Dieser Krieg richtet sich gegen euch. Wir sind nur die Vorspeise, das Hauptgericht seid ihr.“

Amir Gutfreund in aspekte vom 2.Mai 2008>

Der Roman Unser Holocaust (ausführliche Rezension hier) erzählt die Geschichte eines jungen Israeli und seiner Auseinandersetzung mit den traumatischen Überlebenserfahrungen der älteren Generationen. Mit außergewöhnlichem Gespür für Details und sensibler Komik zeigt Gutfreund die Individualität der Holocaust-Überlebenden, die hinter den Ritualen der öffentlichen Erinnerungskultur ihres Landes immer wieder verloren zu gehen scheinen.

Unser Holocaust (Gebundene Ausgabe)
Unser Holocaust (Taschenbuch)