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Artist of the Week: Tonio Mundry

Fast jeden Tag fahre ich auf dem Weg zur Arbeit an dieser Silhouette vorbei, aber nie ist mir der wissensindustrielle Aspekt dieses von Web2.0-Firmen bevölkerten Teils von Berlin-Mitte besser vor Augen geführt worden:

GlitchCam Test-Loop 1 from Bockwurst Daily on Vimeo.

Ich weiß natürlich nicht was der Databending- und Glitch Künstler Tonio Mundry bei diesem Videoloop im Sinn hatte, aber ich muss automatisch an die nichteingelösten Versprechen der schönen neuen virtuellen Welt denken. Bei einem der Bilder (s.u.) musste ich sogar ganz konkret an Marshall McLuhan denken…
Der Künstler wohnt, so viel lässt eine Schnellrecherche ans Tageslicht kommen, in Berlin. Anfang Dezember wird in Weimar seine nächste Ausstellung stattfinden.

[via toniomundry.com]

Glitch-Art ist vielleicht ein bisschen aus der Mode gekommen, aber das ist ja immer (wie auch gerade bei Dubstep) eine passende Gelegenheit innezuhalten und die Spreu vom Weizen zu trennen. Wobei ich jetzt nicht behaupten möchte, dass mein Kunstverständnis über die „würde-ich-auch-längere-Zeit-in-meinem-bedroom-aufhängen“-Funktion groß hinausgeht. Soviel lässt sich jedoch sagen: Tonio Mundry’s Arbeiten haben eine große Bandbreite zwischen Foto, Video, Zeichnung und Malerei und die nächste Ausstellung in Berlin werde ich mir sicher ansehen.

Mehr Glitches gibt es auf Tonios Homepage toniomundry.com, hier oder auf seinem Diaspora-Account.

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Igor And The Rattlesnake – Solar Sound System

„I quite like the Strokes as a comedy group, and I very much like the Strokes when their music is mixed up, in a bootleg sense, with the music of pole-dancing pop fiasco Christina Aguilera (…) The stupid sublime stitching together of heated machined pop dripping with money and reheated NY punk scratched out of the fake history books creates a ravishing blur of signals, signatures, speeds and gaps in time (…) at the end of the twentieth century (…) it was commercial pop that was more exciting than commercial rock.“
Paul Morley – Words And Music

Diese erschütternden Sätze gingen mir durch den Kopf, als ich heute die Ausstellung ‚Igor And The Rattlesnake – Solar Sound System‚ verließ. Was Morley da feststellt, geht nicht nur blutjungen ‚The‘-Band-Hörern und Intro-Lesern an den Kragen, sondern auch all denjenigen die immer noch an einen NY-Mythos der späten Siebziger Jahre – Blondie, Burroughs, Warhol, Patti Smith (just to name a few) – glauben. Das dies aber nicht zwangsläufig einen Sieg des Punk/Hyperpop-Mashups bedeutet, habe ich heute durch das Solar Sound System gelernt.

Igor And The Rattlesnake sind die Künstler Nik Nowak aus Berlin und Thomas Chapman aus Brooklyn und ihre Installation Solar Sound System ist noch bis zum 15. Mai in der Galerie Infernoesque zu sehen.

heidestrasse

Im strömenden Regen erreiche ich das East Village von Berlin, die Heidestrasse, wo Galerien, Labels und Clubs eine Industriebrache mit kulturellem Mehrwert versehen. Im Erdgeschoß des Aufgangs II, im Vorraum der Installation, treffe ich den Künstler Nik Nowak, im IR$$$$ MINIMART. Hier kann man in einer Asia-Gemüseladen-Atmosphäre alles von Klopapier über Fake-Kokain, Tampons, Apfelsinen bis hin zur CD ‚Igor and the Rattlesnake Solar Sound System‘ erwerben.

Letztere stellt den auditiven Teil der Installation dar, die mich im nächsten Raum erwartet:

soundsystem-i.jpg
Mother Sculpture

soundsystem-ii.jpg
Male Satellite

Die Installation besteht aus drei miteinander vernetzten Teilen, der Mother Sculpture (Verstärker und Subwoofer) und zwei Speaker-Satelliten die visuell männlich und weiblich codiert sind. Durch Materialien, Farbgebung und collagiertem Fotomaterial vermittelt die Installation erstmal ein Gefühl von Blackness und Alienation. Dies ist m.E. eine Basisstimmung, die den Hauptteil der Installation transportiert: Die Musik.

Produziert von Nik Nowak – der auch Beats und Tenor-Klacnisphniton spielt – ist die CD ‚Solar Sound System‘ das Werk von Niks Freundin Ronel Doual und Thomas Chapman als Vokalisten bzw. Lyricisten und dem Multi-Instrumentalisten Chris Gertges.

Schon in der Produktionsweise schwingt die Idee des Wild Bunch-Kollektivs aus Bristol mit, ein Referenzpunkt der auch in der schleppenden Dubbyness und Open-Mindness der Musik ankert (ich glaube sogar in den Drums des ersten Stückes ein Reminiszenz an Massive Attacks Blue Lines zu hören).

Auf diesem Grundgroove werden Spoken Words, jazzig bis freejazzige Saxophon-Einlagen, Clicks-n-Cuts und wunderschöne Conscious-Vocals collagiert. Alles in einer gutproduzierten Roughness, die einerseits DIY und andererseits hochprofessionell klingt.

Das hier ist das Retro von etwas, was vielleicht in dieser Konsequenz nie war: Brooklyn-Multitude, Hip-Hop, Post-Punk, State-Of-The-Art Beatprogramming, Jazz und Politik. Vielleicht ist Retro zu Unrecht als Nabelschau und Nostalgie verschrien, denn, wenn wie hier, an längst noch nicht ausformulierten Konzepten und Standards gearbeitet wird, macht das alles wieder Sinn…

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Tina Tonagel – Eine Party Ohne Christian und Jürgen

Am vergangenen Sonntag ging die (viel zu kurze) Fachtagung interfiction XV/2008 zu Ende. Mein Vortrag wird noch für kurze Zeit online einsehbar sein und dann zur Copyright-Klärung erstmal wieder im digitalen Nirvana verschwinden.

In den nächsten Tagen werde ich über einige der Künstler, Filmemacher und Projekte der interfiction bloggen und den Anfang machen die Kölner Medienkünstlerin Tina Tonagel und ihr Werk Eine Party Ohne Christian und Jürgen.

Nach ihrem Studium an der KHM in Köln erforschte die Künstlerin ihr eigenes künstlerisches Instrumentarium und verbrachte dabei u.a. viel Zeit bei eBay. Dort ersteigerte sie eine Zeit lang Wetterhäuschen, ohne zunächst eine konkrete Verwendung für diese zu haben. Dann bemerkte sie, dass in allen Häuschen ausschließlich heterosexuelle Pärchen wohnen, von denen immer einer gerade nicht zuhause ist, sondern vor der Tür steht.

Die Heideggersche Angst des Nicht-zu-Hause-seins, springt da natürlich ebenso ins Auge, wie das in den Häuschen gelebte Elend der bürgerliche Kleinstfamilie, die von der oft anzutreffenden Schwarzwälder Folklore noch einen Schubs ins Piefige erhält.

tinatonagel1

Tina Tonagel entfernte nun die Figuren aus ihren Häuschen und in einer Kamerafahrt an den nun leeren Häuschen mit jeweils zwei riesigen Türen offenbaren sich erstmal einige architektonische Eigentümlichkeiten. Doch am letzten Häuschen angekommen, findet man alle Figuren zu einer Hausparty mit 80er Jahre Musik versammelt. Die mit Magneten auf den Boden gestellten Figuren wuseln durch das Wetterhäuschen und schaffen so ein realistisches Bild einer mitteleuphorische Partygesellschaft.

tinatonagel2

Doch zwei Personen fehlen auf dieser Party: Christian und Jürgen

Das homosexuelle Paar aus der Nachbarschaft wurde nicht eingeladen. Spätestens hier bin ich dann in lautes Lachen ausgebrochen. Eine tolle Arbeit, die unverkrampft gesellschaftliche Realität, aber vor allem Spaß am Experimentieren, Basteln und höherem Blödsinn – im Sinne von Eckhard Henscheid – zeigt.

„Acht verlassene Wetterhäuschen deuten darauf hin, dass die Eheleute mal was erleben wollten. Und siehe da: bei Ulrike und Otto Detering findet gerade eine wilde Party statt. – Ein Plädoyer für architektonische Wunderwerke getarnt als Kritik an Kleinfamilie und Klimawandel.“

Begleittext auf der Website