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Madrid

2. September

Manchmal schreibt das Leben filmreife Szenen oder sie kommen dem unachtsamen Bewusstsein nur deshalb filmreif vor, weil das Kino zuweilen auch nichts anderes tut als erlebte Situationen wiederzugeben, wenn auch vorwiegend die mit der größten Informationsdichte vulgo dem höchsten Unterhaltungswert, Dinge die uns gerne im Gedächtnis bleiben und deshalb ihren Weg ins Langzeitgedächtnis finden und dort von begnadeten Regisseuren wiederentdeckt werden.

Madrid Graffiti

Einer der Gründe warum ich nach Spanien im Allgemeinen und Madrid im Besonderen gereist bin war der Film ‚Limits Of Control‘ von Jim Jarmusch. Dort steht der Held, ein wortkarger Agent oder Killer, während seines Aufenthaltes in Madrid in einem Museum und ist in die intensive Betrachtung eines Gemäldes vertieft. Solchermaßen filmisch angefeuert von echter oder zur Schau gestellter Versenkung in die Kunst, vertiefte ich mich im Museo del Prado in die Gemälde von Goya.

Ein Bild das meine Aufmerksamkeit besonders fesselte war ‚The Cudle Fight‘, auf dem zwei in den Sand eingegrabene und mit Stöcken aufeinander einprügelnde Landarbeiter zu sehen sind. Die Landschaft ist mit 35mm-Panoramabrennweite dargestellt, während die Kämpfenden in einer engen Halbtotalen kadriert sind. Ich las interessiert in meinem Gallery Guide und dachte an wenig anderes als das Gemälde.

Als ich mich umdrehte und das nächste versenkungswürdige Gemälde suchte, sah ich eine junge mutmaßliche Kunststudentin, die mit einem Zeichenblock Teile von Goyas Gemälde reproduzierte.

Als mein Blick sie streifte schaute sie mich an und lächelte vielsagend. Sie musste mich schon eine kurze Weile angesehen haben, statt Goyas Kunst zu studieren. Ich lächelte schüchtern zurück und wandte mich einem anderen Gemälde zu. Eine Standardsituation: Junge, süße, naive Kunststudentin hat ein Faible für Goya und wird im Museum von einem anderen Kunstliebhaber aufgegabelt. Es wäre zu einfach gewesen: ‚Hi, nice drawings. Are you an art student, by chance?‘ Mein intellektuelles Standvermögen hätte mir erlaubt eine Handvoll gutklingender Mutmaßungen über Goyas Kunst anzustellen und in ihren Augen wäre ich zu einer respektablen Kapazität mutiert. Trotz ihrer schönen Beine und der wilden roten Haare ließ ich sie zeichnen.

Madrid Street I

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im ‚Parque del Buen Retiro‘ am ‚Estanque‘. Der Park wird seinem wenig subtilen Namen auf jeden Fall gerecht, hier spazieren Junge und Alte, Pärchen und Gruppen von madrilenos und ein munteres Ruderboottreiben, das stellenweise an Autoscooter fahren erinnert, mäandert über den See. Ich überlege ob ich in der Tradition des Helden aus ‚Limits Of Control‘ auf mein Zimmer gehen und Tai Chi machen soll um ein tieferes, spirituelles Verständnis von Madrid zu initiieren.

Ich hatte mir Madrid ja immer als Betonwüste mit Pools inmitten von glühendheißer spanischer Pampa vorgestellt, dabei reißt es gegenüber anderen spanische Pilgerorten wie Ibiza, Mallorca, Barcelona und Alicante das Ruder tüchtig herum in Richtung Hochkultur.


Inmitten von herrlichem Klima durch ein unfassbar reiches Museum zu schlendern und üppig blühende Gärten neben historischen Palästen zu sehen raubt mir schier den Atem. Auch das entspannte und weitgehend von Betrugsversuchen freie Stadtleben hat was für sich. Ich hatte mich ja schon an das ständige Lauern und Beäugen in Middle East gewöhnt.

Madrid Street II

Ein weiteres Bild von Goya, das mich zum Schwelgen bringt, ist ‚Asmodea‘. Im Katalogtext heißt es die gängige Interpretationsmaschine sei weitestgehend ratlos und trotzdem strahle das Bild eine ungeheure Faszination aus. Als ob das Eine das Andere bedingen würde. Zwei unterschiedliche Zeichensysteme, von denen das Eine (die Sprache) aufgrund seines ungeheuren Abstraktionsgrades glaubt das Andere beschreiben zu können, repräsentieren aneinander vorbei. Als ob das Bild auf der visuellen Ebene noch irgendwelche Fragen offen lassen würde. Für mich reiht sich das Bild nahtlos in die filmischen Visionen von Christopher Doyle und Jim Jarmusch ein und ich glaube ich befinde mich schon jetzt auf einem Pfad den Michelangelo Antonioni und Jarmusch für uns suchende Schattenkünstler skizziert haben.


Goya

Hier in Madrid beginnt eine magische Linie, die nicht durch Zufall mit einem kurzen Epilog in Paris eingeleitet werden musste. ‚Hermetisch‘ sei das Bild, schreibt der Kunsthistoriker Valeriano Bozal über ‚Asmodea‘, als könne es ein der Sprache gegenüber unhermetisches Gemälde geben. Und doch wissen wir intuitiv was gemeint ist:

Andere Gemälde koppeln sich mühelose an sprachliche Isomorphe, wenn zum Beispiel bei Hieronymus Bosch der Dreisatz Eden-Erbsünde-Hölle aufgemacht wird und feiste Menschenwesen sich in Fleischeslust suhlen.

Doch wo in ‚Asmodea‘ das Vorsprachliche aufscheint, da ist es gerade die große, rätselhafte Kunst, die mich im Inneren berührt. Was für einen Traum Goya wohl gehabt hat als ihm diese Bilder erschienen sind? Welche Drogen muss ich auf meiner Fahrt nach Sevilla nehmen um eine ähnliche Vision zu haben?

3. September

Heißt es eigentlich ‚un‘ oder ‚una‘ cerveza? Vielleicht sollte ich das möppelnde Pärchen am Nebentisch fragen, die gerade einen Streit über Geld und Zeit haben, die sie in die Beziehung ‚investieren‘. Damit wäre mal wieder hinreichend geklärt, warum ich lieber alleine reise. Die Herrschaften kommen wohl aus Bayern, schätzungsweise Großraum München. Sie ist nicht unattraktiv, ein schlanker Blondschopf mit wunderschönen rotlackierten Füßen. Die Währung mit der der Mann für ihre Anwesenheit zahlt ist in diesem Falle die Spielball ihrer Affekte zu sein.

Der Star des ‚Centro de Arte Reina Sofia‘, in dem ich heute den halben Tag verbracht habe, ist Picassos ‚Guernica‘ und mir ist aufgefallen, dass in der Mitte des Bildes eine Glühbirne abgebildet ist, die die grausame Szenerie erhellt. Man kann das wohl als Picassos Kommentar zur Aufklärung verstehen und das erinnert mich an Dietmar Daths Gedanken zu diesem Thema. Die Frage die jetzt im Raum steht ist die:

Wie kann es sein, dass in Zeiten der Aufklärung, des Triumphs des Menschen über die chaotischen Mächte der Natur, die Maschinerie der Vernunft eine so blutige Spur hinterlässt?

Oder anders formuliert: Warum kann der Humanismus nicht mit der instrumentellen Vernunft Schritt halten? Jede große wissenschaftliche Entdeckung hat unser Selbstbild und unser Denken beeinflusst, aber wo es der Verstand schafft aus den Gesetzen der Thermodynamik eine mächtige Industrie zu bauen und die Elektrizität zu domestizieren, da erhellt keine Idee den Geist des Menschen, ganz im Gegenteil, barbarische Auslegungen des Darwinismus zerstören Millionen Menschenleben. Sind die Geisteswissenschaften deswegen einem ständigen Argwohn ausgesetzt, weil sie im Gegensatz zu den Naturwissenschaften keine reproduzierbaren Ergebnisse generieren können? Es ist ein Kategorienfehler zu behaupten, im Namen der Aufklärung seien die größten Verbrechen begangen worden. Gerade da wo sie bis zum Äußersten verleugnet worden ist, zeigten Auschwitz, der Archipel Gulag und Hiroshima ihr hässliches Antlitz.

Anstatt zu fordern die Errungenschaften der Natur auf ein ’naturwüchsiges Maß‘ (was auch immer das auch sein mag) zurück zu stutzen, sollte doch endlich der bürgerliche Zwangscharakter unter die Lupe genommen werden… Dann kann auch das über Geld und Eigentum streitende Liebespaar am Tisch neben mir endlich den herrliche Sonnenuntergang genießen. Morgen geht es weiter nach Sevilla…

Übrigens: Diese madrileña habe ich mir als Stadtführerin und Tapas-Expertin gewählt und wir haben eine aufregende Bartour in Madrid gemacht…

Madrilena

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