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Platte des Tages: Blumfeld – Testament der Angst [EastWest 2001]

testament

Vor zehn Jahren ging’s dann auch grad garnicht mit dem Techno. Frankfurt hatte endgültig dicht gemacht und bis die Neuberliner ihre Keta-Spaßbremsen-Nullersound-Revolution starteten sollte noch ein Jahr vergehen. In Frankfurt (als ob es keine Boshaftigkeit auf dieser Welt gäbe) bretterte man unentschlossen zwischen Schranz und German Hardstyle hin und her. Das gab zumindest dem konventionellen, sich auf Rock beziehenden Pop eine neue Chance in meiner Kiste.

Das die Strokes mit ‚Is this It?‘ endlich wieder die Energie versprühten, die eine Dekade vorher Nirvana zu Weltruhm brachte, war erfreulich, aber auch nur ein Retrophänomen (wurde ja auch symptomatisch für die Nuller). Etwas ganz anderes passierte dann bei meinen damals noch regelmäßigen Besuchen im Plattenladen:

Extrem genervt von dem Einheitsbrei griff ich voller Übermut und zugedröhnt von zuviel Spex-Lektüre zu einem Vinyl (Testament der Angst), das wenige Jahre vorher definitiv niemand auf diesem Medium veröffentlicht hätte. Und dazu noch Hamburger Schule. Aber interessant war’s dann doch. Also das Pendel ganz in die andere Richtung geschleudert, damit es Jahre später mit voller Wucht zurückkommt.

[Video via KFMW]

Ignorant und leicht prollig wie man mit um die 20 eben so ist, konnte man die Band Blumfeld – ohne sie zu kennen – als Pseudo-Germanistikstudenten beschimpfen, um sich bloß nicht verunsichern zu lassen. Oder dann doch über den Schatten springen und den Texten eine Chance geben, sich an die akustische Instrumente gewöhnen. Was sicherlich schwerer war, denn musikalisch ist das Album kein Meisterwerk: relativ seicht und extrem poppig.

Textlich schon anspruchsvoller. Mehr Kritik (allerdings nicht so unvereinnehmbar-intelligent wie bei den Hamburger Kollegen der Goldenen Zitronen) die sich an der Desinteressiertheit des marktförmigen Menschen abarbeitet, allzuoft dran verzweifelt und sein Glück in der zweisamen Liebe sucht. Dabei ist es eine sehr dünne Grenze zwischen Kunst und Kitsch in der sich Jochen Distelmeyer mit seinen Texten bewegt. In welche Richtung die jeweilige Grenze überschritten wird, muss jeder für sich selbst herausfinden.

Vielleicht war es aber auch genau die richtige Reaktion, auf die damals ausgerufene Spaßgesellschaft mit Depression zu reagieren. Und von der Zwischenmenschlichkeit würde heute viel mehr gebraucht werden, da aus der vermeintlichen Spaßgesellschaft eine Hassgesellschaft geworden ist, ohne jetzt in ein verpillt-kitschiges „All you need is Love“ zurückfallen zu wollen.

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