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Der graue Himmel

Ich weiß nicht, warum ein bedeckter Himmel in deutschen Großstädten immer als Suppe beschrieben wird, denn keine Suppe, die ein Mensch essen würde, hat diese Unfarbe. Ein tristes, mittelgraues Stück Brotpapier, auf dem Weg zur Fließbandschicht in den Ford-Werken ausgepackt, würde ein besseres Bild abgeben. Obwohl sich dieses Butterbrotpapier für gewöhnlich über einen Großteil des Landes ausbreitet, hat es in jeder Stadt seine besondere Tristesse. In Essen hat es die Tristesse eines polnischen Betonarbeiters, der weiß, dass er die kristallklaren Seen seiner Heimatstadt erst in einem halben Jahr wieder sehen wird. In Köln oder Berlin hat es den mutigen Stolz von unzähligen Kreativarbeitern, die in den Glossy-Oberflächen ihrer MacBooks die Phantasiewelt ihrer Kindheit suchen. In Hannover hat der graue Himmel etwas endgültiges, hoffnungsversagendes, er wird flankiert von Omas mit durchsuppten Augenklappen und mittelalten Männern in KIK-Outfit, die Bier oder Weinbrand in der Strassenbahn trinken.


In dem Gemälde ‚Ansicht von Delft‘, bei dessen Anblick Marcel Proust einen schlimmen Asthmaanfall bekommen haben soll, ist der Himmel wild erregt, mit Wolken und blauen Farbtupfern, aber man kann sich gut vorstellen, dass auch ein aschgrauer Himmel die stille Zufriedenheit der Bauernmärkte und Kanalschiffer nicht beeinträchtigt hätte.

Von Münster bis Kassel hüllt sich Deutschland in ein schmuckloses Knittergewand, welches die deutsche Psyche für jeden Besucher nachvollziehbar macht: Ein grimmiger Stolz darüber, dass man es schafft sich im Winter nicht das Leben zu nehmen und die Menschen trotz ihrer grauen, fahlen Gesichter einander begehren und sich füreinander interessieren.


Dies, gepaart mit dem heimlichen Traum einer anderen, schöneren Gegend, die man ja Ab und Zu zu besuchen die Gelegenheit hat, ist Anreiz für, wenn nicht sogar Ursache der fleißig geleisteten Arbeit.

Es macht die Deutschen zu einem Volk, das sich bei jedem darüber beklagt dass es nicht stolz auf sein Land sein darf und das jeden mit einem grimmigen Argwohn betrachtet der hierher kommt um sein Glück zu finden.

Warum sind Marokkaner, Malaien oder Brasilianer nicht aggressiv gegenüber den Menschen die ihr Land und dessen Schönheit bewundern? Sie wissen um den unendlichen und nicht stehlbaren Reichtum der Natur ihres Landes und können deswegen großzügiger sein als der Trambahnfahrer in Mülheim-Styrum, dem man seiner Meinung nach alles nehmen will auf das er noch stolz sein kann.

Mich persönlich macht der Himmel depressiv und reizbar, was immer noch besser ist als stumme Hoffnungslosigkeit. Mir gegenüber sitzt ein pakistanischer oder indischer Mann der so ekelhaft schmatzt, dass ich ihm am Liebsten die Tüte Studentenfutter wegnehmen und sie aus dem fahrenden Zug werfen würde. Mit detaillierter Genauigkeit kann man seiner Zunge und den wulstigen Lippen beim Umlecken jeder einzelnen Rosine und jedes einzelnen Erdnusssplitters lauschen, was ihn zum widerlichsten Erlebnis des Monats macht. An einem sonnigen Tag hätte ich ihm vielleicht zugelächelt, aber in meinem Zustand nervt mich jede einzelne seiner Bewegungen und jetzt hat er auch noch laut vernehmlich aufgestoßen. Das Konzept der ersten Wagenklasse erscheint mir plötzlich extrem schlüssig. In zehn Jahren bin ich sicherlich ein typischer Erste-Klasse-Fahrer, der sich über die Pöbelhaftigkeit seiner Mitreisenden echauffiert. So schleift dieses Land einen. Getrieben von dem Selbsthass, den man entwickelt, weil man es nicht schafft diesem Land und seinem Klima zu entfliehen, hasst man plötzlich auch alle anderen Menschen, wenn sie nicht zufällig den aktuellen persönlichen Schönheitspräferenzen entsprechen.

Irgendwo zwischen Gütersloh und Hannover steigt dann auch noch ein komischer Herr ein, der eine arabisch aussehende Frau mit plattem bürgerlichen Integrationsrassismus zutextet. Diese wählt die einzige vernünftige Option und stoppt das Gespräch. Ich würde gerne wissen ob diese Normalbürger es eigentlich genießen die Ausländer unter ihrer repressiven Toleranz sich winden zu sehen oder ob sie wirklich so stumpf gegenüber der geltenden Gesprächsetiquette sind. Oder gilt die für mutmaßliche Ausländer gar nicht? Erste Klasse fahren als antirassistische Maßnahme? Solchermaßen sollte ich meine gestresste Seele, die nach Ruhe lechzt, wohl nicht hochstilisieren. Gleich haue ich dem Erdnuss-Typen eine rein, wenn der noch einmal schmatzt.


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