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Einzelgänger in den Zeiten der Cholera. Ich meinte … des Netzwerkens.

Dieser Text ist ein Gastbeitrag von silkella.

Einzelgänger. Ein-Zell-Gänger. Einzel-gang-er. Es ist schon ein komisches Wort, dieses Wort. Man muss es sich nur ein paar mal vorsprechen und schon kommt es einem seltsam vor. Wie fast alle anderen Worte auch. Es ist also völlig irrelevant, welchen Begriff wir dafür verwenden, denn es geht hier nicht um Worte, sondern Phänomene. Und ich denke gerade über den Einzelgänger nach. Als solchen. Und als anderen. Und welche Assoziationen dieses Wort heraufbeschwört …

Ich glaube, wenn man das Wort Einzelgänger hört, denkt man schnell an den Eigenbrötler. Den Nerd. Den verschrobenen Menschen mit einem erschreckenden Mangel an sozialen Kompetenzen und dafür besonderen Spezialinteressen, die sonst kaum jemand hat oder teilt.

Den scheuen Kauz, der sich nur ungern unter Menschen traut, weil er sich unter ihnen unsicher fühlt, weil er sich in der Welt seiner Spezialinteressen geborgener und freier gleichzeitig fühlt als wenn er sich unter anderen Menschen bewegt.

Ein unglamouröser Hipster mit einer fetten Brille, ungepflegten Haaren und einer gewissen Muffligkeit, der gar nicht weiß, dass er ein Hipster ist. Oder dass ihn irgendjemand dafür halten könnte.

Weil er sich über solche Dinge keine Gedanken macht und ihm das Wort »Hipster« nur vage geläufig ist. Und er im Grunde einfach nur froh ist, wenn die meisten Menschen ihn in Ruhe lassen. Falls sie schon nicht trotz seiner Ernsthaftigkeit und trotz einer gewissen sozialen Unbeholfenheit zumindest ein kleines bißchen freundlich, nachsichtig und verständnisvoll ihm gegenüber sein können ohne dabei auf eine merkwürdig-entwürdigende Art herablassend zu werden oder sich dadurch selbst aufwerten zu wollen. (Das Pendant zu einem „Ich bremse auch für Tiere“-Aufkleber auf dem Auto. Als ob das nicht das Selbstverständlichste überhaupt sein sollte.)

Um diese Art von Eigenbrötler geht es mir auch, aber nicht nur. Es geht im Grunde um einen anderen Menschenschlag. Es geht um den kommunikativen, geselligen, am sozialen Leben und an den Menschen selbst interessierten Typ des Einzelgängers. Ein Widerspruch in sich? Nein, nicht wirklich.

Wenn jemand gesellig ist, wenn jemand es liebt, sich auszutauschen mit anderen … kann jemand dann zugleich Einzelgänger sein? Ich behaupte, ja. Es gibt Menschen mit einem hohen Grad an oberflächlicher Anpassungsfähigkeit, die eloquent sind, humorvoll, gebildet; die zu fast allen anderen Menschen leicht Zugang finden, Schnittmengen finden, bei allen möglichen Themen etwas beizutragen haben. Sie meiden den Kontakt mit anderen Menschen nicht, sie suchen ihn. Weil sie die Freundlichkeit anderer Menschen manchmal brauchen wie alle anderen Menschen. Aber sich unter ihnen wirklich zu verorten, sich wirklich als Teil dieser anderen zu fühlen, sich wirklich identisch zu fühlen mit anderen, misslingt. Dem Einzelgänger ist das bewusst und er leidet nicht wirklich darunter. Es ist einfach ein Seinszustand, der ihm vertraut ist, der ihm eigen ist.

Der Einzelgänger ist ein Einzelner unter den Vielen … er tendiert nicht zur Vereinsmeierei, er biedert sich Gruppen nicht an, er ist ein Faschingsmuffel, er braucht seine Rückzugsorte und sein größter Rückzugsraum ist er selbst.

Seine innere Welt aus Fantasien, Gedanken, Gedankengemälden, dieses gigantische Mosaikbild aus allem, was er je in seinem Leben las, aufnahm, sah, erlebte, ist in ihm beliebig neukombinierbar. So gesehen ist er sich selbst eine angenehme Gesellschaft.

Er tendiert zur Selbstgenügsamkeit und ist somit relativ autonom und unabhängig. Ob er ein Café besucht oder nicht, hängt nicht von der Bereitschaft seines Rudels, seiner Clique, seiner Freunde ab, ihn zu begleiten, sondern nur von seinem eigenen Wunsch, etwas zu tun oder eben zu lassen. Vielleicht reicht ihm ein Buch als Begleitung. Kommt er mit jemandem ins Gespräch, schön. Wenn nicht, auch gut. Die Ängstlichkeit des Eigenbrötlers fehlt ihm, dafür ist ihm die Tendenz zu eigen, ganz in seinem eigenen Rhythmus leben zu wollen … manchmal auch ohne Rücksicht auf andere nehmen zu müssen. Dafür ist er, was er ist.

So gesehen kann der Einzelgänger ein sehr guter Unterhalter sein, er kann charmant sein und sogar bezaubernd und dennoch bleibt ein Teil von ihm unnahbar. Etwas in ihm bleibt unter allen anderen Menschen allein. Unter allen Schichten oberflächlicher Geselligkeit bleibt doch ein Kern, der sich widersetzt, wenn es darum geht, sich anderen Menschen wirklich nahe zu fühlen.

Er wird demzufolge nicht allzu schnell Menschen seine Freunde nennen, nicht jeder, mit dem er zehn Sätze gewechselt hat, ist deshalb auch schon sein bester Freund. Es ist generell nicht leicht, sich mit dem Einzelgänger zu befreunden. Weil er Einzelgänger ist.

Man könnte diesen Menschentypus nun als herablassendes Wesen betrachten, das sich nicht schnell mit anderen identifiziert oder anfreundet, weil ihm niemand gut genug dafür ist. Weil er selbstverliebt ist. Weil er nichts mehr schätzt als sich selbst und er alle anderen für ihre Abhängigkeiten verachtet. Und dabei doch am wahren Leben vorbeilebt.

Doch dem ist oft nicht so. Natürlich können auch Arroganz und Selbstverliebtheit bei Verachtung all dessen, was sich von einem selbst unterscheidet, eine Rolle spielen, wenn jemand unfreiwillig in die Rolle des Einzelgängers gerät. Unfreiwillige Einzelgänger sind aber keine Einzelgänger, sie leiden darunter, nicht Teil eines größeren oder kleineren sozialen Ganzen zu sein. Sie müssen sich ihren Wert ständig beweisen, indem sie Teil eines Rudels, einer Gemeinschaft sind und todunglücklich, wenn ihnen das nicht gelingt.

Der echte Einzelgänger ist da etwas anders gestrickt. Er leidet nicht. Er kennt es nicht mehr anders. Und er will es vielleicht auch nicht anders, er hat ein katzenhafteres Temperament als der Mensch, der anstatt aus Wahl – aufgrund seiner eigenen Entscheidung – aus Not Einzelgänger wurde. Aber sich eigentlich nach der Anerkennung einer Gemeinschaft sehnt und viel dafür tun würde, zu einer solchen Gemeinschaft zu gehören. Der echte Einzelgänger weiß dagegen vielleicht nicht, wohin er wirklich gehört, aber er weiß immer, wohin er nicht gehört. Wozu er nicht gehört. Und zu wem.

Ich finde, im Einzelgängertum kann auch eine Form von Erhabenheit liegen … eine Form, wirklich eigen, wirklich man selbst zu sein, unabhängig von anderen. Und dennoch bleibt eine gewisse Grundeinsamkeit in dieser Existenzform bestehen, doch sie gehört zum eigenen Wesen. Man hat vielleicht in jüngeren Jahren lange Zeit nach seinen Menschen, den Seelenverwandten, den Gefährten, gesucht und fand diese nicht. Weil man Einzelgänger ist und ein Teil von einem das auch immer war.

Es kann nicht jeder Einzelgänger ein Steppenwolf sein wie in Hermann Hesses Roman, doch die Figur des Harry Haller umschreibt diesen Spagat zwischen dem Ich und den Anderen noch immer mehr als gut. Dieses Wissen um den Mangel an Zugehörigkeit, dieses Wissen um die eigene Eigenartigkeit.

Die Frage ist doch … kann man in der heutigen Zeit denn überhaupt noch Einzelgänger sein? In einer Zeit, in der jederzeit jeder mit jedem vernetzt ist? In der Menschen keine Minute ohne ihren sozialen Kontakte ertragen? In der alle anderen ständig in der einen oder anderen Form präsent sind? Ich behaupte: heute besser denn je …

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