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Agonie des Realen: Big Brother – Die 2. Staffel

Selbstverortung:
Im Februar diesen Jahres, als die ersten Medienwellen über „Big Brother“ durch den Äther spülten, nahm ich mir sofort vor, diese Sendung nie einzuschalten. Nicht etwa aufgrund alberner Fernsehkonsumkontrollängste à la „Ich habe mal kurz zu Tutti Frutti gezappt“, vielmehr aus Angst vor der Dreistigkeit, mit der die Produzenten die Schreckensvision des Orwellschen Big Brothers aushöhlen, indem sie es zum Symbol einer Fernsehshow machten. Doch nach schleichendem Beginn der Serie erlag ich zunehmend der Faszination eines vollkommen von Kameras kontrollierten (künstlichen) Lebens. Die Frage stellte sich mir, inwieweit die Protagonisten noch ein normales Leben führen können, und wie das Experiment wohl ohne Kameras aussehen würde. Extreme Fernsehshows dieser Art kannte man ja höchstens aus „Dr.Who“-Folgen oder bitterböser Medienkritik-Science-Fiction. Und das alles ließen Die Teilnehmer für „nur“ 250.000 DM mit sich geschehen – ein Viertel des Gewinns einer anderen bekannten Quizshow Nach 2 Wochen entwickelte ich mich zum „Big Brother“ Kenner, führte meine eigenen Warnungen ad absurdum und diskutierte heftig mit, über das Leben von John, Andrea, Zlatko und Co. Zumal mir auch die Kritiker immer weiter auf die Eier gingen, die den Quoten nur in die Hände spielen … Subersive Affimation?

1. Zwischenspiel:
Gegen Ende der ersten Staffel, als „Die Bewohner“ mit dem Hit Großer Bruder in den Charts auftauchten, mit einem Text ähnlich „Du bist mein großer Bruder, du bist immer da … „, beschlich mich plötzlich die Paranoia, hier ginge es nicht nur um Einschaltquoten, sondern die Big Brother-Macher wollten quasi schunkelnderweise schon mal Einstimmen auf die Realität totaler Überwachung. Eben genau durch die Behauptungen der Bewohner, daß alles sei ja gar nicht so schlimm und die Entwertung des Schreckensymbols des Big Brother. (Zur Erinnerung: Der Orwellsche Big Brother war das Medium eines totalitären Staates, das seine Bewohner mit Ideologie zuspülte, und sie gleichzeitig per Rückkanal überwachte.) Doch sei hier erstmal Schluß mit der Paranoia.

Big Brother- Realität:

Nach längerer Zeit entwickelte sich das todgesendete Format zu „einem minimalem tatsächlichen Ereignis (in einem) ein maximales Echo erzeugendem Hallraum“.

Meint hier die Zeitungen, die Sensationsmeldungen und „geheime“ Fakten veröffentlichten, die Prominentenbesuche im Container, die ausgekoppelte Charthits der Ex-Bewohner und so weiter … Anscheinend hatten die Caster nicht genügend Konfliktpotential eingebaut, und das Containerleben entwickelte sich recht friedlich und ereignislos.
(Zynisch wie Percy Hoven zugab, Zlatko sei als „ey, alter wasn los“-Baustein ausgesucht worden, und hätte sich dann als Star entpuppt) Schnell war dann auch das Ende der Serie erreicht, und es begann die übliche mediale Resteverwertung … Dienst nach Vorschrift.

Die zweite Staffel:
Man hatte dazugelernt. Eine große Show veranstaltet, Stars auftreten lassen, Fans sind nach Hürth eingeladen worden … quasi die kapitalistische Variante von „der Masse eine Begriff von sich selber geben“. Auch die Bewohner sind jetzt 12 an der Zahl und aus sämtlichen verfügbaren Klischees rausgemorpht worden. Das simulierte Leben kann weitergehen. Und: Die ersten Schäden die die Big Brother-Welle auslösen wird, sind zu spüren … Die Bewohner verhalten sich nicht nur in erster Ordnung künstlich wie im ersten Teil („Bloß bei allen beliebt sein, damit man nicht nominiert wird“), sondern beziehen die zweite Ordnung, d.h. die Zuschauer mit in ihre Kalkulation ein. So wird beispielsweise Karim vorgeworfen, er wolle bei den Zuschauer als „der Liebe“ ankommen, nur weil er die völlig fertige Marion tröstet.

Dieses Mißtrauen seinen engsten Umgebenden gegenüber, zugunsten eines antizipierten Zuschauers, ist wohl schon fast eine Psychose, die den gegeben Realitäten ein herrschendes Über-Ich entgegenstellt: Den allmächtigen Zuschauer

Der Zuschauer:
Selber kann der Zuschauer (dank der Cleverness von rtl2) jetzt mitbestimmen, wer nominiert wird (faktisch hat die Stimme aber eher symbolischen Charakter). Er hat Einfluß auf das Handeln der Protagonisten und vergißt damit netterweise die gegebenen Realitäten. Sein Feedback ist folgendermaßen zubewerten:

2.Zwischenspiel:
„In der Sphäre der Medien (der der Zuschauer ausgesetzt ist) wird zwar gesprochen, aber so, daß nirgends darauf geantwortet werden kann. Unnötig sich das Fernsehen als Periskop vorzustellen, mit dem das Regime im Privatleben eines jeden herumspioniert, denn es ist vielmehr als das, das Fernsehen ist, daß die Leute nicht mehr miteinander reden, dass sie angesichts einer Rede ohne Antwort endgültig isoliert sind.“ Paranoia also nicht nur in zukünftigen Schreckensvisionen à la Orwell, sondern eher in der Alltagswelt.

Fazit:
Hört auf, euch über diesen Quatsch zu unterhalten, „Big Brother“ dient nur drei Zwecken

– der Quotenmaximierung bei geringsten Produktionskosten, um Werbung zu lancieren
– der Verschleierung der steigenden Überwachung öffentlicher Plätze, Automaten, Bahnhöfen, Supermärkten bzw. die Verharmlosung dessen
– der Eliminierung sozialer Kontakte die über Medienreflektion hinausgehen

Über die popkulturellen Implikationen der Serie, die ihre Faszination ausmachen, hier ein andermal.

(Alle in Anführungszeichen gestellte Zitate enstammen Jean Baudrillard „Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen“ )