„Am Rande jedes gesellschaftlichen Systems existieren Menschen die auf das Ende dieses Systems warten. Es sind autonome Subjekte die ohne die permanente Revolution nicht leben können. Ist ein System zerschmettert und wird durch ein neues abgelöst folgt nach einer kurzen Phase der Euphorie die alte Stagnation.“

Read: Shawn Austin – Extinguisher

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Barcelona 2006 – The Influencers

Anlässlich des Culture Jamming-Festivals The Influencers habe ich mich mit dem Kameramann Daniel nach Barcelona begeben um einige Künstler und Aktivisten wie z.B. die italienischen Videospiel-Subversiven Molleindustria zu treffen.

Nachdem wir unser Zimmer in einem extrem asigen Viertel von Barcelona – Hostal „San Ramon“ mit üppigem Angebot an Prostituierten jeglicher Provenienz – bezogen hatten, ging es zum Strand. Kurz chillen, dann arbeiten und zwar filmen im CCCB – Centre de Cultura Contemporània de Barcelona. Das italienische Programmierkollektiv „Molleindustria“ entpuppte sich als eine einzige, extrem schüchterne Person mit dem Namen Paolo. Wir vereinbaren einen Interviewtermin am nächsten Tag. Der Auftritt eines Mitglieds der slowenischen Kuenstlergruppe NSK forcierte den Abend in eine extrem übereizte Diskussion über die ontologische Boshaftigkeit von Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien, wobei wir eindeutig verloren haben und nun sehen werden, inwieweit wir morgen noch herzlich empfangen werden auf diesem nun doch sehr essentiellem Ereignis in Barcelona …



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Von Köln nach Merzouga (und zurück) – Tag 25 bis 30

Tag 25 und 26

Der Tag des Abschieds ist gekommen. Der Fährhafen in Tanger ist das reinste Chaos. Die Abfertigung für Europäer ist recht lax, aber man sollte keinesfalls jedem einfach die Passports und seine Fährkarten in die Hand drücken. Sonst verschwindet der Typ nämlich, man kriegt einen halben Herzinfarkt und dann taucht er irgendwann mit einem ollen Zettel wieder auf und will Dirham oder Euroscheine oder Souvenirs.

Niemand weiss wann und wo unsere Fähre abfährt, wir kurven wild auf dem Gelände rum und finden heraus, dass wir vier Stunden auf die lahme Fähre warten müssen. Als wir uns aus Versehen in die falsche Schlange einordnen, bekommen wir ungefragt ein Billet für die Schnellfähre und ein älterer Herr versichert uns mit einem Augenzwinkern, dass das schon in Ordnung sei so. Als wir auf die Fähre fahren, schaut er unauffällig weg und wir machen auf das Schiff drauf, dass normalerweise circa 150 Euro mehr kostet. Ein netter Marokkaner quatscht mich an, die lustigen Hafenarbeiter haben seine Mappe mit den Ausreisepapieren versteckt und machen sich über seine Panik lustig. Irgendwann taucht die Mappe wieder auf und der nette Marokkaner kickt sie aus Wut durch den halben Hafen. Wildes Gebrüll, dann Schulterklopfen und Gelächter. Lustiges Land!

Als Tanger am Horizont im Dunst versinkt, überkommt mich eine Mischung aus Wehmut und Erleichterung und die Worte Hassan des Zweiten gehen mir durch den Kopf: „Marokko gleicht einem Baum: genährt von Wurzeln tief in der Erde Afrikas, atmet er durch Blattwerk, das in Europas Winden rauscht.“ Schöner – oder euphemistischer – kann man es nicht sagen. Ich bin erst mal froh wieder im Blattwerk zu sein, werde aber bestimmt wiederkommen …

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Von Köln nach Merzouga (und zurück) – Tag 19 bis 24

Tag 19

Aus gegebenem Anlasss möchte ich darauf hinweisen, das wir im Grossen und Ganzen von der marokkanischen Bevölkerung stets sehr nett und herzlich empfangen werden. Die vielen Schilderungen absurder Schlepp- und Neppsituationen sind wohl der Tendenz des Menschen geschuldet negative Erinnerungen und Erlebnisse stärker zu betonen. Ich hatte nie Gelegenheit als Fremder in Deutschland unterwegs zu sein und denke marokkanischen Besuchern dürfte ähnlicher Scheiss (nur eben typisch deutsch) passiert sein. Wenn ich vom Marokkaner an sich schreibe, meine ich dies stets scherzhaft und bin mir wohl bewusst, dass es sich bei den Filous um eine verschlagene wenn auch eine sehr laute und aufdringliche – Minderheit handelt.

Sidi Ifni entpuppte sich am Ende als eine Art Stephen-King-Stadt, aus der nur schwer zu entkommen war. Als ehemals spanische Enklave, die in den Sechzigern Hals über Kopf von den Spaniern verlassen wurde – ohne deren Hunde wohlgemerkt – lassen die Marokkaner ganze Stadtteile anscheinend ungenutzt. Sie wirken irgendwie entfremdet und fehl am Platze.

Zudem erleiden einzelne Marokkaner eine extrem facettenreiche Biografie aufgrund von senkündlich sich ereignenden Fluktuationen auf dem Arbeitsmarkt. Ein Beispiel:

Ein recht gut gekleideter junger Marokkaner stellt sich uns ungefragt als Englischlehrer vor, der ein wenig sprechen üben mochte. Auf dem Weg zu einem von ihm empfohlenen Restaurant hat sich auf Nachfrage seine Berufung geändert und er betreibt nun ein altruistisches Museum für Wüsten- und Nomadenkunst, wo ein leckerer Tee auf uns warten soll. Nein, danke! Später am Abend hat er den selbstlosen Museumsbetrieb satt und auf Teppich- und Mineralienverkaufer umgesattelt – wohl ehemalige Exponate … Auf strenge Nachfrage bezeichnet er uns als Kulturbanause und Pauschaltouristen, die sich einen Dreck um die marokkanische Kultur kümmern. Aber ein guter Freund will er bleiben und eine Lüge sei das alles nicht gewesen, vielmehr Anschauungspunkte ein und derselben Wahrheit.
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Von Köln nach Merzouga (und zurück) – Tag 14 bis 18

Tag 14 und 15

Aus Merzouga brachen wir „früh“ morgens auf, in die sogenannten „Gähn“-Schluchten „Gorges du Todra“ und „Gorges du Dades“. Die Todra-Schlucht ist ein Naturschauspiel, dass gewöhnliche Touristen nur bis zur „antiken“ Souvenirstrasse zu sehen bekommen. Dort halten die Busse und man bekommt Kostbarkeiten wie z.B. Teppiche, Fossilien und Mineralien angeboten. Eine fotografierende Frau mittleren Alters will mitten auf der Strasse fotografieren, was von Guido mit den Worten: „Dann lassen wa die Alte mal schön ihr Foto machen“ kommentiert wird. Nur blöd, dass es eine Deutsche war …

Auf der weiteren Fahrt die Schlucht hinauf läuft in unserem MP3-Gewerke der Track „Can U Feel It?“ mit der gesampelten Stimme von Chuck Roberts … Daraufhin entspannt sich folgender Dialog:
Guido: „Was SINGT der da? I had a dream?“
Stefan: „Das ist doch die Rede von dem Neger!“
Gudio: „Mohammed Ali!“
Ich: „Wenn schon Martin Luther King!“
Stefan: „Ja, ich war noch nie so gut in Geografie …“*
Daran mag der geneigte Leser das intellektuelle Niveau erkennen, welches unsere Gruppe inzwischen erreicht hat …

Abends erreichten wir das Ende der Teerstrasse in der Todra-Schlucht und entschlossen uns – nach einem Blick auf die Schotterpiste – umzukehren.

Natürlich gab es einen Berber, der die geniale Geschäftsidee hatte, am Ende der Teerstrasse eine Herberge zu bauen. Der Junge der dort arbeitet heisst Larsin, ist Zwanzig und bewacht einsam und allein mit seinem Hund Linda die Auberge mit Minimalkomfort.

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Von Köln nach Merzouga (und zurück) – Tag 9 bis 13

Tag 9

Stefan und Guido haben die Medina von Fès überlebt und kommen im Dunklen auf unserem Campingplatz zurück, obwohl ich Stefan per Handschlag an einen kleinen Jungen verkauft habe …
Am nächsten Tag brechen wir Richtung Ifrane bzw. Azrou auf, wo man die grösste Zeder der Welt und die Höhlen der Bruderschaft der Sidi Abdesallam besuchen kann, die angeblich alle direkte Vorfahren von Mohammed dem Propheten sind. Bei den „Höhlen“ angekommen treffen wir nur einen älteren Mann dessen Französisch jeder Beschreibung spottet.

Er sagt eine Nacht in seinem Hotel kostet „cinquante plus“ Dirham und führt uns in einen verlotterten Stall unter dem sich tatsächlich eine Höhle befindet. Auf meine Frage wieviele es von den Höhlen gibt, antwortet er: „cinquante plus“.

Dann lädt er uns zum „Whisky Berber“ (Pfefferminztee) ein und berichtet auf meine Fragen, dass er ein stolzer Berber sei und seine Pension „cinquante plus“ Millionen Dirham gekostet hat. Die Berber gäbe es schon vor dem Einfall der Römer vor „cinquante plus“ tausend Jahren. Sein jüngster Sohn taucht auf und guckt in einer Mordslautstärke japanische Mangas, was die Kommunikation nicht gerade einfacher macht. Als wir uns gerade wegkomplimentieren wollen, tauchen mehrere andere Berber auf, die mir mitteilen, dass Abdullah gleich kommen würde, worauf wir ja so gar nicht gewartet haben. Abdullah erscheint dann auch und mit ihm ein fetter reicher Marokkaner aus Meknes mit seinen beiden Schicksen. Die Mädels flirten hemmungslos mit uns und der Dicke trägt hektoliterweise Wein und marokkanisches Bier auf, wobei er dauernd seinen Lancia-Schlüssel wedeln lässt.

Nach einem Bier fragt er uns ob wir mit einem der Mädels ins Bett gehen wollen oder wir haben seine Gesten völlig falsch gedeutet. Alle lachen! Unser Verdacht, dass hier irgendwas nicht stimmt, erhärtet sich und wir stehen auf und versuchen zu gehen.

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Von Köln nach Merzouga (und zurück) – Tag 5 bis 8

Tag 5 bis 7

Kurz bevor wir in Martil aufbrachen erzählte mir Mustafa noch, dass am Strand das Militär Streife geht, um die Fischer davon
abzuhalten mit ihren Booten einfach nach Spanien abzudüsen. Für seine Gesellschaft bat er um eine Flasche Rotwein und eine weitere Fortuna, um sie dann in sein Zimmerchen mitzunehmen und zu verstecken. Wir fuhren eine Serpentinenstrasse entlang nach Et Tetla de Oued Laou auf einen weiteren Campingplatz. In einem Restaurant bekamen wir unglaubliche Mengen frittierter Calamari und Scampi mit Fritten und wurden unsere Meinung nach beim Preis total beschissen. Am Strand lernte ich einen neuen Mustafa (sic!) kennen, der ununterbrochen Kif rauchte und die Vorteile von Kif und Haschisch aus dem Rif-Gebirge pries. Da wir alle clean sind, interessierte uns das Verkaufsgespräch nicht, und wir schauten den Fischern bei ihrem merkwürdigen Treiben zu. Dann ab ins Auto und weiter nach Fès über die Gebirgsstadt Chefchaouen.

Hier scheinen alle Marokkaner aus der Kyffhäuserstrasse in Köln geboren zu sein. Wir bekamen circa 25 mal frisches Haschisch oder Kif angeboten … Netter Ort!

Da wir aber auf Extrem-Sightseeing-Tour sind – im vierten Gang durch Marokko (!!!) – fahren wir wie die Irren weiter nach Ouezzane und dann auf eine von Erika Därr – dazu später – und Stefan favorisierte „Erlebnisstraße“ mit Stausee, wo man laut Stefan baden können soll. Die abgewrackte Geröllpiste spottete jeder Beschreibung. Wir vergurkten uns total auf Strassen die nicht mal unsere ultragenaue Karte kannte und die GPS-Koordinaten brachten uns außer einem wilden Zahlenwirrwarr auch nicht weiter. Es wurde dunkel und wir kamen in einen Ort, der gleichzeitig eine Sackgasse war. Plötzlich tauchte ein Sammy-Davis-Jr. Marokkaner auf und fragte auf Französisch wo wir hinwollen. Eine Sekunde später standen 45 Marokkaner aus drei Generationen um den Bus rum, die mit Brocken Deutsch, Englisch, Arabisch und Französisch auf uns einlaberten. Überall an den Fenstern tauchten grinsende Gesichter auf und ich kriegte im Busheck voll den Affen.

Ich dachte gerade: „Gleich grillen die uns auf dem Dorfplatz!“, als ich höre wie Guido mit Sammy-Davis-Jr. ausmacht, dass wir bei ihm schlafen können.

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Von Köln nach Merzouga (und zurück) – Tag 1 bis 4

Reiseroute:

Köln
– Port-la-Nouvelle – Granada – Tanger – Martil – Et-Tleta-de-Oued-Laou – Chefchaouen – Ain-Dorij – Fès – Ifrane – Azrou – Errachidia – Meski – Erfoud – Rissani – Merzouga – Tinherhir – Ait-Hani – Boulmane-de-Dades – El-Kelâa-M’Gouna – Ouarzazate – Tifnite – Sidi Ifni – Guelmim – Bou Jerif – Plage Blanche – Tiznit – Marrakesch – Tanger – Alicante – Barcelona – Köln

Soundtrack:

Bloc Party – Silent Alarm Remixes
Superpitcher – Today
Solid Steel Sessions – Mr. Scruff
Swayzak – Route De La Slack
Justus Koehncke – Was Ist Musik?
Erobique Live in Hamburg 2004
Jack Johnson – In Between Dreams

Tag 1

Der erste Tag der Marokko-Tour stand ganz unter dem Motto „Mensch gegen Maschine“, was dem neuen elektronischen Spielzeug von Stefan geschuldet war, welches mit einer sexy Frauenstimme den Weg ansagen kann. Zunächst erlebten wir aber das seltene Vergnügen den Anfang eines Autobahnstaus mitzuerleben, denn zumindest ich hatte mich immer gefragt wie es eigentlich am Anfang eines Staus aussieht. Jetzt weiß ich es: Ein Caminganhänger gerät ins Taumeln, dreht sich um 180 Grad und bleibt dann halb schräg auf der Autobahn stehen. Fünf nette Franzosen springen aus ihren Autos und versuchen das Ding schnell von der Autobahn zu schieben. Ihre Autos blockieren die herbeieilenden Sapeur-Pompiers und während diese zu dritt das blutende Knie eines Kindes versorgen, bremsen die restlichen Schaulustigen den Verkehr ab.

Unseren Navi lies das kalt. SIE bereitete ihren ersten diabolische Schachzug in Lyon vor. Und zwar entschied das Ding, das wir keinesfalls nach Orange-Marseille weiterwollen, sondern in das Zentrum von Lyon.

Ich kannte die Strecke jedoch sehr gut und musste gegen die beiden Technokraten Guido und Stefan anschreien, die unbedingt ins Stadtzentrum wollten, weil ein Navi immer recht hat. Das Ergebnis: Wir nahmen direkt Kurs auf die Leitplanke in der Mitte der Strassenbiegung und im letzten Moment riss Guido das Steuer in Richtung Orange-Marseille. Eine halbstündige Diskussion über ausgerechnet meine krankhafte Technikfeindlichkeit entbrannte. Die Strecke Lyon-Nimes verlief relativ ereignislos und kurz vor Perpignan entschieden wir in Port-la-Nouvelle zu übernachten. Von dem sanften Tuckern eines Dieselmotors – der wohl die Stadionflutlichtbeleuchtung die auf unseren Bus strahlte mit Strom versorgte -, „gelegentlich“ vorbeipötternden Mopeds und öligem Miesmuschelgeruch wurden wir in den Schlaf „gewiegt“.
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Melt! 2005 – Tomorrow I Will Be Happy!

Am 15.07.05 um 8:00 Uhr fiel der Startschuss für die Fahrt des inoffiziellen Elmar-Sommer-Backup-Teams zum Melt!-Festival in Gräfenhainichen. Der Tourbus schlingerte mit mehr als einstündiger Verspätung in die Neusser Strasse und nahm die schon sichtlich angenervte Restcrew an Bord.

Herr E. – dessen Aphorismen der Tour die nötige philosophische Bodenhaftung geben sollten, fiel schon um 12 Uhr – zwischen Hannover und Braunschweig – das erste Mal aus der Rolle. „Ich bau mal einen, das ist ja schließlich kein Kindergeburtstag!“

Nun denn, auf einem Bein kann man nicht stehen und so kam es, dass schon kurze Zeit später der ersten Flasche Gaffel Kölsch das Genick gebrochen wurde. Bei einem Zwischenstopp in einem Kaff bei Dessau, wo unsere bezaubernde Mitfahrerin Constanze von ihren Eltern abgeholt wurde, schoß man die ersten Promo-Fotos von unserer Crew. Der Vater der Mitfahrerin hatte eine Canon A100 in Anschlag gebracht und gab den David Hamilton. Als der Bus nach erfolgreicher und zumindest für mich überraschender Presse-Akkreditierung auf das Gelände rollte, hatte Herr E. schon bedenkliche Schlagseite. Die Versuche das Festival zu entern, scheiterten zunächst an einem urplötzlich ausbrechenden Gewitter, das die Band Maximo Park ebenso überraschen sollte, wie den Generator, der die Bühne mit Strom versorgte. Der Legende nach spielten Maximo Park ein Lied akustisch und verschwanden dann zu einer wichtigen TV-Show.

Unser Debüt erfolgte bei der Band Phoenix, die wie gewohnt facettenreichen und amtlichen Pop darbot. Herr H. nickte dem schon im Mosh-Pit stehenden Herrn Sommer vielsagend zu und signalisierte so unsere Bereitschaft zum Backup.

So könnte jetzt eine differenziert geschilderte und analytisch sattelfeste Festival-Reportage weitergehen, doch wie Herr E. während des Phoenix-Auftritts treffend bemerkte: „Wir sind nicht zum Spaß hier, oder!?“

So ist das Nächste, an das ich mich erinnern kann, auch erst das Back-to-Back DJ Set von Justus Köhncke und Carsten „Erobique“ Meyer um 4:00 Uhr morgens. Als diese nämlich den Song „Im September“ von Andreas Dorau spielten, startete Herr H. seine Backup-Performance: Auf einem Bein durch die schon leicht ausgedünnte Crowd hüpfend schrie er: „Januar!, Februar!, März!, April!, Mai!, Juni!, Juli!, August!“, woraufhin Doraus Song mit „September!, Oktober!, November!, Dezember!“ übernahm. Langsam wurde dann auch ich mir meiner Verpflichtungen bewusst und brüllte und sprang aus vollem Herzen. Neben mir tanzte ein sichtlich exstatischer Mense Reents zu dem im Übrigen sehr sehr überzeugend vorgetragenen Plattenprogramm der Herren Meyer und Köhncke.

Etwas vor der Zeit wollte die Security denn aber den Strom abdrehen und Carsten Meyer brüllte beherzt in die Menge: „Jetzt seid mal kurz ruhig! Seid doch mal kurz ruhig! Wir spielen noch EINE Platte!“

Der Rest ging in Pfiffen und Schreien unter. Herr Meyer startet einen kongenialen Phoenix-Remix ein und er und Justus gaben noch eine herrlich asynchrone Tanzperformance, bevor der erschöpfte Justus mit den Worten: „Ich hör‘ da hinten ’ne Bassdrum!“ das Ruder an seinen Labelmate Michael Mayer weitergab, der zeitgleich auf der Gemini Stage mit „Good Life“ von Inner City sein Set einstartete. Michael Mayer tanzte entspannt hinter, vor und neben den Turntables, lächelte in die Menge, schüttelte am Stagerand Hände und drückte dem Melt!-Festival charmant groovend und sublim rockend seinen Stempel auf. Überhaupt: der Freitag-Nacht-Pokal geht ganz klar an die mit Kompakt und Ladomat assozierten Acts und DJs!

Schon um 7 Uhr morgens allerdings begaben sich Herr H. und ich in unseren Tourbus, nicht ohne von der Security noch zweimal über das Gelände gescheucht zu werden:
Security: „Fahrt jetzt mal ganz schnell den Wagen woanders hin!“
Ich: „Sie machen sich strafbar, wenn Sie uns zum Fahren zwingen, da wir beide Minimum 2 Promille intus haben.“
Security: „Na, dann müssen wir euch leider abschleppen lassen. Außerdem untersteht das Gelände nicht der Straßenverkehrsordnung.“
Ich: „Also dürfen wir hier betrunken Auto fahren?“
Security: „Macht das ihr wegkommt!“
Herr E. legte sich dann übrigens um 12Uhr auch für einige Minuten in den Tourbus.

Der Samstag startete entspannt mit einem Bad im schlammigen und nach Aussage der Festivalleitung „lebensgefährlichen“ See.

Es kostete mich alle Kraft und einige O-Saft/Wodka-Mischungen, die ich, in unsere um eine Mann stärker gewordenen Gruppe, investieren mußte, um die Moral aufrechtzuhalten.

„Wir sind nicht zur Erholung hier!“, erklärte Herr E. dem Neuzugang Yannick die prekäre Lage. Unsere erste Tagesaufgabe war nun: Jens Friebe dissen! Der maßlos überschätzte, über laffe DAT-Halbplaybacks nölende Kinderstar mußte von seinem Ross geholt werden. Yannick und ich legten eine saubere Aerobic-Performance vor der Bühne hin und wir waren uns einig: „Die Meßlatte für Aerobic-Begeleitmusik hatte Herr Friebe um einige Zentimeter höher gelegt.“
Der noch vor Stundenfrist kollabierende Herr E., um den ich mir bereits Sorgen zu machen begann, hatte sich wundersam erholt, legte ein paar Becks Gold nach und verlegte das Abendessen auch auf „nach Dorau!“ Dieser überzeugte sofort mit der Starbesetzung: Mense Reents am Schlagwerk, Tim am Apple und Crumar, Carsten „Erobique“ Meyer an der Basstation und ein Eber/Waschbär als Backgroundtänzer. Justus Köhncke, der sich kurz vor dem Auftritt sichtlich übernächtigt ein Becks vom Fass genehmigte, stand zur moralischen Unterstützung links am Bühnenrand und wurde von Dorau schon nach dem ersten Song mit den Worten „Das Lied war für Justus!“ geehrt. Es folgten Hits wie „Girls in Love!“, „40 Frauen“ und „So ist das nun mal“. Die Minimal-Tanzperformance und die Basslines von Carsten Meyer zeigten das nächste große Ziel des Abends an: 2 Uhr Erobique an der Big Wheel Stage.

Der hatte allerdings erstmal mit der Technik zu kämpfen, das Mikrofon und einiges andere schien zunächst nicht richtig zu funktionieren. Außerdem war der gute Mann irgendwie auf der falschen Stage gebookt worden, da ich mich umgeben von Abfahrtkids befand, die zwischen Jake Fairley und Acid Maria auf Erobiques musikalischen Ausflügen nicht ganz klarzukommen schienen. Doch spätestens als Erobiques Überhit, dessen Titel ich bis heute noch nicht kenne, anlief, ging die Crowd steil. Für Tips, wie das Lied mit dem weiblichen Stimmsample: „Sounded so fine, so fine!“ heißt, bin ich sehr dankbar.

Während ich dazu mehrere Meter in die Luft sprang und Dinge wie „Carsten ich will ein Kind von dir!“ schrie, kam eine fremde junge Frau aus der Menge auf mich zu, zog an meinem Akkreditierungsausweis und gab mir zwei Ohrfeigen. „Du Arsch, ich hab einen Freund. Du bist mir scheißegal! Du brauchst dir gar nicht so toll vorzukommen!“ (???)

Herr H. eilte mir zur Hilfe und der weitere Abend konnte ohne weiter Zwischenfälle begangen werden. Beziehungsweise gab es insgesamt schon einen musikalischen Zwischenfall: Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen standen plötzlich die Alt-Rocker Laid Back (sic!) auf der Bühne um tatsächlich „Bakerman“ und „Sunshine Reggae“ in Extended Versions zu spielen. Die Umstände dieses Booking kann man wahrscheinlich nur verstehen, wenn man wei?das bald AC/DC auf dem Sportplatz des nahegelegenen Kaffs Oranienbaum spielen und DJ ?Ötzi in Roßlau angepreisen wird. (Bei näherem Hinschauen entpuppten sich beide Double bzw. Cover-Bands). Will sagen: Ohne die im Umland übliche provinziell-retardierte Fehlbuchung kommt wohl auch das Melt!-Festival nicht aus. Die wenigen Laid-Back-Fans dürften dann auch von der ungewöhnlichen Uhrzeit und der Einbettung zwischen den großen Underworld und den Drum n‘ Bass Urgesteinen LTJ Bukem und MC Conrad stark verunsichert gewesen sein.

Herr Sommer verließ nach Einbruch des Drum n‘ Bass-Gewitters den Mosh-Pit und auch wir hatten somit unsere Backup-Pflicht erledigt.

Nach etlichen „Tomorrow, I Will Be Happy“- (Superpitcher) und „Feel Good Inc.“- (Gorillaz) Wiederholungen, „REWIND!“-Gebrülle meinerseits vom Busdach und merkwürdigen Unterhaltungen im THC-Dunst strich selbst Herr E. die Segel.

Die Rückfahrt durch herrliche ostdeutsche Kleinstädte, die unheimliche Absenz von Imbissbuden an der B80 und ein famoser Sonnenuntergang rundeten die Rückfahrt und Herrn E.’s Abschlussbesäufnis ab. Herr Elmar Sommer ist übrigens Regisseur der am 11.9.05 im WDR Rockpalast ausgestrahlt werdenden Melt!-Aufzeichnung und dürfte von unserer verdeckten Backup-Operation nichts mitbekommen haben. Wer allerdings die kryptischen Moderationen bezüglich des Melt!-Festival von Klaus Fiehe in Raum und Zeit auf Eins Live zwischen 0:30 und 1:00 Uhr gehört hat, könnte dem Geheimnis der wahren Hintermänner des Melt!-Festivals ein Stück näher gekommen sein.

„Tomorrow, I Will Be Happy! REWIND!“

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Interaktives Kabbala Im Chakra des Todes

Samstag morgen im Licht & Schatten-Esoterikshop in der Kölner Innenstadt. Eine wabernde, urkosmische Gongmusik – nur unterbrochen von knapp über der Hörschwelle
liegendem Indianerbrummen – lag in der Luft. Vermutlich aus der genialen Feder Michael Cretus stammend war diese Musik in ihrer transzendenten Vollkommenheit fast schon enigmatisch, ja änigmatisch-kryptisch.

In bunte Baumwollfetzen gekleidete, behornbrillte Naturkinder, sichselbstbewußtwerdende Hausfrauen, gewagt gekämmte Religions- und Philosophiekursleiter, 34-köpfige klipperklappernde Kinderscharen, streng schauende, die Stirn im vom Tabak-, Duftkerzen- und Aromatherapiemissbrauch zerfurchten Gesicht in weltfremde Krausen legende Jugendheimleiter, eine Horde Pykniker und Leptosomen, drei in gelbes Tuch gehüllte buddhistische Mönche, die Kelly-Family, einige fundamentale syrische Numerologen, Winnetou und ein trunkener Nichtsesshafter bevölkerten das Ladenlokal.

Ich bahnte mir meinen Weg durch behämmert aufgehängte Windspiele und lebensgefährlich hervorstehende Indianerspeere, dabei heimtückisch geblendet von einem spiegelscheibengespickten Polyamidkleid. Fast stolperte ich über einen Glaskasten mit Totenkopfbroschen und Liebesamuletten, da klingelt mein Handy!
Sofort ereiferte sich ein emotives selbstgewebtes Hanfbürschchen mit einem Fingerzeig auf das durchgestrichene rote Plüschhandy, welches an der Ladendecke baumelte und schüttelte in einer Mischung aus Empörung und mildtätigem Bedauern den Kopf. Jetzt reichte es aber, was schickte sich den dieses bemitleidenswerte, ewig in diesem Amalgam aus Trivialkultur und missverstandenen Weltreligionen sinnfischende Weichei an?

„Du mit deinen dämlichen Chakras und Auren“, herrschte ich ihn an. „Glaubst du den du erbärmliche Kreatur hättest das Recht dich in deiner halbverstandenen Mischung aus Kulturpessimismus und Naturreligion über einen „Sklaven der Zivilisation“ zu ereifern? Du kommst hier in den Laden um in diesem sinnfreien, säkularen Sammelsurium von
Indianereichenholzfurnier, Inkaschrott, selbstgewirkten Hängematten, Glücksamuletten, Yogi-Tees, Horoskop-Büchern, Tarot-Karten, chinesischen Plastikvasen und Räucherstäbchen deine ach-so-freie Natur, dein „wahres Wesen“ zu kaufen. Nichts hast du verstanden. NICHTS! da entwickeln sich ganze Kulturen und gehen mehr oder minder berechtigt zu Grunde, hinterlassen ein nur in den Wahnideen konspirativer Historiker vorhandenes Kulturgut, das von taiwanesischen Plastikfirmen und Schwarzwälder
Kuckucksuhrenbauern zufällig entdeckt und nachgebaut wird, und DU hast nichts besseres zu tun, als hier reinzurennen und dir die Authentizität zu kaufen, die DU dir selber nicht geben kannst?“

Inzwischen hatte sich der restliche Inhalt des Esoschuppens zusammengerottet, um meinen Vortrag mit „Aaaaahs!“ und „Ooooohs!“ zu untermalen.

„Ja, ihr alle hier im Laden seit gemeint! Ihr glaubt dem vermeintlichem Werteverfall der Gesellschaft dadurch zu entgehen, das ihr hier in einen Laden rennt und Totems, Symbole und Nachttöpfe ominöser Religionen und Kulte ersteht, die ihr dann in euren vernebelten Köpfen zu einer „wahrhaftigen“ Lebensweise vermatschen könnt. Kulte und Religionen die z.T. nie existiert haben, und wenn doch, sich einen Dreck um die Bedürfnisse übersättigter, unaufgeklärter abendländischer Mittelständler geschert haben dürften. Oder gleich in den geldbesessenen Hirnen schmieriger New-Age-Aposteln entstanden sind … Ihr seid schon ein komisches Völkchen. Wenn ein Mensch namens Turing oder Hertz erscheinen, euch ein bunt angemaltes Stück Plastik mit Buddhaaufdruck in die Hand drücken würde und euch erzählte ihr könntet mit euren Freunde reden, ohne dass sie in der Nähe sind, ihr würdet ihn als Gott verehren und eure unterwürfigen Ansichten über ihn in der Gestalttanzgruppe austauschen. Euch fällt doch nicht mal auf, dass eure Meditationsmusik, trauriger Bastard aus wohl mal ernst gemeinten Meditationsklängen und den Bemühungen früherer Elektronikkomponisten (und somit ein gar finsteres Kapitel der menschlichen Klangproduktion), mit den gleichen IC-Schaltkreisen erschaffen wurde, die auch in meinem „Teufelstelefon“ stecken.

Aurafotografie, Chakren, Ufos, indianisches Urbewusstsein, zweite Gesichter, Superman, Seelenwanderung, Tarockkartenlegen, blonde urwächsige Herrenaliens vom Planeten Aldebaran, Benjamin Blümchen, die kindliche Kaiserin, Godzilla und das Incredible Giant Crab Sandwich – in euren Köpfen zerschwurbelt doch alles zu einem postmodernen Kollektivorgasmus, bei dem es schließlich egal ist, wer in welcher Scheinwelt lebt.

Und WER mal WAS gemeint haben könnte als er sagte: „Die Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Und die wiederum ist das Unvermögen sich des eigenen Verstandes ohne Leitung anderer zu bedienen. In eurem Fall der von Psychoschmuhs, selbsternannten Propheten, Meistern, Schahs, Energiewesen, Swamis und Illuminati Primi, aber auch Glücksrevue-Horoskopschreibern, gescheiterten Philosophiestudenten oder jedes Menschen der fähig ist ein Stück Papier bunt zu bedrucken … “