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Von Köln nach Merzouga (und zurück) – Tag 19 bis 24

Tag 19

Aus gegebenem Anlasss möchte ich darauf hinweisen, das wir im Grossen und Ganzen von der marokkanischen Bevölkerung stets sehr nett und herzlich empfangen werden. Die vielen Schilderungen absurder Schlepp- und Neppsituationen sind wohl der Tendenz des Menschen geschuldet negative Erinnerungen und Erlebnisse stärker zu betonen. Ich hatte nie Gelegenheit als Fremder in Deutschland unterwegs zu sein und denke marokkanischen Besuchern dürfte ähnlicher Scheiss (nur eben typisch deutsch) passiert sein. Wenn ich vom Marokkaner an sich schreibe, meine ich dies stets scherzhaft und bin mir wohl bewusst, dass es sich bei den Filous um eine verschlagene wenn auch eine sehr laute und aufdringliche – Minderheit handelt.

Sidi Ifni entpuppte sich am Ende als eine Art Stephen-King-Stadt, aus der nur schwer zu entkommen war. Als ehemals spanische Enklave, die in den Sechzigern Hals über Kopf von den Spaniern verlassen wurde – ohne deren Hunde wohlgemerkt – lassen die Marokkaner ganze Stadtteile anscheinend ungenutzt. Sie wirken irgendwie entfremdet und fehl am Platze.

Zudem erleiden einzelne Marokkaner eine extrem facettenreiche Biografie aufgrund von senkündlich sich ereignenden Fluktuationen auf dem Arbeitsmarkt. Ein Beispiel:

Ein recht gut gekleideter junger Marokkaner stellt sich uns ungefragt als Englischlehrer vor, der ein wenig sprechen üben mochte. Auf dem Weg zu einem von ihm empfohlenen Restaurant hat sich auf Nachfrage seine Berufung geändert und er betreibt nun ein altruistisches Museum für Wüsten- und Nomadenkunst, wo ein leckerer Tee auf uns warten soll. Nein, danke! Später am Abend hat er den selbstlosen Museumsbetrieb satt und auf Teppich- und Mineralienverkaufer umgesattelt – wohl ehemalige Exponate … Auf strenge Nachfrage bezeichnet er uns als Kulturbanause und Pauschaltouristen, die sich einen Dreck um die marokkanische Kultur kümmern. Aber ein guter Freund will er bleiben und eine Lüge sei das alles nicht gewesen, vielmehr Anschauungspunkte ein und derselben Wahrheit.

Auf dem Weg nach Fort Bou Jerif fahren wir durch ein Städtchen namens Guelmim, wo uns ein unaufdringlicher Herr eine nette Herberge empfiehlt. Später am Abend sollte dieser Mann uns laut schreiend mit einem gekaperten Mofa durch halb Guelmim jagen: eine Unterbelegung des Hotels?

Die Strasse zum Fort Bou Jerif ist eine neun Kilometer lange Sandpiste die uns endgültig den Wunsch austrieb in die Westsahara bis nach Dakhla einzudringen. Der ganze Bus voll Sand, die Augen, die Nase, der Herd, die Klamotten … Alles! Am Rand der Piste ein schlafender Marokkaner mit einem Häufchen Sand. Als er uns kommen sieht, beginnt er mit eifrigen Spatenstichen ein Loch auszubessern. Für die Instandhaltung der Piste, argumentiert er, müsse jeder seinen Obulus lassen. 5 Dirham! Auf der Rückfahrt sehen wir ihn an derselben Stelle angestrengt in die Wüste blicken, offenbar auf der Suche nach weiteren Schlaglöchern.

Das Fort Bou Jerif ist relativ verfallen, gibt aber eine gute Kulisse fuer ein bisschen Soldat spielen ab. Neben dem eigentlichen Fort hat ein französisches Paar ein Disney-mässiges, zweites Fort errichtet, in dem man in Nomadenzelten übernachten kann. Kurzer Abstecher zum Plage Blanche, der Gelb ist und in der nebligen Suppe steckend gerade jetzt kein schönes Bild abgibt. Dieser Strand sollte den südlichsten Teil unserer Marokkoreise markieren. Abends machten wir uns auf den Weg nach Essaouira, wo wir hoffen ein wenig surfen zu können. Zwischen Guelmim und Tiznit nehmen wir einen Anhalter aus der Tschechischen Republik mit, der außer tschechisch keine Sprache richtig kann, aber wohl aufgrund einer sehr wild aussehenden astrologischen Karte nach Bolivien unterwegs ist. Unserer Ansicht nach haben ihn die Marokkaner aus Layoune weggeschickt, von wo aus er über den Atlantik schiffen wollte. Ein schnell hervorgekramter Keksdosendeckel zeigt uns sein nächstes Ziel: Ein Containerschiff aus Amsterdam nach Bolivien. Viel Glück lieber Unbekannter und schlaf lieber nicht soviel am Strassenrand …

Tag 20 und 21

Ich musste wohl erst nach Marokko fahren um die Bedeutung der Europäischen Union zu erahnen bzw. die enormen Vorteile wahrzunehmen, die wir hier genießen. Die Landbevölkerung und besonders die Kinder hier sind darauf trainiert blitzschnell den Sternenkranz auf blauem Grund – ein Indiz für Geld und Wohlstand – auf unserem Nummernschild zu erspähen. Die Geschickteren wissen auch noch das Länderkürzel zu deuten und das richtige Sprachprogramm zu wählen. Auf dem Lande ist Winkeroutine angesagt, was nicht unbedingt nur freundliches „Hallo!“ bedeutet, sondern auch soviel wie „Anhalten“ und „Donnez moi une ballon!“… Wenn eine Weile lang kein Auto angehalten hat, wird dann auch schonmal ein Stein geworfen. Darauf reagieren wir nun wieder: European Style! Vollbremsung, Guido springt aus dem Bus, schnappt sich einen Stein, hinterhergewetzt… Die Kinder überschlagen sich beim Weg den Abhang runter und einer verliert seine Schuhe. Die werden flugs auf einen Felsen geworfen und das dürfte den Bengeln eine Lehre gewesen sein.
Die spanischen Rastatypen, die wir sporadisch an neuralgischen Punkten unserer Reise trafen und die zufällig hinter uns fuhren, reagieren mit beifälligem Grinsen.
Essaouira ist ein schönes Fischerstädtchen, das aufgrund des starken Atlantikwindes ein Paradies für Windsurfer ist. Leider auch nur für die, da der Wind alle anderen Strandaktivitäten zu einer Tortur macht.

In der Stadt traf ich ein paar junge Marokkaner, die erst ganz cool zu sein schienen, so dass ich ihnen die Story von dem ominösen Berbertee aus der Source Bleu de Meski erzähle. Natürlich wissen sie was das war und wollen mir nun zu Wucherpreisen Pavot – Schlaf- oder Klatschmohn – andrehen, das uns einen angenehmen Rausch bescheren soll. Der Patron des Ladens sei nicht da und daher Special Price: 5 Dirham pro Gramm.

Die Mohnkapseln sehen eher dröge aus und ich bin froh als Guido und Stefan mich wegziehen. Der Marokkaner schreit mir hinterher, dass meine Freunde nicht gut für mich seien und ich solle ihm vertrauen und in seinem Laden schön gemütlich Pavot trinken… Au revoir, mon ami!

Was uns allen ziemlich auf den Zeiger geht ist die allgegenwärtige sexuelle Anspannung. Vierzehnjährige Mädchen schreien und pfeifen uns am Strand hinterher und wir versuchen sie zu ignorieren. Trotzdem schauen uns ältere Marokkaner düster an. Frauen in den Zwanzigern schauen betont weg oder scannen uns verstohlen von oben bis unten ab – oft mit ihrem Mann am Arm. Auch unangenehm. In düsteren Gassen sieht man junge Frauen die sich verschüchtert umsehen, um nach genauer Absicherung ihrem Liebsten einen Wangenkuss zu geben. In den düsteren Stadtmauern bei den Kanonen sitzen vereinzelt Mädchen im Dunklen, um die sich ein paar Jungen scharen, ein paar erwischen wir beim Klebstoff schnüffeln. Geht mich alles nicht an, diese spezielle Form von Kultur, aber wir fühlen uns so nicht wohl, sehnen uns nach natürlichem und ungezwungenen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht und testen morgen nochmal Marrakesch aus, bevor wir vermutlich die letzten paar Tage unseres Trips in Spanien verbringen werden. „Ob wohl der verrückte Astrologie-Tscheche schon den Kontinent verlassen hat?“, frage ich mich beim abendlichen Blick auf unsere Tourenkarte …

Tag 22

In Essaouira soll nach Auskunft eines Homme Bleu die unsterbliche Asche von Jimi Hendrix lagern und Yussuf Islam aka Cat Stevens hat hier auch sein spirituelles Zuhause gefunden. Unsere Erleuchtung, so der Kameltreiber, würde uns bei einem bekifften Ritt auf den Kamelen auch ereilen und in klaren Nächten weht des Nachtes sogar ein Gitarrenriff herüber …

Auf dem Weg nach Marrakesch machen wir eine Gestalt am Wegesrand aus, einen Traveller mit Riesenrucksack … Der Tcheche? Jawohl! Haben wir irgendwie alle kein Bock drauf, ducken uns und geben Gas. Mögen die Sterne ihn nach Amsterdam bzw. Bolivien begleiten.
Auf halber Strecke entfacht ein kurzer Eklat zwischen mir und Guido, die sogenannte Walser-Friedmann-Möllemann-Spiegel-Affäre, anlässlich des Todes von Paul Spiegel, den wir der Zeitung entnehmen. Nach kurzem Angekeife – Arabian Style – beruhigen sich die Reservoir Dogs wieder und die Fahrt kann weitergehen.
In Marrakesch steuern wir sofort den „Platz der Geköpften“ an, auf dem Feuerschlucker, Schlangenbeschwörer, Wasserverkaufer und Märchenerzähler ihr Tagewerk betreiben. Zumindest was „Märchenerzähler“ angeht, habe ich persönlich aber schon genug gesehen. Wir nehmen uns ein mässig bis schäbiges Hotelzimmer mit gelegentlichem Kakerlakenaufkommen und eigenem Zimmermaedchen, das ständig unsere Wäsche machen will. Hier scheint auch die Damenwelt wieder in Ordnung, angeregt von den vielen TouristInnen laufen hier auch viele säkulare MarokkanerInnen rum. Nach einem abenteuerlichen Essen auf dem „Platz der Geköpften“, bei dem mir ein Junge aus dem Augenwinkel eine Holzschlange IN DEN NACKEN BEISSEN lässt, versuchen wir das Nachtleben Marrakeschs zu finden. Es gibt einige eklige Touri-Dissen und nach verzweifelter Suche lassen wir uns in einer Cuba-Bar nieder, in der die Bierpreise im Laufe des Abends von 40 auf fast 50 Dirham für ein kleines 0,33er steigen.

Hier laufen ein paar Jessica-Alba-Look-A-Likes rum, die unseren Hormonhaushalt etwas durcheinanderwirbeln, zumal sie uns unverblümt interessiert mustern. Nun bin ich kein Idiot und habe ja auch Jessica Alba schon von Angesicht zu Angesicht verkabeln dürfen – damals bei VIVA – und weiss wie einen Frauen dieses Kalibers anschauen: Nämlich gar nicht!

Das und die Tatsache, dass sie mit einigen ekligen Säcken an der Theke sitzen, lassen meine Alarmglocken schrillen. Nachtleben also auch hier nur von peinlichem Animateurgehabe bis ekligem Anmachschuppen möglich. Zumindest für uns ortsunkundige Gestalten. Ein letzter wehmütiger Blick auf Jessica und dann auf dem Weg nach Hause, woGuidoeinen Schwulenstrich auszumachen meint.

Tag 23 und 24

Marrakesch ist irgendwie zu einem rauschhaften Traum verwischt in meiner Erinnerung, deshalb kann ich nur lose assozierte Fetzen wiedergeben, die einen unterschiedlichen Wahrheits- bzw. Wahrscheinlichkeits gehalt haben. Was real und was Traum war, vermag ich nur noch schwer zu unterscheiden …
Bei McDonalds sehe ich – ohne Übertreibung – die beiden schönsten Frauen die ich jemals ausserhalb einer Leinwand bzw. eines Fernsehers gesehen habe. Leider wissen die beiden genau um ihre Schönheit und beachten uns – im Gegensatz zu 80% der übrigen Damenwelt – nicht gross.
Die Muezzins die zum Gebet rufen, tun dies keinesfalls direkt, sondern über klirrende graue Lautsprecher die an der Moschee angebracht sind.

Ob der Muezzin sich die Mühe selber macht, unten in ein Mikrofon zu brüllen oder es nicht auch ein Tonband tut, fragen Stefan und ich uns um zwei Uhr nachts auf unserer Terrasse. Die Frage beantwortet sich instantan, als man über die Lautsprecheranlage der Moschee das einbuchen eines Handys ins Netz hört: Takatak-Takatak-Takatak. Jeder der ein Handy neben der Stereoanlage liegen hatte, kennt das Geräusch wohl. Da hat der Muezzin wohl eine SMS bekommen …

Nicht schlimm, Muezzins sind nämlich keinesfalls Geistliche, sondern gehören zum Personal der Moschee. Sowat wie ne Küster in Kölle.

Aus Frust und gegen die Kakerlaken habe ich mir einen kleinen Billardtisch und einen Soldaten gekauft, der über den Hotelboden krabbelt und in irrsinniger Lautstärke brüllt.: DROP THE GUN! – FIRE! – FIRE! – DONT MOVE! Guido hat sich aus einem Deospray und unserem Gasanzünder eine Art Flammenwerfer gebaut und jagt die Mücken, die ihn so plagen. Von Außen sieht man immer wieder rote Flammenstösse durch die verkleisterten Fenster, der Flammenwerfer faucht und unser G.I.Joe brüllt FIRE! – FIRE! … Vietnam kann nicht schlimmer gewesen sein.

Auf meinem Rundgang im Innenhof entdecke ich ein völlig ausgebranntes Zimmer, vor dem ein Opa sitzt, der auf einem riesigen Kaugummi kaut. „Irgendwie cool“, denke ich, bis mir aufällt, das der alte Zausel an seinem Gebiss rumlutscht und die Zähne immer wieder aus seinem Mund rausschiebt. Von Zeit zu Zeit schmeisst er einige brennbare Gegenstände in das Zimmer. Als mir die Korrelation zwischen warmen Wasser in der Dusche und dem brennenden Zimmer auffällt, entschlüssele ich das Prinzip der umgekehrten marokkanischen Fussbodenheizung.

Statt wie bei uns die Keramikfliesen mit Wasserrohren von unten zu erhitzen, setzen die Hoteliers ein ganzes Zimmer in Brand und über dem Zimmer verlaufen Rohre mit kaltem Wasser, die sich an der Decke aufheizen. Der Wirkungsgrad muss lächerlich sein.

Leider müssen wir auch Marrakesch irgendwann verlassen und brettern auf der ultralangweiligen Autobahn von Casablanca über Rabat nach Tanger. Tanger ist jetzt irgendwie doch ganz schön, wenn man von dem chaotischen Fährhafen absieht und als wir einen malerischen Campingplatz an einer Felsküste entdecken, ärgern wir uns, dass wir auf der Hinfahrt Tanger so panisch verlassen haben. Dank Interzone und Pendelarbeitern herrscht in Tanger eine lebendige und spannende Atmosphäre. Der richtige Ausklang für unserern Marokkotrip …

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