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Tag 1: Joseph Conrad – Jugend

Auf litradio.net bin ich vor fast einem halben Jahr auf die Lesung von Jochen Schmidt aus seinem Buch Schmidt liest Proust gestossen, die mich sehr beeindruckt hat. Nicht etwa die Lesung selbst als vielmehr der von Schmidt konsequent praktizierte Gedanke des Leseblogs (Schmidt hat sich die knapp 4000 Seiten von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit in 180 Tagen gegeben und darüber Blog geführt).

Ich will dieser mir bisher unbekannten Kulturtechnik aus diversen Gründen nun auch frönen und beginne – quasi als Fingerübung – mit der kurzen Erzählung Jugend von Joseph Conrad:

Gleich zu Beginn der Erzählung taucht eine Figur namens Marlow auf, die bereits in Conrads Roman Lord Jim als Erzählperson fungiert hat und deren Bericht dort rund 90 Prozent der Geschichte ausmacht. Conrad selbst beschreibt Marlow, der in Jugend zum ersten Mal auftaucht, als ‚ausgesprochen diskreten, verständnisvollen Mann‚, der sei ‚wie einer jener Urlaubsbekanntschaften, aus denen bisweilen Freundschaft wird‚ und fügt hinzu: ‚wenn wir am Ende einer Geschichte sind, bin ich mir nie sicher, ob ich ihn nicht zum letzten Mal gesehen habe.‚ Auch in Jugend fungiert Marlow als Erzählperson, die am Mahagonitisch bei Rotwein eine Reisechronik zum Besten gibt.

Relativ unsubtil und bescheiden wird gleich zu Beginn klar gemacht, dass die geschilderte Reise ‚als Sinnbild für unser ganzes Dasein stehen‚ könnte. Anders als der Marlow in Lord Jim scheint dieser hier noch an das grosse Abenteuer Seefahrt als verheissungsvolles Versprechen zu glauben. Wie schon im Lord Jim tragen manche Metaphern Conrads zur Erhellung (und Erheiterung) bei: ‚Ein Nussknackergesicht – Kinn und Nase wollten sich vor dem eingefallenen Munde treffen‚, andere lassen den – der Seefahrt unkundigen – Leser ratlos.

Schnell wird klar, dass Conrads Alter Ego Marlow hier aus seiner Jugend erzählt, von seiner Ostindienfahrt als Zweiter Offizier im Alter von zwanzig Jahren.

Eine Beinahe-Havarie beschreibt der junge Marlow als ‚die Mühe, die Arbeit, die Prüfung des Lebens‚ und scheint allgemein mit der Gefahr des nahen Todes ganz zufrieden zu sein. Auch ein Klischee, was dem Marlow des Lord Jim nur als Erinnerung an bittere Irrtümer der Jugend von der Zunge ging.

Gleich auf den ersten zehn Seiten gibt es einen Schiffsunfall und ein Unwetter, welches einen Steward wahnsinnig macht und das Schiff zur Umkehr nach Falmouth zwingt. Welcher heutige Salonlöwe könnte eine Abendgesellschaft mit soviel selbsterlebter Action erfreuen? Nach fünfzehn Seiten landet die Judaea, so heisst das Schiff, schliesslich im Indischen Ozean und Marlow hat sich in der fiktiven Abendrunde bereits dreimal Wein nachschenken lassen …

Tag 2

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