(Dieser Beitrag ist in voller Länge nur für Mitglieder lesbar.)
2. EINSCHLUSS
Die Bühne wird leicht umgeräumt. Alle haben nun Filzschreiber und farbige Kartons auf ihren Plätzen liegen, ein paar Kartons pappen auf der Tafel. Nadine und Markus schreiben eifrig, Peter hat scheinbar nichts zu tun, Thorsten hat offenbar nie angefangen.
Angela: (floskelnd) »Ja, da ist ja schon einiges zusammengekommen hier. Dann wollen wir uns doch mal an die Auswertung machen …«
(sieht sich die Kartons an)
»Sänger von Arcade Fire … (dreht sich zu Markus um) Das bist sicher du? … Also nichts schreiben was man schon ist, nee?«
(Nadine schaut Markus bedeutungsvoll an.)
»… Altbauwohnung in der Altstadt von Stockholm, Bar Refaeli als Frau, Buchbinder, Job in einer Kreativagentur … Thorsten, Sie haben nichts geschrieben …?«
Thorsten: (provokant) »Nö! Wat soll ick denn da schreiben?«
Angela: »Aber Sie haben doch sicher ein paar Wünsche im Leben, die Sie sich noch erfüllen wollen?«
Thorsten: (zu Peter, halblaut) »Ick kiek lieber Sesamstrasse, da lern‘ ich mehr als bei sonne Scheiße hier.«
Angela: (den Einwand ignorierend, sinnfrei) »Gut!« (nochmal lesend) »Bar Refaeli … Also, die Traumfrau werden wir hier sicherlich nicht finden, aber der Rest ist schon sehr interessant. Nur Peter, von Ihnen hätte ich mir etwas mehr Phantasie gewünscht, wir hatten ja am Anfang schon über Hobbys gesprochen … Jetzt steht hier ganz nüchtern Buchbinder …«
Peter: »Dit is wat ick jelernt habe …«
Angela: »Ja, eben. Aber wir haben es heute mit einem stark veränderten Arbeitsmarkt zu tun, Nur wenige haben die Möglichkeit in ihrem angestammten Berufsfeld zu arbeiten. Deswegen machen wir hier einen Blick« (Arme ausladend) »über den Tellerand. Viele von uns laufen mit riesigen Scheuklappen durch das Leben und sehen gar nicht die vielen Gelegenheiten die rechts und links des Weges liegen …«
Thorsten: »Und dann soll der jetzt mit der Vogelscheiße Geld verdienen, oder wat?«
Es ertönt ein deutliches metallisches Klacken. Markus zuckt leicht zusammen, beruhigt sich aber sofort wieder.
Angela: (verwirrt) »Wie bitte? (versteht, Joachim Bubblath-Hände) »Also Herr Matuschke, ich muss doch mich doch sehr wundern. Wir können ja gerne konstruktiv diskutieren, aber solche Zwischenrufe gehören sicherlich nicht hierher …«
Thorsten: (erstaunlich bemüht) »Wat ick damit sagen will, is doch, dass ’se nicht sonnem Opfer, sonnem Fuffzigjährigen hier (neigt den Kopf zu Peter) »Flausen in Kopf setzen können …«
Peter, der merkt dass er gemeint ist, duckt sich leicht weg, fühlt sich sichtbar unwohl.
Angela: (Handflächen auf den Tisch gestützt, funkelnd) »Warum haben Sie dieser Maßnahme gegenüber denn so eine negative Einstellung? Ich denke unser gemeinsames Ziel ist es doch wieder einen guten Arbeitsplatz zu finden? Nehmen wir mal ihr Beispiel …« (liest nach) »Sie suchen jetzt schon seit zwei Jahren vergeblich eine Stelle als CNC-Fräser.«
(Pause, provokant die Denkerhand an den Kopf)
»Also wie ich das sehe haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie stecken den Kopf in den Sand oder Sie lassen sich mit uns …« (öffnet Hände einladend zur Gruppe hin) »… auf das Abenteuer ein, sich selber neu zu entdecken …«
(nimmt Kartonbogen)
»Vielleicht möchten Sie doch noch etwas an unsere Wunschwand schreiben …«
Thorsten: »Nee, lassen ’se mal jut sein … Aber ick bin ja schon jespannt, wat ’se da für Vorschläge haben …«
(schaut beifallheischend in die Runde)
Angela: (erfreut) »Ja, vielleicht lassen Sie sich da einfach mal überraschen …«
(schaut auf die Uhr)
»Ich denke aber, wir haben uns nach soviel konzentrierter Arbeit erst mal eine Pause verdient. Wir sehen uns also in einer guten Viertelstunde, um zehn vor elf wieder hier.«
Alle legen sichtbar erleichtert ihre Sachen zusammen, gehen zur Tür, Markus ist als erster da, die Tür ist abgeschlossen. Er dreht sich zu Angela um.
Markus: »Haben Sie die abgeschlossen?«
Angela: »Äh … nein, nicht das ich wüsste. (kramt in ihrer Handtasche) Ich hab‘ auch gar keinen Schlüssel für die Räume hier …«
Markus: »Und jetzt?«
Thorsten schaut sauer an die Decke.
Angela: »Ich werd‘ mal sehen ob ich den Hausmeister erreichen kann … Mmmh, ich hab hier kein Netz, komisch … Einer von euch?«
Nadine kramt bereits in ihrer Tasche, schaut auf ihr Handy.
Nadine: »Nee, auch nicht. Komisch, ich dachte vorhin hätte ich noch Empfang gehabt …«
Thorsten: »Ja und wat soll dat jetze hier? … Na, jut dat ick mein eijenes Futter mithab’« (er setzt sich wieder an den Platz)
Angela fingert am Handy herum, wirkt erst nervös, fängt sich dann wieder …
Angela: »Ja, das tut mir jetzt leid, da handelt es sich bestimmt um ein Missverständnis. Also wer jetzt unbedingt was trinken muss, ich habe noch eine Flasche Wasser dabei« (schaut herum) »oder eben etwas Trinkwasser aus dem Waschbecken …«
Markus: (mault rum) »Na, super … Ich brauch‘ n‘ Kaffee …«
Nadine: (kramt in der Tasche) »Ich hab n‘ Red Bull mit. Willste?«
Markus: »Ja klar, cool.« (grabscht sich die Dose, spült alles runter)
Angela hat sich vorgeblich in ihre Unterlagen versenkt, Thorsten ißt eine ausführliche Stullen-und-Kaffee-Mahlzeit, Peter schleppt sich unter sichtlich großer Überwindung zum Waschbecken und trinkt etwas Wasser. Als sich alle offensichtlich beginnen zu langweilen ergreift Angela wieder die Initiative.
Angela: »So, wenn alle einverstanden sind, machen wir jetzt erstmal bis zur Mittagspause weiter …«
(schaut aufmunternd in die Runde)
»Wir haben ja jetzt bereits unsere Wünsche und Traumvorstellungen geäußert und jetzt wollen wir uns mal an den Realitätsabgleich machen. Wie ich ja bereits gesagt habe, können unsere Wünsche einen wichtigen Pfad in die Zukunft zeigen. Wir schießen quasi unseren Traumpfeil ab …«
(nimmt die Haltung einer Bogenschützin ein)
»… und schauen dann nach wo er in der Realität haften bleibt …«
Thorsten: »Also ick halt mir lieber an das ‚Schrotflintenprinzip‘. Wahllos in den Wald schießen und irgendwat wird schon runter fallen. Sich einfach für allit bewerben, egal wo, wie, was …«
Angela: »Jaaa … und haben Sie damit schon Erfolge erzielt?«
Thorsten: »Wenn et da wat gäbe, hätte ick dat schon erwischt …«
Angela: (triumphierend) »Sehen Sie, das meine ich, wenn ich sage, dass wir alle über den Tellerrand hinausschauen müssen. Ich habe zum Beispiel nicht gedacht, dass ich nochmal in die Erwachsenenbildung zurückgehe. Ich sehe das als neue Chance, auch um Kräfte zu sammeln und könnte mir durchaus vorstellen auch noch die Ausbildung zur Heilpraktikerin zu machen, dass wäre dann so mehr die helfende Branche …«
(besinnt sich)
»Für Peter zum Beispiel wäre eine Selbstständigkeit denkbar …«
(Peter schaut irritiert hoch)
»Vielleicht möchtest du einen Laden in Mitte aufmachen und wertvolle Bücher restaurieren, oder ein schönes Antiquariat, oder so …«
Peter: »Ja, also ick würd‘ halt lieber wieder innem Verlag arbeiten.«
Angela: »Ja, aber sehen Sie nicht wie eng Sie da denken?«
Sie malt eine Kurve an die Wand, die die Entwicklung von Investitionsgütern zeigen soll …
Angela: »Wir haben hier einen massiven Rücklauf und es ist nicht abzusehen, dass es besser wird. Wir müssen unternehmerischer denken. Wenn ich keinen Job mehr in der Personalabteilung bekomme, dann muss ich mich halt selbständig machen. Auch für Sie, Thorsten, wie wäre es … ich phantasiere jetzt mal … sie entwerfen Pläne für eine Nitrit-Batterie, dann können Sie ein Buch schrieben, die läuft mit Urin …« (erklärend) »… hab ich irgendwo mal gelesen …«
Thorsten: »Dat is jetzt wohl nich‘ ihr Ernst?«
Angela: »Ja, ist doch jetzt nur ein Beispiel …«
Thorsten: »Also ick denk da trotzdem positiv, erstmal Plan A vor Plan B … Ick hab ja schliesslich nich‘ umsonst drei Jahre gelernt …«
Angela: »Das ist, Entschuldigung, aber das ist dieses eingerostete Denken, damit kommt man heute auf dem Arbeitsmarkt nicht weiter … Es gibt da so ein Sprichwort: ‚Nicht dem Bären auf den Rücken springen, sondern dem Mammut einen Stein an den Kopf werfen’«
(gibt dem Kurs Gelegenheit den tieferen Sinn des Bonmots zu begreifen)
»Wie wär’s denn mal damit? Ich bin flexibel und schaue positiv und interessiert in die Welt …Krisen auch mal als Chance begreifen und sich nicht platt machen lassen … Also zum Beispiel mit dem Antiquariat … es gibt da in Mitte einen echt schönen Laden, bei mir in der Novalisstrasse … Vielleicht auch Vogelfachbücher … Peter? Da können wir auch hier darüber sprechen, Existenzgründerkredit, Zuschüsse …«
Peter sagt nichts, entlarvt aber schon durch seine bloße Körpersprache die Absurdität dieses Vorschlags … Nadine zeigt schon seit einiger Zeit ein deutliches Unbehagen …
Angela: »Ich weiß gar nicht warum Sie sich so sperren …Die Anforderungen an Innovationsfreudigkeit oder Flexibilität werden immer größer, wir müssen uns als Individuen auch diesen Anforderungen stellen …«
(redet sich heiß)
»Ich meine ‚Willkommen im 21. Jahrhundert‘, in der neuen Arbeitswelt … Da muss man mehr die Chancen sehen, als einen staatlich garantierten Arbeitsplatz …«
Nadine: (platzt jetzt der Kragen. Laut) »Aber da muss man doch der Typ für sein!«
Angela: (aufgebracht) »Aber das bin ich doch!«
Stille im Kurs. Nadine schaut fassungslos.
ENDE 2.