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»Die Maßnahme«

Den Anfang macht das Hartz IV-Theaterstück »Die Maßnahme«, angelegt für 5 Hauptrollen (2 weiblich, 3 männlich) und eine Nebenrolle (männlich).

1. ANKUNFT

Ein leerer Raum, eine Schiefertafel auf der linken Bühnenseite, daneben ein Overheadprojektor, ein schwarzer Plastikpapierkorb und ein ein typischer Schulzubehör-CD-Player. Vier in Zweierpaaren aufgestellte Schultische und Stühle, ein Dozententisch. An der Hinterwand befindet sich ein Fenster mit runtergelassenen Jalousien. Tageslicht scheint durch. Die Tür befindet sich am rechten Bühnenrand. Man hört sanfte, meditative Panflötenmusik.

Eine männliche Person in den mittleren Vierzigern (Thorsten) in speckiger Jeans und »schickem« C&A-Hemd tritt auf. Er trägt einen billligen, schwarzen Lederaktenkoffer in dem die Stullendose klappert. Thorsten sieht sich genervt um, wählt dann den Platz rechts-hinten. Er legt den Aktenkoffer auf den Tisch, setzt sich umständlich, öffnet den Aktenkoffer und entnimmt ihm eine Stullendose und eine 0,5l-Kaffekanne. Er gießt sich einen Deckel voll Kaffee ein und öffnet die Stullendose. Linkisch fingert er eine Graubrotstulle mit Cervelatwurst aus der Dose und mampft los. Eine weibliche Person Ende Dreißig (Angela), attraktiv, stilbewusst, mit Jeans und Blazer, aber sehr fraulich, militant-offene Mimik und Gestik, tritt auf. Sie sieht Thorsten und grüßt freundlich.

Angela: »Guten Morgen.«
Thorsten: (barsch) »Morgen!«
Angela: »Na, da sind sie ja der erste heute morgen …« (geht auf ihn zu, streckt freundlich die Hand aus) »Angela Pfeiffer, ich bin die Leiterin der Maßnahme.«
Thorsten: (erwidert den Händedruck notgedrungen) »Na, is ja nich‘ schlimm … Matuschke mein Name …«
Angela: »Ich werd‘ es gleich nochmal vor der Klasse sagen, aber ich fände es schön wenn wir die Abmachung treffen, dass im Kursraum nichts gegessen wird. Wir werden zwischendurch genug Pausen machen und ich lade sie herzlich dazu ein dann etwas zu essen, nicht?«
Thorsten: (hört auf zu kauen) »Dit fängt ja jut an… Ick kau ja nich‘ mit den Ohren, oder wat is ihr Problehm?«
Angela: (offen, legt die Hände spitz aneinander, erst zeigen die Fingerspitzen nach oben, dann auf Thorsten) »Es geht weniger um das Zuhören als darum, dass wir eine …« (hier öffnet sie die Hände und zeigt Thorsten ihre offenen Handflächen) »angenehme, offene und konzentrierte Arbeitsatmosphäre schaffen. Wir haben ja auch viel vor in den nächsten Wochen.«
Thorsten: (argwöhnisch) »Ham wa, ja?«

Nacheinander betreten zwei Personen den Raum. Erst ein Mann, Anfang Fünfzig (Peter) mit rot-orangener Kordhose, gedecktem Paradiesvogel-Poloshirt, gelber Hintenzukurz-Stoffjacke und unsicherem Blick. Dann eine junge Frau (Nadine) Ende Zwanzig, hübsch, modisch aber angemessen nüchtern gekleidet, offen und freundlich. Sie setzt sich spontan links-hinten hin, nah an die an der Tafel stehende Angela.

Peter: (sagt nichts, das aber programmatisch)
Angela: (fröhlich-vorwurfsvoll) »Guten Mooorgen!«
Peter: (zerstreut) »Ja, Morgen …« (überlegt kurz wo er sich hinsetzen soll und entscheidet sich dann für den Tisch rechts-vorne, wo er am weitesten von den beiden anderen weg sitzt)
Nadine: (fröhlich) »Guten Morgen!«
Angela: (hoffnungsvoll, wittert wenigstens eine Bundesgenossin) »Guten Morgen! Na, dann sind wir ja bald vollständig …«
(schaut demonstrativ auf die Armbanduhr) »So, ich denke wir warten noch die fünf Minuten ab, damit auch die anderen noch eine Chance bekommen und dann fangen wir an …«

Jeder richtet sich irgendwie auf seinem Platz ein, Peter starrt auf den Tisch, Thorsten trommelt enervierend auf seinem Aktenkoffer rum und Nadine sitzt mit geradem Rücken erwartungsfroh da. Angela schaut nach einer Weile wieder auf die Armbanduhr, nestelt am CD-Player rum, die Panflötenmusik wird kurz lauter, dann langsam leiser, bis sie schließlich ganz verstummt.

Angela: (verbindlich eröffnend) »Jaaa, ich denke wir fangen dann mal an. (Kunstpause) Ich möchte mich zunächst noch einmal vorstellen. (deutet in Richtung Thorsten, der zuckt leicht mit den Achseln) Mein Name ist Angela Pfeiffer. Ich bin 38 Jahre jung und studierte Diplom-Psychologin. Nach meinem Studium habe ich eine Weile in der Erwachsenenbildung und später dann in einem Assessment-Center gearbeitet, für die Firma PriceWaterhouseCoopers.«
(legt die Fingerspitzen Joachim Bublath-mäßig zusammen)
»Ich habe aber feststellen müssen, dass ich dort nicht an meinen Stärken gearbeitet habe und freue mich seit Anfang des Jahres hier im Jobtrainingscenter Leute fit für den Arbeitsmarkt zu machen.«
(Pause)
»Wir haben uns in den nächsten Wochen einiges vorgenommen und ich freue mich darauf mit euch oder Ihnen ein paar interessante Tage zu verbringen. Ich möchte euch oder Sie auch herzlich dazu einladen jederzeit Fragen zu stellen und bei mir gilt ganz klar: Dumme Fragen gibt es nicht.«
Thorsten: (provokant) »Wenn ’se son tollen Job hatten, warum sin‘ se dann da weg? Die ham‘ doch sicher besser gezahlt als dit Arbeitsamt.«
Angela: (bleibt betont diskussionsbereit) »Nun, zunächst mal heißt das ja Jobcenter und unser Institut wird von einem privaten Träger im Auftrag des Jobcenters geführt. Ich sehe einen vielfältigen Lebenslauf und unterschiedliche Erfahrungen als unbedingte Stärke an. Darüber werden wir in den nächsten Tagen …«
(Handflächen zusammen, an den Handgelenken nach links abknickend – Zurück-auf-den-Pfad-Gestik)
»… sicherlich auch noch genauer sprechen. Bevor wir uns jetzt alle untereinander vorstellen fände ich es toll, wenn wir uns auf ein paar Regeln einigen. Ich lade euch alle dazu ein das Essen und Trinken auf die Pausen zu beschränken und möchte euch bitten auch keine Laptops oder Mobiltelefone auf dem Tisch zu haben. Wir wollen eine angenehme, offene und konzentrierte Arbeitsatmosphäre schaffen.«

Nadine packt schuldbewusst das Handy weg, auf dem sie gerade eine SMS anfangen wollte. Die Tür geht auf, ein zerzauster Berufsjugendlicher (Markus), Anfang/Mitte Dreißig, mit Kopfhörern um den Hals, schaut herein.

Markus: »Bin ich hier richtig in Klasse D?«
Angela: (betont einladend) »Ja, richtig, wir haben gerade schon angefangen. Setzen Sie sich doch.«

Markus wählt nach einem kurzen Blick in die Runde den Platz neben Nadine. Er schmeißt salopp seine Umhängetasche auf den Boden, ein Buch fällt heraus.

Angela: »Nachdem jetzt ja alle – mehr oder weniger pünktlich -« (gespielt vorwurfsvoller Blick auf den bereits wegdämmernden Markus) eingetroffen sind, können wir ja mit der Vorstellungsrunde beginnen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir da am besten nach dem Alphabet vorgehen, viele Teilnehmer brauche ja immer eine Zeit bis sie auftauen, nicht? Wenn es euch oder Ihnen nichts ausmacht würde ich euch einfach beim Vornamen nennen …«
(sucht mit dem Finger in einer Liste)
»Ja, Nadine, das wären ja wohl sie?«
Nadine: (ergreift spürbar mitteilungsbereit das Wort) »Ja, also ich bin die Nadine. Ich bin 27 Jahre alt und habe letztes Jahr im Juli meinen Magister in Regionalwissenschaften Lateinamerika gemacht. Nebenbei habe ich immer als Köchin gearbeitet, habe jetzt aber nach meinem Umzug keinen Job mehr und möchte mich ganz auf meine Bewerbungen konzentrieren.«
Angela: (nach einer kurzen Pause) »Ja, interessant. Hast du irgendwelche Hobbys oder Talente die du uns mitteilen möchtest?«
Nadine: »Ja, wie gesagt, ich koche sehr gern und … ja, geh halt gern auf den Flohmarkt oder ins Museum … was man halt so macht …«

Markus dreht sich betont neugierig und mit einem leichten Lächeln zu Thorsten und Peter um, die das ganz sicher nicht ‚halt so machen‘.

Angela: »Schön … (nestelt herum) … Markus?«

Markus dreht sich wieder um.

Markus: »Na ich heiße Markus, bin 34 Jahre alt und Musiker. Nebenbei arbeite ich als Beleuchter, beim Film, und hab mich jetzt aber Hartz-IV gemeldet, weil die Jobs in letzter Zeit ausbleiben.«
Angela: »Ach, Musiker? Interessant! Dann möchtest du sicher auch mal in einer Band spielen?«
Markus: »Mach ich ja schon.« (Pause) »In zwei Bands. Einmal als Schlagzeuger und einmal Gitarrist.«
Angela: »Ach? Und hat man vielleicht schon mal was von Ihnen gehört?«
Markus: »Weiß ich nicht, kann sein, wir heißen Team Cord.«

Nadine wendet sich ihm interessiert zu.

Nadine: »Echt? Die kenn ich!«
Markus: »Ja, wir ham halt schon zwei Alben veröffentlicht …«
Nadine: »Ja! Ich war auf dem Immergut-Festival …«
Markus: (routiniert) »Ja, da ham wir glaubich gespielt …«
Angela: »Das ist ja interessant. Na, da wissen wir ja jetzt schon eine ganze Menge … (Pause) Peter, möchten Sie weitermachen?«

Markus und Nadine drehen sich zu den hinteren Bänken um.

Peter: (erschrocken, ringt sichtlich um Fassung, dann soldatisch) »Peter Grimschitz, 51 Jahre alt, Lehre zum Buchbinder, noch in der DDR, dann inner NVA zwee Jahre, dann zehn Jahre innem Buchverlag …« (dramatische Pause) »nacher Wende dann innem Westbetrieb und seit jetze zwee Jahren arbeitslos …«
Angela: (professionell mitfühlend) »Oh, das ist ja ne lange Zeit. Und was interessiert Sie noch so?«
Peter: (etwas lauter, gepresst) »Ja, da fängt dat Problem ja schomma an: Wat soll ich denn da sagen?«

Angela schaut ihn fragend an.

Peter: (etwas leiser) »Ick interessiere ma ja nich‘ für so viele Sachen …«
Angela: (ehrlich erstaunt) »Na, Sie werden doch ein Hobby haben oder eine Sache die Sie besonders interessiert?«
Peter: (gequält) »Na, eben Biologie und so …«
Angela: »Biologie, na DAS ist doch interessant. Was denn genau?«
Peter: »Na, Ornithologie, aber da interessiert sich ja ooch keen Schwein für.«
Angela: »Also ich finde es sehr interessant …«
Nadine: »Ich auch!«
Angela: (philosophierend) »Also ich glaube ja ganz fest daran, dass jeder Mensch etwas hat wofür er brennt …«

Markus zieht die Augenbrauen hoch und mustert Peter ironisch. Es klopft an der Tür …

Angela: (flötet) Herein!

Die Tür öffnet sich, ein kalkbleicher Mann mit fettigem strohgelbem Haar schiebt einen dunkelbraunen Servierwagen herein.

Kiosk-Knasti: »Jemand Kaffee? Schrippen?«
Angela: »Herr Kanzorra, wir hatten doch vereinbart dass Sie den Kaffee um halb elf am Aufzug verkaufen.«
Kiosk-Knasti: (erkennend) »Ach, Sie sind dat …« (blickt amüsiert zu Thorsten, den er als Bruder im Geiste erkennt) »Na denn, frohet schaffen allerseits …«

Der Mann verzieht sich wieder, schließt die Tür.

Angela: (schaut auf die Uhr) »Ja, Thorsten … Last but not least …« (einladende Geste)
Thorsten: »Wie bitte? Ach, ich soll jetzt erzählen oder wat? Sagen se mal, die Keule da grade, die kenn‘ ick doch. Der hat mir ma n’kleen Kaffee für een Euro verkooft. Sowat jehört anjeklagt …«
(niemand reagiert auf diese merkwürdige Eröffnung)
»Also ick bin CNC-Fräser und hab‘ die letzten 13 Jahre am Westhafen bei de Behala jearbeitet aber die ham jetze Konkurs anjemeldet. Na und dit is ooch schon die janze Jeschichte.«
Angela: »Na, da dürften die Chancen ja nicht schlecht für Sie stehen in dem Beruf …«
Thorsten: »Ham sie ne Ahnung …«
Angela: »Gut, also nachdem wir uns ja jetzt alle ein bisschen kennenlernen durften, würde ich euch jetzt gerne das Programm der folgenden Wochen vorstellen.«
(geht an die Tafel)
»Zunächst machen wir ein Profiling, indem wir feststellen was die Stärken und Schwächen des Einzelnen sind und werden diese dann auch klar herausarbeiten … Dann machen wir den ‚Basar der Wünsche‘, wie ich es immer nenne … Da schreibt dann jeder von euch auf so große, farbige Kartons seine Vorstellungen auf. Das darf dann ruhig ganz abgefahren sein, ruhig mal ein bisschen in sich reinhorchen …«
(wird ungefragt privat)
»Also ich stelle mir dann immer vor wie ich mit meiner Freundin Anne so eine Sauerstoffbar in Thailand betreibe, so mit frischen Früchten, basischem Kochen und so …«
(kommt zurück zum Geschehen)
»Naja, ich denke jeder von uns hat da so ein kleines inneres Wünschekind … Wichtig ist, dass wir danach abgleichen welches von unseren Zielen wir realistisch erreichen können und wie wir uns auf dem Weg dahin begeben und da werde ich euch dann praktische Tipps geben zur Stellensuche und wie ihr da dann rangeht …«

Bei den letzten Sätzen wird sie immer leiser, es wird dunkel auf der Bühne.

ENDE 1.

Ein Gedanke zu „Die Maßnahme – Der erste Akt“

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