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4. DUNKELHEIT

Die Gruppe sitzt wieder geordnet im Schulungsraum. Der Jalousienschrott wurde sauber in die Ecke gefegt. Die Tageslichtröhre in der Fensternische flackert und wirft nur noch ein fahles Licht auf die Teilnehmer. Angela steht wieder an der Tafel und schreibt, alle schreiben brav mit.

Angela: »Also, wir können die Möglichkeiten des Internets prima für unsere Stellensuche nutzen. Nehme wir mal die Nadine. Du hattest Lateinamerikawissenschaften studiert?«
Nadine: »Ja, also Regionalwissenschaften Lateinamerika.«
Angela: »Ja, dann gibst du bei Google ein: Jobs, Lateinamerika und Wissenschaft … Oder Markus: Jobs, Gitarre, Berlin … Wir leben im Informationszeitalter, alles ist nur einen Mausklick weit entfernt. Ich werde nachher auch noch eine Broschüre austeilen wie man im Ausland auf Jobsuche geht. In vielen Ländern sieht das ja noch besser aus als hier bei uns.«

(schreibt weiter an die Tafel, dann euphorisch)
»Also ich hab einfach ein gutes Gefühl! Da muss man einfach ein bisschen umdenken, sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Mal die angestammte Route verlassen und über den Tellerrand schauen.«
(gespielt Ironie, Finger in die Luft)
»Aber Achtung, es könnte angenehme Überraschungen geben!«
(resümierend)
»Wisst ihr, in der Maßnahme habe ich es oft mit sogenannten ‚Bringt-nix-Geht-nich‘-Typen zu tun. Nochmal studieren? ‚Geht nich!‘ Umschulung? ‚Bringt nix!‘ Selbständigkeit? ‚Geht nich!’«
(bedrohlich)
»Aber nach einiger Zeit … Ihr werdet schon sehen … Jeder ist seines Glückes Schmied!«

Die Tageslichtröhre flackert ein letztes Mal, dann gibt sie den Geist auf. Dunkelheit. Die Teilnehmer stehen auf und stellen sich neben ihre Tische.

Nadine (Gabi): »Ich bin Gabi. 42 Jahre alt. Seit ich von meinem Mann geschieden bin, habe ich versucht mich selbständig zu machen: Schreibkraft, Putzkraft, Telefonistin, halt Dienstleistungssektor. Ich bau‘ gerade meinen Kundenstamm auf. Die ARGE sagt, mein Verdienst ist ein Nebenverdienst und ich muss in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gebracht werden. Deswegen drei Monate Trainingsmaßnahme in einer Einrichtung. Aber was ist dann mit meinem Job? Wenn ich da nicht weitermache, verliere ich alle meine Kunden.«

Angela (ARGE-Bot): »In der Maßnahme lernen Sie die neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes kenne und üben wie Sie sich optimal darauf vorbereiten.«

Markus (Paul): »Ich bin Paul, 31. Literaturstudium, freier Schriftsteller. Habe einen Roman geschrieben, Erstlingswerk. Hab ihn sogar mal in der Buchhandlung gesehen. In einer dunklen Ecke – kein Hauptvorschlagsband, falscher Verlag. Der Vorschuß ist schon ausgegeben, musste ja von irgendwas leben im letzten halben Jahr. Jetzt muß ich zum Amt, komme nicht mehr alleine klar. Nach einer Woche: DiecMaßnahme. Ich soll lernen wie man sich richtig ausdrückt und wie man ein Bewerbungschreiben formuliert …«

Angela (ARGE-Bot): »Im Idealfall sollte das Verhältnis zwischen ALG-Empfänger und dem Dozenten ein wohlwollendes und wertschätzendes sein. Immer wieder beobachten wir jedoch, dass Dozenten während einer Maßnahme in eine gefährliche Situation geraten. Drei einfache Sicherheitshinweise: 1. Nicht im Türrahmen stehen bleiben! 2. Niemanden anfassen! 3. Die einfachste Deeskalation: Sich Entschuldigen!«

Peter (Günther): »Mein Name ist Günther Klemm, 54 Jahre alt, Maschinenbauingenieur. Aufgrund meines Alters bin ich in der ‚Perspektive 50 plus‘ gelandet. Alter Wein in neuen Schläuchen: Excelgrundlagen, Bewerbungskorrekturen und Coaching. Mit Power Point sollen wir unser Hobby präsentieren. Ich bekomme den Vorschlag ein zweiwöchiges Praktikum in einer Firma für Veranstaltungstechnik zu absolvieren. Meine Forderung nach einer Einstellungsgarantie bei entsprechender Eignung wird als ‚absurd‘ beurteilt.«

Angela (ARGE-Bot): »Seien Sie sich während der Maßnahme darüber bewusst, dass auch ihr Verhalten in Pausen, vor der Veranstaltung oder in Leerlaufzeiten über den Erfolg der Maßnahme entscheiden kann.«

Thorsten (Experte): »Die Creek-Indianer feiern alljährlich das Grün-Mais-Fest, ein magisches Ritual das Körper und Geist reinigen soll. Begegnet der Mensch einer Kraft die er nicht beherrschen kann, entwickelt er ein magisches Ritual. Ein solches magisches Ritual wird mit Ehrfurcht und Scheu ausgeführt, und mit Verboten und ausgefeilten Regeln abgesichert. Hat ein magisches Ritual nicht den gewünschten Erfolg, wird meistens ein Teilnehmer des Rituals bezichtigt sich nicht exakt an die Regeln gehalten zu haben und bestraft. Lässt der Erfolg eines Opfers auf sich, so besteht die Antwort nicht etwa in einer Überprüfung der Zweckmäßigkeit des Opfers, sondern stets in der Forderung nach Steigerung der Opfergaben.«

Angela (ARGE-Bot): »Sollte der ALG-II-Bezieher langfristig keine Erfolge bei der Stellensuche vorweisen können, ist die ARGE berechtigt eine zweite dreimonatige Intensivmaßnahme anzuordnen, die die Inhalte der Basismaßnahme ergänzt und vertieft …«

ENDE

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