Es mag übertrieben erscheinen, den sowieso schon zum Bersten überladenen Diskurs um James Blake und sein Debütalbum noch weiter aufzublähen, aber so ist nun mal die Natur von Hypes: Sie polarisieren, erzeugen Reibungen und Diskussionspotential und sind deswegen einfach unverzichtbar, so sehr das oft nervt. Deshalb ein dickes „Danke!“ an BTH für seinen Beitrag, der gerade weil er genauso einseitig, überspitzt und falsch ist wie alle Lobeshymnen, so dringend notwendig gewesen ist.
Jetzt aber zu James Blake: Seine drei EPs im vergangenen Jahr auf Hessle Audio und R&S haben mir durchweg gut gefallen. Wahrscheinlich weil sie gar nicht so bahnbrechend innovativ waren, wie von vielen behauptet wurde. ‚The Bells Sketch‘, ‚CMYK‘ und ‚Klavierwerke‘ sind eine im besten Sinne eigenwillige, aber keinesfalls revolutionäre Collage von Elementen, die Blake mit vielen anderen Vertretern im Postfuturegaragestep-Universum teilt: Den Tritt auf die Bremse mit Mount Kimbie, die hochgepitchten Stimmfragmente mit ebenjenen und Burial, das italomäßige Regenbogenschillern bei Hyetal und den Night Slugs.
Dann kam im Herbst dieses Cover von Feists Limit To Your Love. Eigentlich ein großer Popsong, reduziert auf die pure Essenz der Verbindung von Stimme und Klavier. Aber irgendwie hatte das auch etwas sehr kalkuliertes in seinem unbedingten Willen zur großen Geste, die Selbstinszenierung als „der Dubstep-Produzent, in dem auch ein hochsensibles- und talentiertes Popcrooner-Seelchen schlummert“ schien zu offensichtlich. Auf seinem Album nimmt sich James Blake zum Glück wieder etwas zurück. Songs wie ‚Lindesfarne II‘ oder ‚To Care Like You‘ sind tatsächlich eine pop-kompatible Erweiterung seiner bisherigen Beatscience. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich dieses Feld weiterentwickeln wird, genug schlechte Epigonen scharren sicher schon mit den Soundcloud-Hufen. Vieles ist aber auch einfach belangloses Füllmaterial, da hat BTH mit seinem Macchiato-Lounge-Vorwurf Recht.
Ganz sicher aber haben wir es hier nicht mit dem avantgardistischsten Stück Musik seit Beginn des Jahrtausends zu tun, und die These von der Auflösung bisher für unvereinbar gehaltener Genregrenzen dank totaler digitaler Verfügbarkeit von Musik ist auch schon ziemlich abgedroschen, nachdem Tobias Rapp sie vor drei Jahren in Bezug auf Hot Chip das erste Mal aufgestellt hat.
Hinter irrational ausufernden Hypes wie um James Blake steckt vielmehr ein verdrängter Wunsch: Dass nämlich das neue, große Ding immer noch irgendwo da draußen schlummert und sich uns schon offenbaren wird, wenn wir nur fest daran glauben. ’57 Rock’n’Roll und Soul, ’67 Pop, ’77 Punk, ’87 Rave und Techno. Und ’97 der damals noch beschwerliche und nicht so wirelessflutschige Gang ins Archiv, wie Anton treffend analysiert hat. Und 2007? 2011? Die letzten wirklich großen Poperzählungen sind nun schon älter, als die aktuellen Protagonisten selbst und das scheint für viele immer noch ein größeres Problem, als sie zugeben können. Die Hoffnungen richten sich wie so oft auf das UK und sein Bassmusik-Kontinuum, das zu Beginn des Jahrtausend ja mit Dubstep das letzte im mikrogenrepolitischen Sinn „neue“ Genre hervorgebracht hat. Logisch, dass James Blake eine besonders breite Projektionsfläche für diesen Wunsch abgibt. Erfüllen kann aber auch er ihn nicht.
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