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Netlabel-Update 2009: Kompromiss mit Zukunft

Unkommerzielle Netlabel mit kostenlosem Musikangebot oder Digitallabel mit Bezahl-Download? Im Netz entbrennt die ideologische Schlacht. Währenddessen ebnen Kompromissmodelle den Weg in die Zukunft.

Bastian Thüne in De:Bug 131

Bis vor kurzem schien die Technolabel-Welt noch relativ klar aufgeteilt. Auf der einen Seite gab es Vinyl-, auf der anderen Netlabels. Klar gibt es schon länger iTunes für den digitalen Gebrauch der breiten Masse, auch Downloadportale für DJ-orientierte Musik sind nichts Neues und auflegbare MP3s kursieren schon lange im Netz – ob als zweckentfremdete Promos oder als öffentlich zugänglich gemachte Sicherheitskopien. Aber das war fast ausschließlich Musik, die es auch physisch ohne Internet gegeben hätte. Netlabels konnten sich ihrem vermeintlichen Alleinstellungsmerkmal im virtuellen Raum sicher sein. Doch mit dem langsamen Durchbruch der Digitallabels (siehe De:Bug 129) gerät die Netlabel-Welt schwer ins Wanken. Gedrosselter Output und/oder Umstellung auf Bezahl-Downloads … das war 2008.

Das bekannteste unter ihnen ist sicherlich Thinner. Sebastian Redenz, der Betreiber von Thinner und dem eingestellten Sublabel Autoplate, sorgte im Dezember vergangenen Jahres für großes Aufsehen innerhalb der Community, als er auf seinem Blog bekanntgab, Thinner demnächst als Hybrid-Label mit einer Mischung aus kostenloser – unter creative commons lizenzierter – Musik und eben kommerziellen Releases zu führen.

Das hat natürlich erst einmal gesessen. Manch einer mag am liebsten laut “Kommerzialisierung!” schreien, andere sehen schon Dollarzeichen aus ihrem Router blitzen. Doch so binär-prekär sieht die Lage bei den Netlabels nicht aus. Genauso unterschiedlich wie die Qualität der Musik im Netz sind auch die Ansätze und Ansichten der verschiedenen Macher. Und am Ende wird vielleicht doch wieder alles gut in der Netzwelt. Legten doch Netlabels ein innovatives Modell vor, das inzwischen vom Mainstream gefeiert wird, so Pheek, der das ehemalige Net- und heutige Hybridlabel Archipel betreibt: „Ich musste schon lachen, als jeder jubelte: ‘Radiohead hat das bahnbrechende Business-Modell erfunden.’ Das ist zwar toll, aber wir machen das schon seit Jahren.“ Zeit also für einen klärenden Blick.

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Pro vs. Contra
Netlabels sind die einfachste und finanziell sicherste Art ein Label zu betreiben. Im Minimalmodus langt ein Account bei einem der Blog-Anbieter: Die Musik kann auf Seiten wie archive.org gespeichert werden und mit der Creative-Commons-Lizenz, die kürzlich ihren 6. Geburtstag feierte, ist die rechtliche Unsicherheit beseitigt. Gerade für Leute, die ihre ersten Gehversuche wagen wollen, sind das ideale Bedingungen.

„Ich sehe den riesigen Vorteil von Netlabels gerade darin, dass man innerhalb einer sehr kurzen Zeit sehr viel mehr Leute erreicht als mit Vinyl oder digital. Der Aspekt, dass die Releases kostenlos zu laden sind, spielt eine sehr große Rolle. Des weiteren ist man mit einem Netlabel sehr unabhängig, was Vertrieb, Promotion, Design etc. angeht. Auch kann man viel schneller neue Musik releasen, da es einfach unkomplizierter ist als auf Vinyl“, so Markus Masuhr von Insectorama.

Als Untergrundbewegung können Netlabels auch an den Sounds von morgen basteln und eigene Klangästhetiken verfolgen, ohne Abhängigkeit von Markt und Käufer. Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Doch gibt es kein Yang ohne ein Ying. Martin Donath von Stadtgruen zeigt die negativen Aspekte auf: “Jeder, der drei, vier Leute kennt, die Musik machen, kann bei Blogspot einen Blog einrichten, haut die Musik raus und nennt sich Netlabel. Dadurch gibt es viel Schrott.“ Den gab es zwar schon in den 90ern, aber damals gab es Plattenläden und Vertriebe als zentrale Instanzen, die filterten. Auch überlegten es sich Labelmacher zweimal, ob die jeweilige Musik es wert war, Geld in eine Pressung zu investieren.

Zu den generellen Problemen kommen durch andere Akteure neue hinzu, so Martin. „Immer mehr Digitallabels etablieren sich. Für die Künstler ist das attraktiv, weil hier kein finanzielles Risiko im Spiel ist, gleichzeitig das Netzwerk gut organisiert ist und die Musiker davon ausgehen können, dass sich ihre Tracks schnell verbreiten. Denen geht es vielleicht auch nicht ums Geldverdienen, aber sie wollen gehört werden.“

Geld spielt natürlich doch eine Rolle, die ernsthafte Bedrohung entsteht durch die GEMA. Einmal Mitglied in der Verwertungsgesellschaft, darf kein Stück mehr unter Creative Commons zur Verfügung gestellt werden, d.h. das Netlabel müsste pro Download eines GEMA-Künstlers knapp 20 Cent pro Song abführen und wäre durch fehlende Einnahmen gezwungen, seine Hörer zu subventionieren. Das gilt sogar für Musik, die vor der Mitgliedschaft entstanden ist.

Neusortierung
Das Hybridlabel mit einer Mischung aus freien und kommerziellen Veröffentlichungen ist eine mögliche Lösung für dieses Dilemma. Archipel waren die ersten, die dieses Prinzip einführten, erzählt Pheek: „Im September 2006 stiegen wir auf Bezahl-Downloads um. Anfangs verkauften wir einen Release und verschenkten ihn gleichzeitig mit einer niedrigen Bitrate. Das funktionierte aber nicht so gut, also veröffentlichten wir ihn zuerst als Bezahl-Download, um ihn dann nach zwei, drei Monaten kostenlos herzugeben. Diejenigen, die Musik bei Beatport kaufen, sind normalerweise DJs, die neue Musik wollen und auch bereit sind, dafür zu zahlen. Viele derjenigen, die darauf warten, dass die VÖs kostenlos werden, sind Liebhaber, die hier und da runterladen, aber denen es nicht so wichtig ist, ob die Musik neu ist oder nicht.“

Für Thinner, die als Netlabel alles erreicht haben, was möglich ist, ist es vor allem auch die Neugier „ob wir von 200 Downloads sprechen oder 2000 oder von 20. Es zählt, dass wir neue, interessante Ziele haben und wir aus der ’Mottenkiste’ Netlabel, die sie vor allem in der Außenwirkung ist, rauskommen. Durch diese Entscheidung hat sich für uns viel geändert.“ Einfach war die Entscheidung für Sebastian nicht.

„Wir haben uns nur schwer mit den Bezahl-Downloads angefreundet und sind uns auch völlig klar, woher wir kommen, worauf der Mythos Thinner beruht. Nämlich nicht auf den Künstlern, sondern auf dem Konzept, der Marke Thinner. Von daher werden wir viele Leute vor den Kopf stoßen. Andererseits gab es aber auch oft Leute oder Künstler von uns, die fragten, wann eine Platte kommt. Gerade für Künstler wie Marko Fürstenberg, der auf den angesagtesten Labels Platten rausbringen kann, macht das keinen Sinn, seine Musik weiter zu verschenken. Es ist schade für uns, wenn wir jahrelang Künstler wie ihn aufbauen, er uns cool findet, ihm aber die Business-Grundlage fehlt. Diese Künstler möchten wir nicht verlieren. Deswegen waren wir auch aus dieser Perspektive gezwungen zu handeln.“

Matthias Schubert von Statik Entertainment startete seinerzeit das Netlabel Instabil, um „Tracks zu veröffentlichen, die es auch auf Vinyl geschafft hätten, aber aufgrund der Masse bei Statik erst spät hätten berücksichtigt werden können.“ Für ihn war es ein schwerer Schritt, sich von Creative Commons zu verabschieden und zum reinen Digitallabel überzugehen. „Aber es ist letztendlich eine faire Geschichte für den Artist, der nun für seine Mühen und geistige Urheberschaft einen Profit generieren kann.“

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Bei Insectorama sieht man der Zukunft gelassen entgegen und forciert auch weiterhin die freie und durch Creative Commons gestützte Musikkultur. „Es ist die Philosophie meines Labels, die Tracks zum kostenlosen Download anzubieten. Somit kann es jedem, der Zugang zum Internet hat, ermöglicht werden, sich sehr hochwertige, gute Musik anzuhören.“ Das Tempo der Veröffentlichungen ging auch bei Stadtgruen herunter, das liegt jedoch mehr an Zeit- als an Motivationsproblemen.

„Ich studiere, arbeite, mache selber noch Musik. Da muss das Label, das man quasi als Open Source nebenbei macht, als erstes zurückstehen. Wir machen das hobbymäßig weiter, auch weil wir uns in der Szene einen relativ guten Namen gemacht haben. Es wäre schade, das Ganze versauern zu lassen. Und wenn wir Künstler finden, die sich mit uns identifizieren können und ihre Musik kostenlos zur Verfügung stellen, dann machen wir das.“

Paradoxe Produzenten, gute Aussichten
Warum jedoch Vinyl heute noch so einen extrem hohen Stellenwert hat, ist nicht immer ganz klar, fügt Matthias hinzu. „Das Paradoxe ist: Es kauft kaum noch jemand Schallplatten, aber dem Künstler ist es trotzdem wichtig Vinyl zu veröffentlichen. Das ist als Qualitätsmaßstab immer noch das Nonplusultra.“ Sebastian differenziert das und zeigt, dass Netlabels auch in der Zukunft eine Sache sein werden, die nicht einfach ersetzbar ist.

„Eine EP von uns lädt sich im Schnitt 15.000 Mal innerhalb der ersten drei Monate runter. Selbst wenn sich das nur jeder dritte komplett anhört, sind das immer noch 5000. Eigentlich ist jeder Release von uns ein Hit. Für viele Künstler der größte überhaupt. Nur kommt davon nicht die Butter aufs Brot (lacht). Das ist absurd. Künstler denken da oft zu kurzfristig. Gerade für eine langfristige Künstlerstrategie sind Netlabel ein absolut zentrales Tool, weil diese Releases Bestand haben. Wenn es auf einem guten Netlabel herauskommt, wird das häufig heruntergeladen und es zementiert sich im Netz. Aber viele Künstler schließen das aus. Für die macht es mehr Sinn, eine 300er- oder 500er-Auflage Vinyl herauszubringen, als mehrere zehntausend Mal heruntergeladen zu werden. Da wird noch ein bisschen kurzfristig gedacht. Schau dir mal an, wer momentan die interessantesten Artists sind. Johnny D, Sascha Dive, bei Ornaments Marko Fürstenberg und Sven Tasnadi, Daniel Stefanik. Das sind alles junge Künstler einer neuen Generation, die ihre ersten Gehversuche im Netz gemacht und begriffen hat, dass man das auch gut für sich nutzen kann.“

Links:
Insectorama
Stadtgruen
Thinner; Thinnerism
Archipel
Instabil

Fotos under cc by MarcoSZ; Alpha Six

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