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Aus dem Notizbuch (01/12/2012): Walter Wüllenweber – Die Asozialen

»Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.«

Heute musste ich an Walter Wüllenweber denken. Wüllenweber ist so ein Stern-Journalist, der ein Buch geschrieben hat, mit dem Titel »Die Asozialen«. Nicht nur, dass der Titel von plakativster Blödheit ist, nein, auch der Inhalt ist es. Wüllenweber, der momentan von einer Talkshow zur nächsten weitergereicht wird, versteht sich als Anwalt der Bürger, oder der – wie er sie zur Tarnung nennt – Mittelschicht. Seine These: Arm und Reich beuten die Mittelschicht aus. Die Mittelschicht arbeitet brav, die Reichen leben asozial von den Früchten ihrer Erbschaft und die Armen greifen via Wohlfahrtsindustrie und Hartz-IV in die Taschen der Arbeitenden.

Man muss sich das so vorstellen: Ein Walter Wüllenweber macht sich Gedanken über die Welt und zwar so wie das ein Stern-Journalist tut: Kurz hingucken, auf Sensationspotential abklopfen und dann das Hirnstübchen lüften und einen Moment spekulieren.

Dann kommt man auf die Grundthese: Mit mir, dem Bürger, ist doch alles in Ordnung. Ich arbeite brav und lasse mir nichts zuschulden kommen. Warum gibt es dann trotzdem Probleme? Krisen und so? Na klar, da gibt es ja die Reichen, die es schon immer gut gehabt haben und asozial in grenzenloser Dekadenz leben. Und die Armen, für die ich immer spenden soll und soviele Steuern zahle. Das muss man doch sehen. Da schreib ich jetzt ein Buch.

Und weil ich ja ein Bürger bin, muss ich nicht in die Geschichtsbücher gucken und auch nichts von Ökonomie verstehen. Ich muss mir keine Gedanken machen, wie hochverzinste Fonds und Renditeversprechen, die weit über dem Wertzuwachs IRGENDEINER Realökonomie liegen, und unterbezahlte und (via Hartz IV) staatlich subventionierte Arbeit zusammenhängen. Ich muss auch nicht verstehen wer denn eigentlich in den Billiglohnjobs arbeitet. Es reicht weit verbreitete Ressentiments aufzugreifen und das Problem auf angeblich asoziale und leistungsferne Gesellschaftsgruppen zu schieben.

Denn dann muss ich – der Bürger – selber nichts ändern, sondern kann mich auch noch als Opfer fühlen. Einer der ach-so-viel arbeitet und noch andere mitschleppen muss.
Ich will für Herrn Wüllenweber hoffen, dass er das, was er da schreibt, nicht wirklich denkt. Dass er genau weiß wie Kapitalakkumulation, der tendenzielle Fall der Profitrate, Billiglohnjobs und die weltweite Krise zusammenhängen. Und dass er auch mal was vom (angeblich verschwundenen) Proletariat gehört hat und von einem Bürgertum, das seine Pfründe sichert und sich panisch vom gemeinen Arbeiter abgrenzen will. Und dass er, wie viele seiner Zunft, von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bezahlt wird, um in den Talkshows dieser Welt Lobbyarbeit zu leisten. Um die geistige Spaltung der Gesellschaft zu verbreitern und Raum für die weitergehende Installation des Neoliberalismus, des weltweiten Kampfes der atomisierten Subjekte gegeneinander, zu schaffen.
Dass er gesellschaftliche Hetze betreibt, fällt nur nicht auf, weil er die gängigen Ressentiments gegen »die Reichen« bedient.

Natürlich gibt es für den Stern-Journalisten an sich auch keine abstrakten gesellschaftlichen Gruppen und keine Kapitalverhältnisse die analysiert werden können. Nein, das verkauft sich ja auch nicht gut. Wer will den diese öden, dicken, teuren Schinken kaufen und lesen?

Die sind doch ein echter Abschalter. Nein, eine schmierige Dramaturgie muss her, damit sich die eigenen Bücher verkaufen. Aber bitte, Herr Wüllenweber, tun Sie doch wenigstens nicht so als müssten sie um die gerechte Sache kämpfen und gucken Sie nicht immer wie ein verängstigtes Backenhörnchen, wenn Menschen mit ein wenig politischem Sachverstand sie nicht ernst nehmen. Man kann Sie nicht ernst nehmen, es sei denn man führt Böses im Schilde und benutzt Sie als geistiges trojanisches Pferd.

Was mich am Meisten schmerzt: Die Fernsehjournalisten nehmen Sie ernst, weil sie fernsehtauglich sind. Wenn sie ihre dummen These explizieren, klatschen die Leute, weil sie denken, dass Sie für deren Sache kämpfen. Und nicht um Verkaufszahlen.

Und Herr Wüllenweber: Wenn sie doch nicht von der INSM bezahlt werden und Sie wirklich glauben was Sie schreiben, dann habe ich ein Angebot für Sie: Schreiben Sie mir. Ich kann Ihnen ein paar Bücher geben, bei deren Lektüre Ihnen eine Schuppe nach der anderen aus dem Haar fallen wird. Aber ich nehme an das interessiert Sie nicht. Sie betreiben spekulativen Gesellschafts-Journalismus aus dem Bauch heraus. Anders kann man in Ihrer Zunft ja auch nur schwer überleben.

Woran das liegt? Ja, das hat auch so etwas mit der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Geschäftsgrundlage zu tun. Aber das soll Ihnen jetzt ein anderer erklären. Lesen Sie mal (und zwar ohne gleich enttäuscht zu sein) was politisch und historisch gebildete Leute so über ihr Buch schreiben …

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