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Wie ich mal länger mit einem AfD-Wähler geredet habe …

(Dieser Artikel ist ein Gedächtnisprotokoll. Ich habe mich bemüht die Diskussion in ihren Grundlinien zu reproduzieren und glaube, dass das Wesentliche hier wiedergegeben wird. Ich entschuldige mich bei meinem unbekannten Gesprächspartner, wenn ich etwas grob verzerrt wiedergegeben haben sollte.)

Erster Akt

Am vergangenen Samstag war ich auf einer Party in Berlin-Prenzlauer Berg. Die Gäste waren überwiegend um die Vierzig und aus dem akademischen Milieu. Es gab keinen bestimmten Anlass für die Party, außer ein wenig zu trinken und zu tanzen. Ich saß mit dem Gastgeber an der Theke und er erzählte mir von einem Bergwandertrip in Georgien. Ich kam über gedankliche Umwege auf Turkmenistan und die Hauptstadt Aşgabat zu sprechen, in der der verstorbene Präsident Saparmurat Nijasow einen bizarren Architekturtraum initiierte, inklusive einer in rosa-grünem Tortenguß gekleideten Riesenversion seiner Propagandaschrift »Ruhnama«. Dann kam ich auf Skopje, über das ich gerade einen Artikel von Jurica Pavicic mit dem Titel »Skopje im Delirium« gelesen hatte. Der Artikel beschreibt wie es es die nationalistische Regierung in Mazedonien »in nur wenigen Jahren (…) geschafft (hat), die Innenstadt von Skopje zu verunstalten«. Pavicic spricht von einem architektonischen Geschichtsrevisionismus mit dem Ziel die Geschichte umzuschreiben.

Und dann sagte ich leichtfertig: »Also so ein bißchen das, was die AfD hier auch vorhat.« Ein Bekannter des Gastgebers, der ein Teil des Gespräch mitgehört hatte, fragte mich dünn lächelnd: »Was? Die AfD möchte klassizistische Gebäude in Berlin errichten?«

Ich sagte, natürlich nicht, und dass es mir eher um die Parallele zwischen dem mazedonischen Geschichtsrevisionismus und dem der AfD ginge. Alle schwiegen für einen Moment. Dann wechselte der Gastgeber das Thema. Sein Bekannter ging zu seiner Begleiterin und mir den Rest des Abends aus dem Weg.


Zweiter Akt

Viele Biere, einige Schnäpse und ein verlorenes Kickerspiel später, sprach mich der Mann auf Spanisch an, da er wohl mitbekommen hatte, das meine Familie in Andalusien lebt. Wir quatschten ein wenig auf Spanisch und er fragte mich, was ich denn vom katalanischen Referendum hielte. Ich sagte, dass ich persönlich Sympathien für die Katalanen und Antipathien für die PP-geführte Regierung habe, dass ich aber eher eine Europäische Demokratie begrüssen würde, als noch mehr Nationalstaaten in Europa. Mein Gesprächspartner, der vermutlich aus Süddeutschland, vielleicht Bayern, stammte, aber wohl schon länger in Berlin wohnte, fragte mich, ob ich denn kein Demokrat sei. Ich sagte, natürlich sei ich Demokrat, aber gleichzeitig auch kein Freund nationalstaatlicher Partikularinteressen. Wir wechselten ins Deutsche. Er sagte, dass dort in Katalonien und überall in Europa ein technokratisches, undemokratisches Regime am Werk sei und es nie ein demokratisches Europa geben würde. Der Nationalstaat könne die Demokratie effektiver schützen.

Ich war jetzt neugierig geworden, weil mir unser Wortwechsel von früher wieder einfiel. Ich fragte ihn wo er denn politisch stehe. Er sagte, er habe AfD gewählt.

Es war ihm nicht ganz angenehm, er wirkte er trotzig und wahrscheinlich rechnete er damit jetzt mit Allgemeinplätzen und Nazivergleichen überschüttet zu werden. Ich fragte ihn einfach, ob die AfD denn demokratisch sei. Natürlich, sagte er, die sei ja von 13% der Bevölkerung gewählt worden. Was keine Demokratie sei, dass sei der „There is no alternative“-Kurs der Kanzlerin in der Euro- und Flüchtlingskrise. Ich fragte, was die Kanzlerin denn seiner Meinung nach falsch gemacht habe. Er sagte, – und das hatte ich schon in Reden von AfD-Funktionären gehört – dass 200.000 neue Flüchtlinge in Italien unmittelbar auf die Einreise nach Deutschland warteten und mit 3-5 Personen Familiennachzug demnächst 3-4 Millionen Flüchtlinge in Deutschland leben würden, obwohl viele Menschen hier davor Angst haben. Da ich bei statistischen Zahlenspielen immer ins Schwanken gerate, fragte ich ihn, was denn so schlimm an den Flüchtlingen sei. Er sagte, es gebe doch offensichtlich ein im Koran verankertes Gebot, das Territorium des Islams auszuweiten und das könne man nicht unwidersprochen stehen lassen. Ich wies ihn daraufhin was so alles in der Bibel steht und das selbst hartgesottene Christen das ja nicht wörtlich nehmen würden. Er sagte, das sei im Islam aber anders. Ich sagte, dass ich in der Türkei, Syrien, Jordanien und im Libanon gewesen sei und es dort überall selbstverständlich sei, dass Christen in eine christliche Kirche gehen können. Er entgegnete, dass dies aber zum Beispiel im Iran nicht so sei. Ich fragte ihn, ob er etwas über die maurische Besatzung von Spanien wisse und dass sie eine sehr belebende und fruchtbare Zeit für Kultur, Kunst und Philosophie gewesen sei, die mit dazu beigetragen habe, das moderne Europa zu begründen. Er sagte, dass könne sein, aber er wolle so etwas in Deutschland nicht. Es gäbe genug Arme in Deutschland, um die sich niemand kümmere und es sei merkwürdig, dass das Land jetzt mit billigen Arbeitskräften überschwemmt werde. Das sei kein Zufall, sondern von der EU gesteuert.

Die EU-Regierung in Brüssel sei von Organisationen wie der Trilateralen Kommission und den Bilderbergern gesteuert, um Kapitalinteressen durchzusetzen.

Ich fragte ihn, wie das mit den Positionen der AfD zur Erbschaftssteuer und ihrem Steuerprogramm zusammen ginge, von der vor allem Menschen mit sehr hohen Einkommen profitieren würden. Warum er nicht die Linke wähle? Er sagte, er habe viele Jahre lang links gewählt, aber er habe auch deren dogmatischen und bürokratischen Spielereien satt, die er in seinem Wahlkreis mitbekommen habe, besonders als die Linke in den 00er-Jahren in der Regierung war. Das sei für ihn keine Alternative mehr.
Ich fragte nochmal, was denn die Flüchtlinge mit der europäischen Zentralregierung zu tun haben. Er sagte, erstmal nichts, aber sie würden die deutschen Arbeiter schwächen, die Löhne drücken und ihre Religion sei mit unserem Kulturraum unvereinbar. Ich sagte, dass ich das nicht so sehe und verwies nochmal auf das maurische Spanien. Dann sagte ich, dass wir politisch offenbar auf völlig entgegengesetzten Seiten stünden, aber ich es gut fände, dass wir uns unterhalten. Immerhin teilten wir ja gewisse Grundannahmen. Ich sei allerdings eher der Meinung, dass die CDU der 1980er-Jahre und die SPD der 1990er-Jahre die Schwächung der Arbeiterklassen und der Demokratie zu verantworten haben. Er sagte, das sei wohl so, aber nun sei die Situation ja so, wie sie eben sei.

Ich sagte, ich würde mich doch eher bei DiEM25 engagieren und für eine echte europäische Demokratie kämpfen. Er sagte, eine solche werde es niemals geben, das sei eine reine idealistische Wunschvorstellung.

Ich sagte, dass Idealismus kein schlechter Kompass für Politik sei. Er sagte, er bleibe lieber realistisch. Ich holte noch ein neues Argument raus:
»Warum hat die AfD denn so abschätzig über die G20-Demonstrationen in Hamburg geurteilt, die waren doch wohl auch gegen eine technokratische, elitäre und undemokratische Politikform gerichtet?«
Er sagte, man könne in Deutschland nicht einfach Autos anzünden. Ich sagte, geschenkt, aber wie sei es denn mit den inhaltlichen Positionen der G20-Gegner?

Ich glaube, hier merkten wir, dass wir zu betrunken waren, um noch sinnvoll weiter zu diskutieren. Ich betonte nochmal, dass ich viele seiner Positionen für schwierig oder sogar gefährlich halte, dass ich es aber nach wie vor gut fände, dass wir uns so offen ausgetauscht haben. Dann gab ich ihm einen Tequila aus. Er wollte nochmal über G20 sprechen, aber ich sagte, es sei jetzt gut gewesen.


Dritter Akt und Katharsis

Am Sonntag bin ich mit einem fetten Kater und dem festen Vorhaben aufgewacht, das Gespräch zu protokollieren. Ich habe in dem Gespräch festgestellt, das es keine einfachen Antworten gibt. Mein verträumter und selbstgefälliger Idealismus eines grenzenlos-demokratischen Europas ist vielleicht realpolitisch nicht haltbar und auf viele Fragen zur wirtschaftlichen Verfasstheit der EU habe ich keine Antwort. Aber auch mein Gesprächspartner verstrickte sich häufig in Widersprüche und gedankliche Inkonsistenz.

Wir beide wollen eine Entwicklung stoppen, die wir für undemokratisch und gefährlich halten und wir beide sprechen in der Summe über Menschen, die nicht aus unserem Milieu stammen.

Wir sind also beide ideologische Menschen, die strategisch wählen. Und wir sind beide aus dem akademischen Milieu, sprechen mehrere Sprachen und verdienen überdurchschnittlich. Ich denke, dass das Gespräch mich zwar Kraft gekostet hat, aber dass ich in Zukunft vermehrt solche Gespräche führen möchte. Allerdings nüchtern und sachlicher. Und ich würde mir wünschen, dass die gedankliche Tiefe, die wir bei 1,5 Promille hinbekommen haben, auch professionelle JournalistInnen in den öffentlich-rechtlichen Talkshows hinkriegen. Die Debattenkultur könnte davon profitieren!

P.S.: In diesem Zusammmenhang möchte ich außerdem auf den Podcast Conversations with People Who Hate Me von Dylan Marron hinweisen. Er hat mich dazu inspiriert nachzufragen und starke politische Differenzen auszuhalten und trotzdem im Gespräch zu bleiben.

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