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Funk Ethics – Razor Boy / Broken Soul Music (Reduction Records 004)

In Zeiten allgemeinen Release-Overkills scheint die Garde hoffnungsvoller Nachwuchsproduzenten von der Insel aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt zu haben. Auch für Funk Ethics aus Newcastle gilt eindeutig die Devise Qualität vor Quantität. Nach dem Killer-Erstling Blues Is Now im letzten Herbst ließ er sich über ein halbes Jahr Zeit für den Nachfolger.

Auf beiden Tracks präsentiert sich Funk Ethics deutlich reduzierter als auf seinem Debüt. ‚Razor Boy‘ ist ein metallisch steppender Garage-Track mit technoiden Pads und ‚Broken Soul Music‘ fast schon klassischer Halfstep mit Subbass-Antrieb, geheimnisvollem Rauschen und kratzigem Digital Noise. Hätten Loefah und Mala nicht besser hinbekommen können.

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Platte des Tages: Pariah – Detroit Falls / Orpheus [R & S Records]

Ein Begriff wie ‚legendär‘ wird ja gerade in Bezug auf Musik gerne mal ein wenig inflationär verwendet, auf das belgische Label R & S Records passt er aber wie maßgeschneidert. Groß waren deshalb die Erwartungen, als das Betreiberpaar Renaat Vandepapeliere & Sabine Maes im Herbst 2008 eine Rückkehr verkündete. Seitdem erinnert das springende Pferd auf dem Labellogo aber eher an einen gealterten Renngaul. Platten wie Radio Slaves ‚Eyes Wide Open‘ oder ‚Counterpoint‘ der Wave-Rocker Delphic konnten weder alte Fans begeistern noch neue dazugewinnen.

Ausgerechnet der noch absolut unbekannte 21-jährige Londoner Arthur Cayzer alias Pariah könnte das mit seinem Debüt nun ändern. ‚Detroit Falls‘ auf der A-Seite ist trotz des Titels weder klassischer Techno noch House, sondern eher eine Verneigung vor dem 2006 verstorbenen J Dilla. Nach Flying Lotus und Bonobo ein weiteres Ausrufezeichen hinter die These, dass instrumentaler HipHop in diesem Frühjahr der bessere Dubstep ist.

‚Orpheus‘ auf der Rückseite taucht dann ab in feine Reverb-Verästelungen, lässt die Dubs im Hintergrund atmen und suhlt sich in der Melancholie des tieftraurigen Vocalsamples. Vergleiche mit den üblichen Verdächtigen dürfen angestellt werden. Dass die Platte im seltenen 10inch-Format daherkommt, erhöht den Must-Have-Faktor nur noch. An der Speerspitze des Zeitgeists hingen schon immer die höchsten Garantien für Zeitlosigkeit, das muss man bei R & S niemandem mehr erklären.

Vor seinem Debüt auf R & S geisterte Pariah im vergangenen Jahr mit einem Remix für The XX durch die Blogwelt. Der ist zwar musikalisch eher durchschnittlich, das Video mit Szenen aus Jean-Luc Godards Prostituierten-Drama ‚Vivre sa Vie‘ (deutsch: ‚Die Geschichte der Nana S.‘) möchte ich aber trotzdem niemandem vorenthalten. Godard ist sowieso nie überzubewerten und Anna Karina als Nana S… hach!

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Interview: Jean-Michel

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Ein wenig skeptisch war ich schon, als ich im vergangenen Jahr in der April-Ausgabe der De:Bug ein Album namens „Tons Of Fun“ eines gewissen Jean-Michel auf Platz 1 der Monatscharts entdeckte. Weder der Künstler noch das Label Onpa waren mir bis dahin ein Begriff. Thaddis euphorische Review dazu ließ zwar die Neugier weiter steigen, ohne allerdings die letzten Zweifel völlig zu beseitigen.

Als einige Tage danach eine Promo von „Tons Of Fun“ beim Düsseldorfer Hochschulradio landete, für das ich zu dieser Zeit tätig war, lösten sich aber auch die in restlose Begeisterung auf.

„Tons Of Fun“ war wie eine Reise in eine Zeit, die man selbst nur aus Erzählungen kennt, in der Genregrenzen keine Rolle spielten, weil es die zugehörigen Genres noch gar nicht gab und die Musik von Autechre oder Aphex Twin wirklich wie das Versprechen einer besseren Zukunft klang.

Dank stilsicherer Verweise auf Dubstep und einer erfrischenden Unbekümmertheit im Umgang mit Sounds kommt trotzdem keine Sekunde Nostalgie auf.

Kurze Zeit später hatte ich den Mann hinter Jean-Michel für ein Interview am Telefonhörer. Wegen eines Serverumzugs des Hochschulradios und eines längeren Auslandsaufenthalts meinerseits blieb das Interview leider lange verschollen. Allen ungeschriebenen Aktualitätsgeboten der Bloggerszene zum Trotz poste ich das Interview hier aber trotzdem in voller Länge.
[Weiterlesen]

Sobald auch nur die Erahnung eines Aufkeimens eines eventuell bald anberaumten Frühlings durch meine Servietten Gardinen rauscht (oder wie auch immer das passende Verb für eine mit Tatkraft versehene Ahnung sei) ist wieder Funk & Soul-Zeit.

Um nicht wieder DJ Shadow & Cut Chemist oder die olle Marlena Shaw-Single ‚California Soul‘ herauskramen zu müssen checkte ich meinen e-mail Account. Und dort wartete schon der 001:Funk Mix von Distantstarr auf mich. Distantstarrs Album wird bald auf Tokyo Dawn Records erscheinen, ein Preview-Track von ihm befindet sich im Mix…

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Auch wenn heute ganz Deutschland am Rad dreht mit der Einheitsjubiläumsfeierei, so sind die Temperaturen und das Wetter herbstlich-depressiv. Da hilft nur ein Mix der diese Stimmung aufgreift und der ganzen Kälte eine warme Melancholie entgegenhält. audites ‚Hypnotic Winter‘ ist so einer von diesen und während seine sonstigen Sets eher typischer DnB oder Dubstep sind, gelingt ihm hier etwas abseits und innovativ der neue Sound im souligen Gewand und mit langsameren Breakbeats. Ein filmmusikalisch gewordener Traum der Dubstep und DnB versöhnt, die Tradition des Hardcore-Kontinuum beibehält und auch dieses Gefühl – nachdem sich auch Burial immer sehnt – des tiefen Empfindens aufzugreifen. Schön und voller Überraschungen.

[audio:http://www.digitalgewitter.de/podcasts/%5Bdg-cast012%5D_audite_-_hypnotic_winter.mp3]
audite – Hypnotic Winter
[via digitalgewitter.de]

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Tracklist

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Platten des Tages: Martyn – Great Lengths / Kettel – Myam James Part II

Wer meinen twitter-Account verfolgt, der hat es ja schon vernommen: Ich bin jetzt Bezahl-Downloader bei boomkat.com. Und weil der Sinn der Aktion ja ist, endlich wieder eine subjektiv höhere Wertschätzung für die erworbene Musik zu entwickeln – Robert Kurz und Wertkritik ick hör dir aufstöhnen – bin ich natürlich auch ganz und gar begeistert von meinen beiden Neuerwerbungen.

Der vielfach abgefeierte Autoren-Dubstep-Produzent Martyn hat mit Great Lengths sein Opus Magnum vorgelegt, dass höchstens noch mit Burials beiden Alben in einem Atemzug genannt werden kann.

Neuerdings stelle ich mir beim Hören von repetitiver elektronischer Musik immer vor wie ich diese mit meiner Freundin oder meinem ehemaligen Mitbewohner höre – beide mit klassicher Musik sozialisiert (einer davon ausschliesslich) – und beide erst mal die metrische Strenge als einfallslose Partitur vor ihrem geistigen Auge sehen. Es ist natürlich so, dass diese Musik nicht ausschweifend, melodisch ausgefeilt und raffiniert komponiert sein will, sondern musikalische Ideen auf einem strengen Rhythmusraster ausprobiert. Mit der richtigen Portion Euphorie kann dies dann Leben retten, ohne essentialistisch zu werden. Man stelle sich probeweise das einfache Volk aus der Zeit von Händel und Vivaldi mit Laptops und Ableton ausgerüstet vor …

Martyn importiert auf Great Lengths immer genau ein Stilmittel-Setup pro Track, seien es Chicago-typische Handclaps und mittige Snares, sowie Casio FZ-1 artige Mikrosamples in Elden St., Dave Clark Synth-Stabs in Vancouver oder Tribaldrums in Is This Insanity?. Das abgefeierte Natural Selection ist m.E. noch der schwächste Track auf den Album, während ich bei Right?Star! den 2Step-Orgasmus bekommen habe.

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Mit Kettels – in einem merkwürdigen Cover daherkommenden – Follow-Up Myam James Part II könnten Freundin und Mitbewohner wahrscheinlich ungleich mehr anfangen, entwickelt Reimer Eising seine Tracks doch offensichtlich am Klavier und lässt es dann auch schonmal alleine oder mit Spinett- oder Violinbegleitung erklingen. Ansonsten lupenreine IDM mit Euphoriegarantie.

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Feature: Lynx & Kemo

Drum and Bass in Moll

Bastian Thüne in De:Bug 132

Tot ist Drum and Bass noch lange nicht, auch wenn es die letzten Jahre stark danach aussah und viele schon vom Ende redeten. Doch mit The Raw Truth, dem Debut von Steve Lynx und Jimmy Blitz (aka MC Kemo), erscheint mit fast einjähriger Verspätung der passende Soundtrack zur Krise dieser Tage. Düster und melancholisch in der Stimmung, minimal und reduziert im Sound, dürfte das Album für einige der nötige Arschtritt sein, ihr (Drum-and-Bass-)Weltbild neu zu ordnen.

Lynx bringt seine Beats genau auf den Punkt, schafft Raum und ausreichend Platz für Kemos – manchmal beschwörend wirkenden – Sprechgesang. Selbst bei dem souligen Gänsehaut-Stück ‚All You Own feat. Spoonface‘ halten sich die Streicher angenehm zurück. Aber beide sind ‚Ultraperfektionisten‘, die mit dem Ziel antreten, ein Album herauszubringen, das der Hörer ‚vom Gefühl und der Langlebigkeit her‘ zwischen Massive Attack, Burial und dem Wu Tang Clan in seiner Sammlung einordnet. Deswegen auch die Verspätung. Ihr Labelchef Marcus Intalex war von Lynx & Kemo jedenfalls so begeistert, dass er sie bereits nach der zweiten Maxi um ein Album bat. Ob das die Wende ist?

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Debug: Euer Album ist nicht nur eklektisch, sondern es klingt auch sehr reduziert. Für Drum and Bass eher ungewöhnlich.

Kemo: Gott sei Dank geht es wieder dahin. Es ist eine kleine Revolution, eine Wiedergeburt hin zum ursprünglichen Sound. Seit ungefähr sechs Jahren wurde alles immer schneller, härter und voller. Seitdem Lynx vor gut drei Jahren angefangen hat, in einem eher minimalen, deeperen Stil zu produzieren, gibt es andere, die in diese Richtung gehen. Mittlerweile geht das quer durch die Bank. Sogar DJs wie Andy C oder Hype, die dafür bekannt sind, einen schnellen, harten und vollen Sound aufzulegen, spielen inzwischen minimalere Sachen.

Debug: Der Krisenstimmung, die zurzeit in der Gesellschaft herrscht, kannst du zumindest im Drum and Bass also nichts abgewinnen?

Kemo: Drum and Bass stagnierte lang. Statt Lieder produzierten alle nur funktionale DJ-Tools und hatten Angst zu experimentieren. Doch die letzten zwei, drei Jahre gab es einen Aufschwung. Insofern hat der dunkle Zeitgeist unsere Musik positiv geprägt. Es gibt viele politische Tracks und deepere Sounds. Deshalb habe ich das eben auch als kleine Revolution bezeichnet. Wenn es diese Revolution auch in der Gesellschaft gäbe, würde unsere Zukunft wesentlich besser aussehen.

Debug: Nun ist ja eure Musik recht düster. Entspricht das auch eurer Persönlichkeit?

Kemo: Ich bin melancholisch und düster …, aber wie definiert man einen düsteren Menschen?

Debug: Eher ängstlich sein, Dinge negativ sehen …

Kemo: Das passt schon bei uns beiden. Wir bemühen uns, stets positiv und ausgeglichen zu sein. Aber auch nur, weil ich vor ein paar Jahren arge Probleme mit Angststörungen hatte. Gott sei Dank konnte ich mich voll darauf konzentrieren. Ich habe ungefähr sechs oder neun Monate nichts gemacht, also nicht gearbeitet, kaum rausgegangen. Seitdem mache ich es mir zur Lebensaufgabe, mich möglichst viel mit der seelischen oder spirituellen Welt zu beschäftigen. Bei mir im Haus leben zwei neugeborene Christen. Das ist zwar nicht mein Weg, aber ich respektiere das. Mich zieht es eher zum Thaoismus und Zen-Buddhismus. Ich lerne Wege, meine Gedanken zu kontrollieren und auch die Thematiken, mit denen ich mich beschäftige. Ich liebe düstere Sachen wie David Lynchs Filme oder düstere Serien und Bücher. Allerdings beschäftige ich mich nicht mehr zu viel damit.

Lynx & Kemo – The Raw Truth ist auf Soul:r erschienen

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phOkus – Dem All Shot – Teil 2

Fortsetzung von Teil 1

Das ist jetzt eine gute Zeit lang her. Wie schätzt du die Situation von Grime und Dubstep heute ein? Ist nicht Dubstep de facto ein Massenartikel geworden, dagegen Grime in seiner zumindest anfänglichen Außenseiterposition verhaftet geblieben? Und die bedrückendste aller Fragen: Herrscht Jahre nach dem Aufbruch bereits Ernüchterung?

Ich habe nicht das Gefühl. Eventuell muss man zwischen Dubstep und Grime unterscheiden, richtige Hammer-Grime-Tracks sind in letzter Zeit relativ schwer zu finden. Ich habe schon das Gefühl, dass die Grime-Szene 2006/2007 sehr viel mehr Interessantes hervorgebracht hat, was aber einfach zum großen Teil damit zusammenhängt, dass sich viele UK-Grime-Artists immer mehr im Chartspop-Bereich bewegen und immer weniger neue Dinge ausprobieren als noch vor zwei Jahren, sie im Gegenteil sogar Pop-Elemente in ihre Tracks übernehmen, damit sie im Charts-Kontext besser funktionieren.

Im Bereich Dubstep gibt es immer noch neue Entwicklungen, und die Leute probieren alles Mögliche aus. Darin besteht ja auch der große Reiz: Es ist möglich, nahezu alle musikalischen Einflüsse im Dubstep zusammenzuschmelzen. Und genau das passiert nach wie vor, wodurch immer noch ungehörte, neue Kombinationen entstehen.

PhOkus II

Photo by Marco Heinzmann

Welche Perspektiven eröffnen sich für Dubstep? − Welche Gefahren gibt es? Welche Chancen kannst du sehen? Kannst du Strategien erkennen, vielleicht sogar den unsäglichen Hype? Anders gefragt: Lässt sich so etwas wie Dubstep überhaupt hypen?

In letzter Zeit tauchen vermehrt Pop-Dubstep-Remixes auf. Natürlich besteht die Chance, dass es immer weiter wächst und mehr und mehr Leute Dubstep kennen und mögen, andererseits gibt es wie immer die Gefahr des großen Ausverkaufs. So wie einige Zeit in jedem zweiten Werbespot Drum ’n‘ Bass im Hintergrund lief. Nur die Drums, ohne die Basslines, weil man die im Fernsehen nicht hört. (schüttelt den Kopf)

Ich habe aber den Eindruck, dass sich die meisten Protagonisten der Szene einig sind, dass es Dubstep nicht gut tun würde, wenn auf einmal Verkaufszahlen und nicht die Innovation bzw. die Funktionalität auf dem Dancefloor zum schlagenden Argument werden. Die Dubstep-Szene selbst ist sehr stark über Internetforen, Instant Messenger und Social-Networking-Plattformen vernetzt, so dass es Außenstehenden schwer fallen dürfte, sich dort zu positionieren und einen Hype zu starten. Und auf den Fernseh-Sound bezogen: Wenn man bei Dubstep die Basslines und Subbässe weglässt, bleibt nicht mehr viel übrig. (grinst)

Was vom Dubstep übrig bleibt … Schauen wir in die Zukunft: Mit wem arbeitest du aktuell zusammen, welche Projekte verfolgst du, und wo kann man dich live/als DJ erleben?

Mit The Next aus meiner Hamburger Nachbarschaft arbeite ich seit Drum ’n‘ Bass-Zeiten zusammen. In letzter Zeit bin ich oft mit Mr. Boogie aus Potsdam mit b2b-DJ-Sets unterwegs, und wir haben auch einige gemeinsame Tunes produziert. Außerdem fertige ich Remixe für verschiedene Leute an, z.B. Jazzsteppa, Mahanee … oder Spillsbury, ein Mitglied meiner letzten Punkband. Ich plane im Augenblick mit MC Bandog von Killa Instinct, Grime-Tunes zu produzieren. Interessant, mal typische Britcore-Vocals mit Grime in Verbindung zu bringen … wir werden hören, ob es funktioniert (schmunzelt).

Diskographie:

Phokus feat. Tinchy Stryder & Dirty Danger: Dem All Shot (12″) 2006
Jazzsteppa: Five (Phokus-Remix) (12″) 2008
Phokus: Da Loot (12″) 2007
Phokus & The Next: Smoke Ganja (12″) 2008
Phokus & The Next: Inta (7″) 2008
Phokus: Mash Up Di Place (MP3) 2008
Mahanee feat. Solo Banton: No Joke Ting (Phokus-Remix) (12″) 2009
Phokus & MrBoogie & TKR: BigUp! (12″) 2009

Erscheint Juni 2009:
Phokus & Mr Boogie: The Infect (12″)

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phOkus – Dem All Shot – Teil 1

Prolog

Die Menschenschlange vor dem Berliner Berghain ist um halb vier Uhr morgens hunderte Meter lang, dabei ist der geräumige Club schon seit Stunden voll. Internationales Publikum, Internationale DJ-Sets, vor allem aus UK. Es geht hier um die zukunftsweisendste unter den aktuellen Musikrichtungen: Dubstep.

Der Begriff ist schnell definiert: Dubstep ist dem Namen nach eine Mischung aus Dub und 2step. Das Brisante, geradezu Revolutionäre liegt im Modellcharakter von Dubstep begründet: Diese Musikrichtung funktioniert nicht als ein in sich geschlossenes System, nicht als kohärentes, einheitliches Muster, wie es uns etwa im Bluesschema des Rock ’n‘ Roll begegnet – drei Akkorde, über Jahrzehnte Grundlage und Erkennungsmerkmal – oder wie es im House- und Technobeat aufscheint – dessen kleinster gemeinsamer Nenner die 4/4-Bassdrum bildet – gleichsam die Tradition der Disco-Ära.

Dubstep ist das Synonym für eine musikalische Entwicklung. Für eine Technik, die in einer Umgangsweise mit Musik begründet liegt, Dub genannt. Die Anwendung auf 2step ist dabei eine Möglichkeit, wenn auch nicht willkürlich. 2step steht für das Erbe urbaner Tanzmusik, ist Funk, Disco, House, gepaart mit der afro-amerikanischen Tradition des R ’n‘ B. Dub ist eine aus dem Reggae hervorgegangene mediale Reflexion, Rückführung auf das eigentlich Klingende, Minimierung, Substrahierung.

Fünf Uhr nachmittags in einem kleinen Straßencafé in der Mainzer Straße im Bezirk Berlin-Friedrichshain. Wenige Stunden vor seinem DJ-Set bei den Dubstep Standarts und am Vorabend von Bass The World begegne ich Phokus. Mir gegenüber sitzt ein entspannter Endzwanziger in der Sonne. Der Musikproduzent sorgt seit 2006 als Teil der deutschen Grime- und Dubstep-Szene für Aufsehen. Er ist im Verbund der WOBWOB!-Crew Hamburg zu einem der wichtigsten Protagonisten des kontinentalen Dubstep geworden.

Phokus I

Photo by Henrietta Langholz

Bei vielen Künstlern geht der Anfang ihres Schaffens einher mit einem besonderen Moment in der Erkenntnis ihrer Kunst. Oft ist das noch nicht einmal etwas Spektakuläres. Wie hast Du angefangen? Wie bist du zur Musik gekommen, oder ist die Musik zu Dir gekommen?

Solange ich zurück denken kann, hat Musik für mich eine Rolle gespielt. Aber ich möchte lieber nicht sagen, was ich früher mal für gute Musik gehalten habe. Jedenfalls habe ich irgendwann von einem Freund meines Bruders Schlagzeugunterricht genommen und in verschiedenen Bands als Drummer gespielt. Meist ging es dabei in Richtung Punk.

Als meine Eltern endlich einen Computer angeschafft hatten und ich mir im Winter auf einem alten Skateboarddeck im Schnee den Arm gebrochen hatte, besorgte ich mir von einem Kollegen so Sachen wie Fasttracker 2 und fing an, meine ersten Pfade in der elektronischen Musik zu beschreiten. Ich habe von Anfang an ausschließlich mit dem Computer produziert, was sich bis heute nicht geändert hat. Vor einigen Jahren habe ich zwar einem Kumpel, der sein Auto zu Schrott gefahren hatte, seinen Synthie abgekauft, der dient allerdings nur noch als MIDI-Keyboard. Natürlich habe ich verschiedene Arbeitsweisen und Tools ausprobiert, aber externe Gerätschaften oder sowas sind nicht dazugekommen. (zuckt die Achseln) Ich kenne es nicht anders, da vermisse ich das Drehen an echten Knöpfchen oder die „Seele“ von meinen Lieblingssynthies erst gar nicht.

Deine Anfänge verlieren sich im Dunkel der Kindheit, du hast Wurzeln im Punk, einem wichtigen Wegweiser der neuen elektronischen Musik seit den 80er Jahren. Als Drummer hattest du zudem wie selbstverständlich ein Bein auf dem Dancefloor. Wie hast du Zugang zu der Musik gefunden, die Du heute machst?

Bevor ich mich mit Musik um die 140 BPM beschäftigt habe, war ich eher schneller unterwegs. Genauer gesagt habe ich Drum ’n‘ Bass-Tracks produziert. Irgendwann hat sich der vorherrschende Drum ’n‘ Bass-Sound, jedenfalls der, den es in Hamburg auf den meisten Parties zu hören gab, in eine Richtung entwickelt, mit er ich nicht mehr all zuviel anfangen konnte. Die Elemente, die mich ursprünglich so für den Sound begeistert haben, sind sehr stark in den Hintergrund getreten, und die Stimmung ist immer aggressiver geworden.

Zu der Zeit habe ich relativ viel Internetradio gehört und bin als erstes auf Grime gestoßen, was in mir sofort ähnlich euphorische Gefühle ausgelöst hat wie die ersten Jungle-Tunes die ich gehört habe. Ich habe auch vorher schon immer mal wieder in solchen Geschwindigkeiten experimentiert und mich ab diesem Zeitpunkt völlig darauf konzentriert. Das erste Ergebnis war die 12″ auf MG77 (Dem All Shot).

Außerdem hatte ich seit einiger Zeit aufgehört mir Platten zu kaufen, was sich ab dem Moment schlagartig änderte. Ich habe dann viel Grime- und Dubstepmaxis gekauft und angefangen, alle miteinander zu mixen, was mir einen riesen Spaß gemacht hat!

Fortsetzung folgt…

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School of Stylez [Vol.2 – Dub, Grime, Dubstep] – Teil 3

(Fortsetzung von Teil 2)

Wie hat man sich eine Ethnie Dubstep vorzustellen?

„Das sind Leute, die machen Drum n‘ Bass oder Breakbeats, oder Leute, die HipHop oder Techno machen. Die versuchen jetzt alle, diese gebrochenen, minimalen Beats zu machen. Ich glaube, dadurch, dass Dubstep und Grime Fusionen aus verschiedenen Musikrichtungen sind, kommen die Leute aus allen möglichen Ecken. Und das ist schön dabei.“

Der Grime aus Deutschland rückt mit seiner fein programmierten Elektronik in Richtung Dubstep. Ich spreche hier vor allem von DJ Maxximus und seinem Berliner Label MG77.

„Hier gibt’s auch so einige Leute, die machen coole Sachen. Die Freak Camp Posse z.B. das ist eine Gruppe hier in Berlin, Dubstep DJs. Eine Partyreihe im WMF hieß Grime Time. In Maria am Ostbahnhof sind ab und zu Sachen – Bass the World findet statt im Josef, im kleinen Club von Maria. Und natürlich seit letztem Jahr alle drei Monate Dubstep-Party im Techno-Club Berghain.“

Er erzählt mir von seinen Plänen, mit anderen Berliner Künstlern eine CD oder sogar ein Doppelalbum herauszubringen. Genug Material hätte er bereits für die Compilation. Es müsste sich nur noch ein Vertrieb finden, der mutig genug ist, diese neue Musik unter die Leute zu bringen.

Lässt sich eine Theorie des Grime formulieren?

„Zum Glück gibt’s immer noch nicht diese Formel, wie man einen Song baut, was wir sehr oft in elektronischer Musik erlebt haben. Denn wenn es diese Formel gibt, dann weißt Du: erst gibt’s das Intro, dann den Break, danach geht’s los, dann nochmal Intro, und dann geht’s volle Kanne los … und das ist bei dieser Musik immer noch nicht so, es ist immer noch sehr experimentierfreudig, immer noch sehr frisch.“

Apropos frisch: was ist eigentlich die Wortbedeutung von Grime?

„Grime ist, wenn Deine Waschmaschine ausläuft, und nach sieben Jahren bewegst Du Deine Waschmaschine aus der Ecke. Das, was Du in der Ecke findest, das ist Grime (lacht).“

Wir hören Phokus aus Hamburg mit seinem Klassiker ‚Dem All Shot‘ – zu deutsch: Wir haben alle abgeschossen.

„Die spielen natürlich wieder mit dieser Provokationstechnik, was ja auch Punkrock damals gemacht hat, so zu schocken, deswegen benutzen die auch ziemlich aggressive Texte.“

Zu uns gesellt sich DJane Spoke, um neue Platten zu hören. Sie berichtet von ihrem aktuellen Projekt mit einem Kollegen namens Wasserstoff. Sie arbeiten an einem Sound, den sie TechDub nennen, eine langsame Form von klassischem Techno, gemischt mit Dub und 2step-Einflüssen: „Auf der Party im RAW haben die Leute geschrieen vor Vergnügen! Am Ostersonntag im Rosi’s werde ich unseren neuen zweiten Track zum ersten mal spielen.“

Ich mache mich auf den Heimweg und höre die Abendglocken läuten. Funk, Dub, Disco, Electro, HipHop, House, Techno, Breakbeat, 2step, R‘ n‘ B, Grime, Dubstep … Diese Begriffe aus 40 Jahren Musikgeschichte umkreisen meinen Kopf wie kleine zwitschernde Vögelchen:

Ob Dean für seine deutsche Grime-Compilation einen Vertrieb finden wird? – Werden die Dubstep-Parties im Berghain auch weiterhin gut besucht sein? – Gibt es eigentlich schon Dub-Jazz? – Habe ich nicht zuhause noch eine CD mit Balkan-Dub? – Und was hat Dean beim Abschied doch gleich gesagt?

„Ich bin sicher, das wird jetzt mehr und mehr, weil, ich merke auch, hier in Deutschland sind mehr und mehr Leute, die das produzieren.“