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Platte des Tages: Deetron feat. Seth Troxler – Each Step [Circus Company 045]

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Überraschungssieger der Chicago-Gedächtnismedaille werden in diesem Monat der Schweizer Deetron und der schon nicht mehr ganz so Neu-Berliner Seth Troxler. Um die Verwirrung komplett zu machen kommt dieses Monster eines Jacktracks auf dem bisher eher retro-unverdächtigen Pariser Label Circus Company. Dass aus ‚Each Step‘ trotzdem kein ironiefreier Dance-Mania-Aufguss geworden ist, verdankt das Stück vor allem Troxlers tongue-in-cheek-artiger Hunter S. Thompson meets Volkshochschul-Poesiekurs-Performance, die man durchaus als Parodie auf die virile Ernsthaftigkeit und sinnentleerte Spiritualität so manches Chicago-Klassikers verstehen könnte. Eine Kostprobe: „The stars from the heavens keep shining and the other lights they go low. For one thing I know that is true is my love… it is my love for you.“

Ohne Troxler, aber nicht weniger charmant kommt ‚Sing‘ auf der Flip daher. Relaxt groovender Detroitbeatdown-House mit endlos gelooptem weiblichen Vocalsnippet, der an den Omar-S-Hit ‚Day‘ erinnert. Für die Open-Air-Saison auf jeden Fall eine Bank.

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Kyle Hall im Video-Interview

Wer einmal Kyle Halls idiosynkratische House-Tracks auf Labels wie FXHE, Hyperdub oder seinem eigenen Wild Oats-Imprint gehört hat, könnte denken, der gerade mal 18-jährige Detroiter sei mit einer MPC im Arm zur Welt gekommen. Mit lausbübischem Zahnspangengrinsen und Ralph-Lauren-Polohemd stellt er die komplette Antithese zur großmäuligen Gangsta-Attitüde eines Moodymann oder Omar S dar, seine Tracks strotzen aber mindestens genaus so vor ungefiltert hingerotztem Maschinensoul.

Welche Rolle ein Friseurladen für seine musikalische Entwicklung hatte, was bei ihm in der nahen Zukunft ansteht (u.a. ein Remix für den an dieser Stelle schon hochgelobten Space Dimension Controller) und vieles mehr verrät er im Video-Interview für doDetroit TV.

Sound Check: Kyle Hall from doDetroit TV on Vimeo.

[via residentadvisor.net]

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Diggin‘ The Crates: Slowdive – 5EP + Remixes

Dass der Begriff ‚Chill Out‘ heute semantisch verseuchter ist als ein durchschnittlicher Acker im Chemiedreieck zwischen Merseburg, Halle und Bitterfeld Mitte der 80er, lässt sich sogar im aktuellen ZEIT-Magazin nachlesen. Dass damit aber nicht schon immer klebrige Klangcollagen gemeint waren, die als akustisches Äquivalent zu Blümchentapeten durchgehen, ist auch klar. Nicht zuletzt die für Spätgeborene immer ein wenig romantisch-verklärt wirkenden, aber trotzdem verlockenden Forderungen nach der Rückkehr einer beatfreien Zone in Clubs, ließen den Begriff wieder stärker in den Focus rücken.

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Als Referenz werden dabei meistens Acts wie Global Communication, Future Sound Of London oder The Orb genannt, denen Anfang der 90er ein Update des Ambient-Sound eines Brian Eno durch sanfte Dub-, ‚Trance‘- und Breakbeatelemente gelang. Eben jener Brian Eno produzierte 1993 mit Souvlaki auch das wohl bekannteste Album der Shoegazer Slowdive. Von allen Bands aus dem Creation-Records-Pool (My Bloody Valentine, Ride, Chapterhouse etc.) waren Slowdive schon zu dieser Zeit die ‚unrockistischte‘, die Gitarren schwebten noch verwaschener im Hintergrund aus rosafarbenem Rauschen, Neil Halsteads und besonders Rachel Goswells Gesang schien noch körperlos-ätherischer als der ihrer Kollegen. Dies brachte ihnen auch zahlreiche Bewunderer im elektronischen Lager ein. Für einen Moment im Spätherbst 1993 lief der Weg von Slowdive plötzlich wie von selbst in Richtung Chillout-Floor.

Auf dem 5 EP betitelten 4-Tracker vollziehen Slowdive die entgültige Abkehr von ihren im Noiserock und Gothic liegenden Wurzeln hin zu einem somnambulen Driften zu in Watte gepackten Pulsschlägen, wie sie wenig später auch Wolfgang Voigt für sein Gas-Projekt verwenden sollte. Konsequenterweise veröffentlichte Creation quasi zeitgleich zur 5 EP auch eine 12-Inch mit zwei Remixen von Künstlern ihres elektronischen Sublabels Infonet.

Bandulu zerlegen ‚In Mind‘ in ein Breakbeat-Gewitter der feinsten englischen Art inklusive sinustonartigen Einsprengseln und den majestätisch schwerelosen Flächen des Originals. Reload alias Global Communication alias Mark Pritchard und Tom Middelton gehen in ihrer Version noch ein wenig epischer zu Werke, lassen das Stück in einem Wirbel aus Synth-Arpeggien verglühen und streuen zum löschen ein wenig Sternenstaub darüber

Nach diesem eindrucksvollen Schulterschluss mit der damaligen Avantgarde der elektronischen Musik gingen Slowdive den neu eingeschlagenen Weg auf ihrem dritten und letzten Studioalbum ‚Pygmalion‘ weiter, ohne jedoch ganz an die Genialität der ‚5 EP‘ heranzureichen. Neben dem eher konventionellen Dream-Pop der Slowdive-Nachfolgeband Mojave 3 verfolgten die Bandmitglieder auch zahlreiche Soloprojekte, Halstead versuchte sich zuletzt 2008 mit eher geringem Erfolg als Singer/Songwriter.

Mark Pritchards Strom an qualitativ hochwertigem Output reisst dagegen bis heute nicht ab, egal ob er Dubstep für Malas Deep Medi Music oder Kode9s Hyperdub veröffentlicht, oder sich als Harmonic 313 auf Planet Mu um retrofuturistische Beatforschung kümmert.

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Platte des Tages: Jayson Brothers – The Game [Drumpoet Community 029-1]

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Unter dem Namen Jayson Brothers erschien bereits vor Jahresfrist eine überraschend wenig beachtete 12″ auf Danilo Plessows MCDE-Imprint. Die zwei loopigen Slowmotion-Disco-Stücke klangen wie die perfekte Synthese aus Plessows eigener Raw Cuts-Serie und der englischen Hitfabrik um Craig Smith und Graeme Clark (The Revenge, 6th Borough Project).

Mit dem zweiten Release der mysteriösen Brüder auf dem wiedererstarkten Schweizer Label Drumpoet Community steht nun fest, dass der vielgepriesene Wonderboy aus dem Spätzleland höchstpersönlich hinter dem Pseudoynm steckt. ‚The Game‘ ist der wohl bisher rotzigste Slammer des Stuttgarters. Über einer vom ersten bis zum letzten Takt durchprügelnden Kickdrum treiben peitschenhiebende HiHats das Stück unbarmherzig nach vorn, das zwischendrin immer wieder rein- und rausgefilterte Vocalsample macht den Killer perfekt.

Dagegen wirkt ‚Keep on Dancin“ fast schon wie eine glattpolierte schwäbische Vorstadtsiedlung, mit angedubbten Chords und flächigen Strings gibt es aber auch hier mehr als solides Postpeaktime-Futter. Stumpfsinn war selten so verführerisch.

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Platte des Tages: The Souljazz Orchestra – Rising Sun [Strut Records 058]

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Jazz ist bekanntermaßen nicht nur immer noch der Teacher, sondern auch mein persönlicher Soundtrack des langsam aber sicher beginnenden Frühlings. Dafür verantwortlich ist das kanadische Souljazz Orchestra mit seinem passend betitelten dritten Longplayer Rising Sun. Die Namensähnlichkeit mit dem Londoner Label und Plattenladen ist rein zufällig, doch musikalisch trennt das Sextett aus Ottawa weit weniger als ein schnödes Leerzeichen von den Briten. Denn so wie letztere sich für ihre Compilations immer wieder tief in die Wurzeln vorzugsweise afrikanischer und karibischer Soundkultur eingraben, schöpft auch das Souljazz Orchestra aus dem reichen Fundus von Ethnojazz und Afrobeat.

Pate gestanden haben für Rising Sun natürlich in erster Linie Mulatu Astatke und Fela Kuti, doch bleibt die Interpretation des Orchestras so zeitgemäß wie eigenständig. Selten hört man Jazz so frei von Daddeligkeit und Klischees und so durchgehend rhythmisch und deep. Hier ist alles gleichzeitig wie aus einem Guss und dabei so voller betörender kurzweiliger Momente vor denen man einfach huldigend niederknien muss, wie die Sonnenanbeter auf dem Cover.

So wie bei ‚Negus Negust‘, in dem lateinamerikanisch anmutende Bläsersätze kongenial mit dem glasklaren Vibraphon harmonieren oder dem kinematographischen Kleinod ‚Lotus Flower‘, das mit dem Cadillac direkt vor der Hotelbar parkt. In ‚Serenity‘ tappst schließlich ein schüchternes Pianointro in die Szenerie, bevor es in einen samtenen Umhang aus Saxklängen gehüllt wird. Ein wenig freier und weniger groove-orientiert gestaltet sich das letzte Drittel der Platte, das mit ‚Rejoice‘ eine Coverversion des Sun Ra-Kompagnons Pharaoh Sanders enthält.

Die Art und Weise, in der die sechs Musiker jedem Element den nötigen Raum zur Entfaltung geben, erinnert nicht nur an den klassischen Minimalismus eines Steve Reich, sondern an jazz-geschulte Detroiter House- und Techno-Legenden wie Theo Parrish oder Carl Craig. Hier schließt sich dann wieder der Kreis ins heute. Und genau da ist Rising Sun ab jetzt Pflichtprogramm.

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Interview: Jean-Michel

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Ein wenig skeptisch war ich schon, als ich im vergangenen Jahr in der April-Ausgabe der De:Bug ein Album namens „Tons Of Fun“ eines gewissen Jean-Michel auf Platz 1 der Monatscharts entdeckte. Weder der Künstler noch das Label Onpa waren mir bis dahin ein Begriff. Thaddis euphorische Review dazu ließ zwar die Neugier weiter steigen, ohne allerdings die letzten Zweifel völlig zu beseitigen.

Als einige Tage danach eine Promo von „Tons Of Fun“ beim Düsseldorfer Hochschulradio landete, für das ich zu dieser Zeit tätig war, lösten sich aber auch die in restlose Begeisterung auf.

„Tons Of Fun“ war wie eine Reise in eine Zeit, die man selbst nur aus Erzählungen kennt, in der Genregrenzen keine Rolle spielten, weil es die zugehörigen Genres noch gar nicht gab und die Musik von Autechre oder Aphex Twin wirklich wie das Versprechen einer besseren Zukunft klang.

Dank stilsicherer Verweise auf Dubstep und einer erfrischenden Unbekümmertheit im Umgang mit Sounds kommt trotzdem keine Sekunde Nostalgie auf.

Kurze Zeit später hatte ich den Mann hinter Jean-Michel für ein Interview am Telefonhörer. Wegen eines Serverumzugs des Hochschulradios und eines längeren Auslandsaufenthalts meinerseits blieb das Interview leider lange verschollen. Allen ungeschriebenen Aktualitätsgeboten der Bloggerszene zum Trotz poste ich das Interview hier aber trotzdem in voller Länge.
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TV Like It’s 1994

Die Rave-Retrowelle nimmt kein Ende: Nach dem Medien-Hype um Ex-Frontpage-Fotograf Tilman Brembs alias Zeitmaschine nun dieses Video einer Acid-Jam mit Mike Ink aus der VIVA-Sendung Housefrau. Als Product Design Director bei Native Instruments mit schickem Prep-Style hat Moderator Mate Galic heute übrigens weder mit analogen Klangmaschinchen noch mit lila Haaren viel am Hut.

[via freehospital]

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Platte des Tages: Dplay – Huub Sand [Running Back 018]

Elektronische Musik und postmoderne Theorie gingen schon immer Hand in Hand. Oftmals liegt der autonome Autor begraben unter kryptischen Pseudonymen und wenn Bedeutung sowieso fortwährend neu verschoben wird, braucht man auch keine nach ebensolcher heischende Tracknamen mehr (es sei denn man heißt Dominik Eulberg).

Dirk Gottwald alias Dplay aus Essen setzt dagegen ganz unpostmodern auf eindeutige Referenzen und nutzt die ganze Breite des Bedeutungspielraums in und vor allem um das schwarze Rund herum. Denn wie es sich für ein waschechtes Kind des Ruhrpotts gehört, ist Dplay Schalke-Fan.

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Der Titel ist eine Hommage an Huub Stevens und Ebbe Sand, als Trainer bzw. Spieler zentrale Protagonisten der Schalker Erfolgs-Ära um die Jahrtausendwende. Ob sich partner-in-crime Manuel Tur da dezent in die Produktionscredits zurückgezogen hat, weil sein Herz für den schwarz-gelben Konkurrenten schlägt, ist unklar. Der Musik hat es jedenfalls nicht geschadet.

Der Titeltrack ist ein subtiler Deephouse-Schieber mit abgefederten Chords, der das Spiel wie ein offensiver Libero von hinten antreibt. Den Dreh-und Angelpunkt der Partie markiert das discoide „Tschaka“, das die gegnerischen Abwehrspieler mit dominanter Snare und funky Bassline zur Verzweiflung treibt. Lediglich „Schroule“ verdribbelt sich ein wenig ballverliebt im Gewusel aus Congas und Glöckchensounds. Die Taktik von Running Back-Cheftrainer Gerd Janson, nach den erfahrenen Move D und Radio Slave nun den Nachwuchs auf den Platz zu schicken, ist aber trotzdem voll aufgegangen.

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Platte des Tages: Map.ache – Carmella [Kann 02]

Dem Leipziger Label Kann Records ist es bereits nach drei Releases gelungen, einen unverwechselbaren Trademarksound zu etablieren, ohne sich dabei ausgelutschter Klischees zu bedienen. Auch die Tracks auf Map.aches erster Solo-EP Carmella atmen wieder diesen warmen, butterweichen Chicago-Vibe, bei dem man geradezu spürt, wie man dem Frühling mit jedem Takt näher kommt.

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„Clouds Over Clowns“ schleicht sich mit hintergründiger Percussion auf den Floor, wo einen die Pianoakkorde von „Tel Aviv“ gleich verweilen lassen. Mein Favorit ist aber das detroitige Neuneinhalb-Minuten-Epos „Carm“. Nirgendwo kickt House-Understatement derzeit mehr! Da müssen sich die Hamburger Brüder im Geiste von Dial warm anziehen. Ein Label, von dem man kein einziges Release mehr verpassen möchte, nicht zuletzt wegen der farbenfrohen, kubistisch angehauchten Artworks der Grafikdesignerin Franziska Kempiak.