Dass der Begriff ‚Chill Out‘ heute semantisch verseuchter ist als ein durchschnittlicher Acker im Chemiedreieck zwischen Merseburg, Halle und Bitterfeld Mitte der 80er, lässt sich sogar im aktuellen ZEIT-Magazin nachlesen. Dass damit aber nicht schon immer klebrige Klangcollagen gemeint waren, die als akustisches Äquivalent zu Blümchentapeten durchgehen, ist auch klar. Nicht zuletzt die für Spätgeborene immer ein wenig romantisch-verklärt wirkenden, aber trotzdem verlockenden Forderungen nach der Rückkehr einer beatfreien Zone in Clubs, ließen den Begriff wieder stärker in den Focus rücken.
Als Referenz werden dabei meistens Acts wie Global Communication, Future Sound Of London oder The Orb genannt, denen Anfang der 90er ein Update des Ambient-Sound eines Brian Eno durch sanfte Dub-, ‚Trance‘- und Breakbeatelemente gelang. Eben jener Brian Eno produzierte 1993 mit Souvlaki auch das wohl bekannteste Album der Shoegazer Slowdive. Von allen Bands aus dem Creation-Records-Pool (My Bloody Valentine, Ride, Chapterhouse etc.) waren Slowdive schon zu dieser Zeit die ‚unrockistischte‘, die Gitarren schwebten noch verwaschener im Hintergrund aus rosafarbenem Rauschen, Neil Halsteads und besonders Rachel Goswells Gesang schien noch körperlos-ätherischer als der ihrer Kollegen. Dies brachte ihnen auch zahlreiche Bewunderer im elektronischen Lager ein. Für einen Moment im Spätherbst 1993 lief der Weg von Slowdive plötzlich wie von selbst in Richtung Chillout-Floor.
Auf dem 5 EP betitelten 4-Tracker vollziehen Slowdive die entgültige Abkehr von ihren im Noiserock und Gothic liegenden Wurzeln hin zu einem somnambulen Driften zu in Watte gepackten Pulsschlägen, wie sie wenig später auch Wolfgang Voigt für sein Gas-Projekt verwenden sollte. Konsequenterweise veröffentlichte Creation quasi zeitgleich zur 5 EP auch eine 12-Inch mit zwei Remixen von Künstlern ihres elektronischen Sublabels Infonet.
Bandulu zerlegen ‚In Mind‘ in ein Breakbeat-Gewitter der feinsten englischen Art inklusive sinustonartigen Einsprengseln und den majestätisch schwerelosen Flächen des Originals. Reload alias Global Communication alias Mark Pritchard und Tom Middelton gehen in ihrer Version noch ein wenig epischer zu Werke, lassen das Stück in einem Wirbel aus Synth-Arpeggien verglühen und streuen zum löschen ein wenig Sternenstaub darüber
Nach diesem eindrucksvollen Schulterschluss mit der damaligen Avantgarde der elektronischen Musik gingen Slowdive den neu eingeschlagenen Weg auf ihrem dritten und letzten Studioalbum ‚Pygmalion‘ weiter, ohne jedoch ganz an die Genialität der ‚5 EP‘ heranzureichen. Neben dem eher konventionellen Dream-Pop der Slowdive-Nachfolgeband Mojave 3 verfolgten die Bandmitglieder auch zahlreiche Soloprojekte, Halstead versuchte sich zuletzt 2008 mit eher geringem Erfolg als Singer/Songwriter.
Mark Pritchards Strom an qualitativ hochwertigem Output reisst dagegen bis heute nicht ab, egal ob er Dubstep für Malas Deep Medi Music oder Kode9s Hyperdub veröffentlicht, oder sich als Harmonic 313 auf Planet Mu um retrofuturistische Beatforschung kümmert.