»Wenn durch eine Einwirkung auf die äußeren Sinne ein Bild ensteht, kommt es neben den Einwirkungen auf die Sinnesorgane gleichzeitig zu Vorgängen im Gehirn, und das Bild ist dann eine Realität. Erscheint dem Geist ein Bild ohne einen entsprechenden gleichzeitigen Vorgang im Körper, spricht man von einem Gedanken. Die Fähigkeit zwischen Gedanken und Realität zu unterscheiden, nennt man Bewußtsein.«

Alfred Smee

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Der Autor im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – testcard #24

»Wir sind es, die allein die Ursachen, das Nacheinander, das Für-einander, die Relativität, den Zwang, die Zahl, das Gesetz, die Freiheit, den Grund, den Zweck erdichtet haben; und wenn wir diese Zeichen-Welt als »an sich« in die Dinge hineindichten (…) so treiben wir es (…) wie wir es immer getrieben haben, nämlich mythologisch.«

Friedrich Nietzsche

Im Herbst letzten Jahres hat der britische Science-Fiction-Autor Charles Stross in seinem Blog antipope.org eine Dystopie über die Zukunft der eBooks veröffentlicht. In der Zukunft, so prophezeit er, werden wilde Spambooks unsere eBook-Verzeichnisse durchforsten und aus den dort enthaltenen Büchern tausende von geistlosen und oberflächlichen Romanen destillieren, die eine vage Ähnlichkeit mit unseren Lesepräferenzen haben. Getarnt als Gratisexemplare werden sie sich in unsere eBooks installieren und im Text versteckte Anzeigenfläche an dubiose Offshore-Spamprovider verkaufen.

»Books are going to be like cockroaches, hiding and breeding in dark corners and keeping you awake at night with their chittering. There’s no need for you to go in search of them: rather, the problem will be how to keep them from overwhelming you.«

Dieser leicht überdrehte, technologiepessimistische Text, der sich wie eine Mischung aus William Gibson und Douglas Adams liest, bekam eine neue Facette, als sich im Frühling dieses Jahres die Berichterstattung über den sogenannten Roboterjournalismus überschlug. Plötzlich erzittert die Nachrichtenbranche vor einem Phänomen, dass vorher schon unzählige andere Arbeitsbereiche erschüttert hat: die Automatisierung. Und so wie immer wurde eine kreative und überlegene Elite konstruiert, die sich keine Sorgen zu machen brauche. Der neue Roboterjournalismus sei »rasend schnell, aber unkreativ« und die redaktionelle Assistenz und die Materialbeschaffung werde zwar bald obsolet, aber »Features, Reportagen und Interviews können noch nicht von Maschinen produziert werden«. Und natürlich erst recht keine Literatur.

Lorenz Matzat von netzpolitik.org sieht allerdings schon eine zweite Phase des Roboterjournalismus am Horizont. Diese könne »dann eintreten, wenn die semantischen Fähigkeiten der Algorithmen so weit gediehen sind, dass sie in brauchbarer Qualität Beiträge für eine Vielzahl von Themenbereichen erzeugen können.« Etwas hilflos führt er am Ende der zweiteiligen Artikelserie über Roboterjournalismus hinzu, dass die kommende Revolution von Gewerkschaften und Politik »beobachtet« und die Qualität von Roboterjournalismus durch den Pressekodex oder klare Regeln wie die drei Robotergesetze von Isaac Asimov gewährleistet werden müsse. Die drei Robotergesetze von Asimov? Oh no he didn’t!?

Offenbar befinden wir uns mitten in einer Diskussion, für die es keine adäquaten Begriffe mehr gibt. Ist Stross’ kleine Dystopie angesichts des Phänomens Roboterjournalismus doch keine überdrehte Science-Fiction, sondern ein realistisches Szenario für die Zukunft? Was ist passiert? Was wird passieren? Und was ist zu tun?
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Aus dem Notizbuch (01/12/2012): Walter Wüllenweber – Die Asozialen

»Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.«

Heute musste ich an Walter Wüllenweber denken. Wüllenweber ist so ein Stern-Journalist, der ein Buch geschrieben hat, mit dem Titel »Die Asozialen«. Nicht nur, dass der Titel von plakativster Blödheit ist, nein, auch der Inhalt ist es. Wüllenweber, der momentan von einer Talkshow zur nächsten weitergereicht wird, versteht sich als Anwalt der Bürger, oder der – wie er sie zur Tarnung nennt – Mittelschicht. Seine These: Arm und Reich beuten die Mittelschicht aus. Die Mittelschicht arbeitet brav, die Reichen leben asozial von den Früchten ihrer Erbschaft und die Armen greifen via Wohlfahrtsindustrie und Hartz-IV in die Taschen der Arbeitenden.

Man muss sich das so vorstellen: Ein Walter Wüllenweber macht sich Gedanken über die Welt und zwar so wie das ein Stern-Journalist tut: Kurz hingucken, auf Sensationspotential abklopfen und dann das Hirnstübchen lüften und einen Moment spekulieren.

Dann kommt man auf die Grundthese: Mit mir, dem Bürger, ist doch alles in Ordnung. Ich arbeite brav und lasse mir nichts zuschulden kommen. Warum gibt es dann trotzdem Probleme? Krisen und so? Na klar, da gibt es ja die Reichen, die es schon immer gut gehabt haben und asozial in grenzenloser Dekadenz leben. Und die Armen, für die ich immer spenden soll und soviele Steuern zahle. Das muss man doch sehen. Da schreib ich jetzt ein Buch.
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»Zu den auffallendsten Zügen im Leben der Masse gehört etwas, was man als ein Gefühl von Verfolgtheit bezeichnen kann, eine besondere zornige Empfindlichkeit und Reizbarkeit gegen für allemal als solche designierte Feinde. Diese können unternehmen, was immer sie wollen … – alles wird ihnen so ausgelegt, als ob es einer unerschütterlichen Böswilligkeit entspringe, einer schlechten Gesinnung gegen die Masse, einer vorgefassten Absicht, sie offen oder heimtückisch zu zerstören.«

Elias Canetti

»Ich glaube nicht an Konsumentenaktivismus. Das ist für mich eine bourgeoise Antwort für ein zutiefst ökonomisches, kapitalistisches Problem. Unsere Probleme müssen kollektiv politisch angegangen werden, nicht dadurch, dass ich ein besserer Konsument werde.«

Evgeny Morozov

»Seit Jahren dreht sich die fruchtlose Diskussion um das Urheberrecht in der digitalen Welt um Rechtsdurchsetzung und Strafmaßnahmen statt darum, wie dafür gesorgt werden kann, dass Künstlerinnen und Künstler für ihre Arbeit eine angemessene Vergütung erhalten. Wie wäre es, wenn man versuchen würde, die Diskussion um das Urheberrecht im Digitalzeitalter mit jener über das bedingungslose Grundeinkommen zu verbinden?«

Ilja Braun

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Re: Back to: Intrinsisches Entertainment oder »The Sirenenserver Diaries«

@rumpusQ – 29.03.15 – 00:23 Uhr

Hi!
Ich denke wir nähern uns langsam dem Kern der Angelegenheit. Ein paar deiner Gedanken (»Jede menschliche Kommunikation ist ein Tauschhandel: aufmerksam sein, Aufmerksamkeit erfahren«, »das Internet (ist) ein Kommunikationsnetzwerk (…) in dem (…) Aufmerksamkeit zu einer wichtigen Währung geworden ist«) kamen ja auch bei mir schon implizit vor. Und deine Fragestellung »Kann eine neue Währung auch eine Chance sein? Hat diese Währung die Kraft, das System, in dem sie zirkuliert, neu zu ordnen?« geht genau in die richtige Richtung.

Schön fand ich auch deine Beobachtung, dass »wenn man sein Sein im Netz erst einmal anfängt als ein unternehmerisches zu betrachten: Ja, dann offenbart sich einem plötzlich das ganze Potential des Internets, dann umweht einen dieser Duft des neuen Kontinents, der neuen Welt, der ungeahnten, unendlichen Möglichkeiten.«

Bei mir wurde dieser wohlbekannte Thrill, die euphorische Ich-AGisierung des Netzes, zu dem unangenehmen Gefühl, »dass im Netzwerk keine Menschen zu uns sprechen, sondern Waren auf dem langen Aufstiegsweg zur Star-Ware.«

Bevor wir aber über Lösungsansätze diskutieren, würde ich gerne unsere Abstraktion der hochmotivierten und leistungsbereiten Netz-Unternehmer auf empirische Füße stellen, mit ein paar Kurzbiografien von Menschen die ich persönlich kenne. Die Namen sind abgekürzt und/oder verändert:

The Sirenenserver-Diaries

J. war einer der ersten Menschen mit denen ich das Internet erforscht habe. Damals hießen die Sirenenserver noch sendmoreinfo.com und SaveBySurf (alter Artikel von 1999) und waren plumpe Versuche das Multi-Level-Marketing ins Netz zu bringen.
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Back to: Intrinsisches Entertainment

@subkid – 28.03.15 – 01:43 Uhr

Nabend!
Du wirfst mir augenzwinkernd Eskapismus vor. Aber ist das Eskapismus, der mich in meiner letzten Mail nach Island flüchten lassen wollte? Ich weiß nicht. Nicht nur, vielleicht. Ich glaube einfach nicht mehr an den Sinn des Netzes für mein privates Leben. Beruflich, klar: Mail, WeTransfer, iTunes Store und Avid Knowledge Base will ich nicht mehr missen. Vielleicht vermischen du und Andere auch zu sehr private und berufliche Ansprüche an das Internet. Denn wenn man an dieses nur rein berufliche Anfordungen stellen würde, wäre kaum der Mythos von der neuen, freien, digitalen Gesellschaft entstanden. Ich flüchte also nicht vor einem System das ich ablehne, sondern privat entziehe ich mich diesem System, weil es mir privat kaum etwas bringt.

Aber zu meiner Sicht auf das Internet noch einmal genauer:

Die Möglichkeit des Internets, den Teilnehmern schnellere und direktere Kommunikation zu ermöglichen, will ich ihm ja auch gar nicht absprechen. Kann schon ein toller Nebeneffekt dieses militärischen Verteidigungsnetzwerkes sein. Aber seine Stärken (außerhalb von Verteidigung) hat es bis jetzt nur auf dem ökonomischen Sektor gezeigt.

    – Finanztransaktionen gehen schneller und damit billiger. Was aber auch erhebliche Nachteile haben kann, wie wir z.B. am Flash Crash sehen mussten. Oder an Kreditkartenhacks.

    – Verkäufer können potenziell ohne grosse Kosten Milliarden Konsumenten ansprechen. »The world is flat« und so. Birgt leider die Gefahr der Monopolisierung.

    – Emaildienste und Suchmaschinen stellen ihre Services nur umsonst zur Verfügung, weil sie die Kommunikation für Zielgruppenanalysen verwenden können.

Und, und, und …
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