@subkid – 28.03.15 – 01:43 Uhr
Nabend!
Du wirfst mir augenzwinkernd Eskapismus vor. Aber ist das Eskapismus, der mich in meiner letzten Mail nach Island flüchten lassen wollte? Ich weiß nicht. Nicht nur, vielleicht. Ich glaube einfach nicht mehr an den Sinn des Netzes für mein privates Leben. Beruflich, klar: Mail, WeTransfer, iTunes Store und Avid Knowledge Base will ich nicht mehr missen. Vielleicht vermischen du und Andere auch zu sehr private und berufliche Ansprüche an das Internet. Denn wenn man an dieses nur rein berufliche Anfordungen stellen würde, wäre kaum der Mythos von der neuen, freien, digitalen Gesellschaft entstanden. Ich flüchte also nicht vor einem System das ich ablehne, sondern privat entziehe ich mich diesem System, weil es mir privat kaum etwas bringt.
Aber zu meiner Sicht auf das Internet noch einmal genauer:
Die Möglichkeit des Internets, den Teilnehmern schnellere und direktere Kommunikation zu ermöglichen, will ich ihm ja auch gar nicht absprechen. Kann schon ein toller Nebeneffekt dieses militärischen Verteidigungsnetzwerkes sein. Aber seine Stärken (außerhalb von Verteidigung) hat es bis jetzt nur auf dem ökonomischen Sektor gezeigt.
– Finanztransaktionen gehen schneller und damit billiger. Was aber auch erhebliche Nachteile haben kann, wie wir z.B. am Flash Crash sehen mussten. Oder an Kreditkartenhacks.
– Verkäufer können potenziell ohne grosse Kosten Milliarden Konsumenten ansprechen. »The world is flat« und so. Birgt leider die Gefahr der Monopolisierung.
– Emaildienste und Suchmaschinen stellen ihre Services nur umsonst zur Verfügung, weil sie die Kommunikation für Zielgruppenanalysen verwenden können.
Und, und, und …
Jetzt könnte man sagen: Ja, ist halt gerade noch Wildwest-Stimmung, weil neu. Dann muss der Gesetzgeber halt Rahmenbedingungen schaffen wie in der analogen Marktwirtschaft auch. Was aber nur global funktionieren kann, dort aber nicht konsensfähig sein wird. Wenn man es dann regionaler gestalten wollen würde (um es regulieren zu können), müsste man leider die Utopie der neuen freien digitalen Gesellschaft aufgeben (denn die Utopie ist ja gerade die der weltumspannenden Kommunikationsmöglichkeit mit jedem Erdenbürger) und dann hätte man nur noch ein Internet light wie in China, Russland oder Nordkorea etc.
Das Internet ist also ein globales Kommunikationsnetzwerk, dessen Vorteile bis jetzt nach den Militärs nur den Unternehmern zugute gekommen sind.
Vielleicht ist auch das eine Erklärung für die Zunahme an Narzissmus. Denn die normalen (privaten) Netzbewohner gingen – nachdem sie feststellen mussten, dass das Internet ihnen eigentlich gar nicht so viel bringt außer ein paar Annehmlichkeiten (das Bahnticket erst kaufen wenn der Schaffner in Sichtweite ist, die Heizung anstellen, wenn man auf dem Weg nach Hause ist – auch das aber eigentlich schon ökonomische Nutzungen, da es ja mehr noch als um Bequemlichkeit darum geht, die eigenen Transportkosten oder die Heizkosten zu minimieren) – dazu über Unternehmer ihrer Selbst zu werden (s. Aufmerksamkeit). Und wenn man sein Sein im Netz erst einmal anfängt als ein unternehmerisches zu betrachten: Ja, dann offenbart sich einem plötzlich das ganze Potential des Internets, dann umweht einen dieser Duft des neuen Kontinents, der neuen Welt, der ungeahnten, unendlichen Möglichkeiten.
Mir ging das damals bei facebook so. Die ersten paar Monate dachte ich: Ja und? Dass ich mich jetzt mit der Schweizerin und dem Gladbacher lapidar unterhalten kann, das ist alles? Das soll diese sagenumwobene neue facebook-Welt sein, von der alle reden?
Aber als ich dann lernte, wie ich mit diesem Kommunikationstool umgehen konnte (Community aufbauen, darin aktiv sein, kommentieren, posten, witzig sein, politisch sein, schön sein, kreativ sein … – dann ging es plötzlich ab und ich hatte diesen Aha-Effekt!
Womit ich tatsächlich wieder zum Ausgangspunkt unserer Debatte zurückkomme.
Das Internet hat die Effizienz des globalen Handels ungemein gesteigert. Unternehmer freuen sich. Aber nebenbei hat es leider auch noch die letzte Bastion der Ineffizienz, nämlich die Freizeit, die Privatsphäre geschliffen und auch den kleinsten Arbeiter zu einem modernen Unternehmer gemacht. Und das – wie absurd – zu einem Unternehmer, der teilweise noch nicht einmal was verdienen will (»ist ja nur Freizeit«) – außer Aufmerksamkeit … Back to intrinsisch …
Habe übrigens endlich die Möglichkeit »die Ökonomie der Aufmerksamkeit« zu lesen. Werde in den nächsten Wochen probieren nach und nach eine Zusammenfassung dieses Essays hier zu veröffentlichen. Es sei denn, du willst es selber lesen …
Und ich glaube du solltest es lesen. Denn das Verständnis des Themas der Ökonomisierung der Aufmerksamkeit und damit der Kommunikation (das Buch ist aus einem kleineren Text über menschliche Kommunikation hervorgegangen – These: »Jede menschliche Kommunikation ist ein Tauschhandel: aufmerksam sein, Aufmerksamkeit erfahren«) ist glaube ich von zentraler Bedeutung für unsere Debatte. Und somit auch für Lösungsansätze, sollten wir denn welche erarbeiten wollen. Denn wenn das Internet ein Kommunikationsnetzwerk ist und in ihm neben dem guten alten Geld Aufmerksamkeit zu einer wichtigen Währung geworden ist (denn schließlich verkehren in ihm mehr Worte als Waren), dann muss sich die Utopie der neuen freien digitalen Gesellschaft auch daran messen lassen, wie sie mit der neuen Währung umgeht. Erkennt die digitale Gesellschaft sie überhaupt an?
Oder, pessimistisch runtergebrochen: Man erträumte sich den Anarchismus und raus kam leider nur eine totalitäre, globale, hocheffiziente Wirtschaft, deren einzige Neuerung es war, auf einer anderen Währung als Geld zu basieren.
Kann eine neue Währung auch eine Chance sein? Hat diese Währung die Kraft, das System, in dem sie zirkuliert, neu zu ordnen? Oder fügt sie sich nahtlos in das Alte ein?
Q
Tiny Daily Networking (zum Thema)
zeit.de