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Tag 3: Joseph Conrad – Jugend (p.42-55)

In alter Seemannsmanier bleibt die Mannschaft auf dem havarierten Schiff und versucht soviel wie möglich von der Ausrüstung des Schiffes zu retten – ‚zur Entlastung des Versicherers‚. Ich weiß nicht ob Conrad die Ehre gebührt als Erster die banale ökonomische Realität der Seeschifffahrt in einer Abenteuergeschiche erwähnt zu haben, aber aus diesem Fakt ein weiteres Abenteuer zu generieren, dies ist ziemlich sicher ein Beweis seiner Virtuosität. Dem Ich-Erzähler wird um ein Haar ein altes Barometer ‚mit einer absurden Menge von Schrauben befestigt‚ zum Verhängnis und der Kapitän ‚wollte ein altes Stück Kette und einen Treibanker mit ins Langboot nehmen. Wir sagten freundlich >Aye, aye, Sir<, und wenn er nicht hinsah, beförderten wir das Zeug über Bord.

Während die Mannschaft im Langboot alles zum Aufbruch klarmacht um dem brennenden Schiff zu entkommen legt sich der Kapitän an Deck auf einer Couch zum Schlafen nieder und die anderen halten ein Picknick mit Starkbier. ‚Die letzte Mahlzeit an Bord‚, anscheinend eine Cousine der Henkersmahlzeit. Auf Drängen des Ich-Erzählers erheben sich schliesslich alle schwerfällig aus der lebensgefährlichen Lethargie und drei Rettungsboote legen ab. Unter seinem Kommando befinden sich ‚eine Tüte Zwieback, ein paar Dosen Fleisch und ein kleines Fass Wasser‚ sowie zwei Männer. Weil der junge Mann aber sein erstes Kommando für sich allein haben will – ‚Jugend! Allmächtige Jugend! Alberne, bezaubernde, herrliche Jugend.‚ – nutzt er nicht nur einen schweren Regenschauer um den anderen davonzusegeln, sondern ignoriert auch noch die Mastspitzen eines rettenden Schiffs in Richtung Europa. Er schwelgt in Gedanken an das ‚wunderbare Bewusstsein der Stärke‚ und die ‚Glut im Herzen, die mit jedem Jahr schwächer glimmt‚, während seine kleine Mannschaft fast krepiert.

Das Schiff stösst schliesslich an eine Mole und der Ich-Erzähler hat zum ersten Mal in seinem Leben Ostindien erreicht. Drei Stunden später trifft das Boot des Kapitäns ein, dicht gefolgt vom dritten Boot. Es folgt noch eine Bonusepisode mit einem Dampferkapitän, die nicht sonderlich zum Gehalt der Erzählung beiträgt, sondern lediglich als eine Art dialektischer Puffer agiert, bevor der Ich-Erzähler zum ersten Mal den Osten bei Tag sieht und bestaunt: ‚den weiten Bogen der Bucht, den glitzernden Sand, die unendliche Vielfalt des üppigen Grüns, das Meer so blau wie das Meer unserer Träume, all die gespannten Gesichter, das Flirren der Farben‚.

So endet die Episode die Marlow den Männern am Mahagonitisch erzählt und dieser versetzt abschliessend: ‚Bei allem, was wunderbar ist – es ist die See, denke ich, die See selbst – oder ist es die Jugend allein? Wer kann das sagen? Ihr hier – ihr habt etwas vom Leben bekommen (…), aber sagt, war das nicht eure beste Zeit, die Zeit, als wir jung und auf See waren (…) ist es nicht das, dem ihr alle nachtrauert?

Joseph Conrad schrammt hier nur um einen Handbreit an einer postmodernen Erzählung über das Seefahrerleben vorbei, lässt aber durch eine gehörige Portion Eigentlichkeitsjargon letztendlich offen, ob er es nicht wirklich so meint, ob die Seefahrt nicht trotz allen Klischees die letzte romantische Bastion des Mannes ist.

Einige der Protagonisten werden wahnsinnig, sind am Ende halbtot und verbrannt, aber der junge Seemann Marlow erlebt dies alles als riesiges, aufregendes Abenteuer und als Privileg der Jugend, obwohl Kapitän und erster Offizier in ähnlicher Weise handeln.

Conrad will in dieser Erzählung offenbar einen Lobgesang auf die Jugend allgemein und auf seine eigene Jugend im Besonderen halten. Da sich bei ihm das Alter (Marlow, die erzählende Romanfigur und Conrads Alter Ego, ist offenbar 44) durch ein erloschenes Feuer, mangelnde Leidenschaft und Kraftlosigkeit äußert, stelle ich mir die Frage, wie das eigentlich ist, mit der Jugend. Ich bin altersmäßig genau in der Mitte zwischen dem älteren und dem jungen Marlow und wenn man die bessere medizinische Versorgung und Ernährung und die besseren Arbeitsbedingungen als reduzierenden Faktor hinzunimmt vielleicht näher am jungen Marlow als am Älteren.

Gegenüber meinen Erfahrungen als Zwanzigjähriger stellen sich mir alle erlebten Veränderungen als positiv dar. Natürlich hatte ich als Zwanzigjähriger mehr Energie, habe aber nur rumgehangen, gefeiert und Musik gesammelt und weiß nun genauer was ich eigentlich will, kann meine Identität schärfer eingrenzen und lebe nicht auf einem emotionalen Minenfeld. Die Besonderheiten meines Lebenslaufs (kein zweiter Offizier auf einem Handelsschiff, sondern Zivildienstleistender in Köln – keine Ostindien-, sondern niederländische Nordseeerfahrungen) geben mir offenbar weniger Anlass meine Jugend zu glorifizieren. Conrad lässt allerdings auch den einen oder anderen Zweifel an der Aufrichtigkeit der Erzählung durchschimmern, die lächerlich oft wiederholten Lobgesänge auf die Jugend wirken überspitzt und zuweilen bitter. Im Großen und Ganzen ist Jugend ein schöner Prolog auf den Roman Lord Jim, den ich leider schon vorher gelesen habe.

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