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Shawn Austin – Extinguisher – Das zweite Kapitel

2. Kapitel: Jonny Stamboli vs. Vinnie Valentino

…und wurde über alle üblen Erwartungen hinaus überrascht. Man hatte doch tatsächlich die gute alte Tradition der Rundennummern schwingenden Playmates beibehalten und abgehalfterte Ex-Soap-Darstellerinnen trugen cellophanbespannte Tafeln durch den Ring. Felix irritierte nicht die übliche spermageladene, aggressive Stimmung der zwischen Industrieschweißern und Bankkaufleuten oszillierenden Klientel, sondern der eher überraschend hohe Anteil an „New Economy“-Männern, die sich doch eigentlich in einer Phantasmagorie zwischen Stretch-Limos und Edelprostituierten bewegen sollten. Und nicht in einem zweitklassigen Boxclub. Aber irgend so etwas musste das ja schon sein was sich diese vermeintlichen Gewinnertypen leisten können. Hauptsache immer die Illusion haben, dass man den eigenen Marketing- und Werbehalluzinationen nicht hinterherhinkte. Die diffusen Glücksversprechungen die diese Lifestylisten rund um die Uhr durch alle Kanäle hinauspusteten gehörten ja zum Wesen des Kapitalismus. Wer würde sich schon 40-50 Stunden in der Woche zum Lohnsklaven machen lassen, wenn er nicht in irgendeiner Traumwelt lebte?

Außerdem mussten die Kommunikationskanäle ja mit irgendeiner Botschaft gefüllt werden. Auf einer Informationsveranstaltung der Gesellschaft für Rundfunkentwicklung hatte mal ein eifriger Alt-Ingenieur die versponnenen Pläne der Programmredaktion erläutert:

Man müsse über das bahnbrechende MXF-Format gewährleisten, dass zukünftig alle Media-Inhalte über Palmtop, Handy, Internet, Videotext, Multimedia-Kioske und Television den Kunden erreichen. Welche Inhalte den Medienkonsumente denn überhaupt so dringend erreichen müssen verschwieg der Technikpionier.

Ist erstmal der Kanal erschaffen wird auch die Nachricht folgen. Forward Ever! Backward Never! Mayday! The Judgement Day!

Was fordert aber ein offener und leerer Kanal, geschaffen von positivistischen Technokraten? Genau! Content! Content um jeden Preis um der Entropie entgegenzuarbeiten. Und genau aus diesem Grund gab es Veranstaltungen von solch erstaunlich existentieller Leere wie diese Wrestling-Veranstaltung, auf der Felix nun gelandet war.

In dem speckigen blauen Boxring, der Wrestling Arena, kämpften gerade zwei Paradiesvögel gegeneinander, die der Leuchttafel zufolge Vinnie Valentino und Jonny Stamboli hießen. Ein verhärmter, schlaksiger Mann schrie dazu unentwegt auf ein altmodisches Kondensatormikrofon ein: „Stamboli beginnt das Match mit einem schönen Superplex über das oberste Seil!“ Einer der beiden Wrestler setzte seinen Gegner auf das oberste Seil des Rings, steckte dessen Kopf unter seinen Arm, stemmte ihn vertikal hoch so dass dieser kerzengrade in der Luft stand und ließ sich selber nach hinten fallen. Der gegnerische Wrestler landete unsanft auf seinem Rücken.

„Es scheint als dominiere Jonny das Match bisher ohne große Gegenwehr. Valentino wagt ein paar schwache Punches. Stamboli rächt sich dafür mit ein paar Clothlines.“

Der Wrestler, der sich wohl Jonny Stamboli nannte, rannte nun mit zur Seite ausgestrecktem Arm auf seinen Gegner zu. Für einen Moment sah es so aus als ob er ihn mit dem Arm am Hals getroffen hätte, doch anscheinend hatte er lediglich den Brustkasten getroffen. Er wiederholte diese Aktion noch zweimal, bis sein Gegner am Boden liegen blieb. „Der Ringrichter zählt einen Two Count. Doch was ist das? Valentino erhebt sich und rächt sich bei Jonny Stamboli mit einem Single-Leg Slam. Stamboli liegt auf dem Boden und was ist das? Valentino setzt zu einem Achilles Tendon Hold an und führt ihn tighter aus als nötig ist.“

Nachdem sich der Kämpfer, bei dem es sich offenbar um Vinnie Valentino handelte, wieder vom Boden erhoben hatte, packte er seinen Gegner bei den Schultern, stellte ein Bein hinter ihm auf und brachte ihn so zu Fall. Danach schmiss er sich selber zu Boden, griff das Bein des am Boden liegenden Wrestlers, wickelte sein gegenüberliegendes Bein darum und spannte seine Oberschenkelmuskeln an. Dann nahm er den Fuß des stöhnenden Kämpfers unter seinen Arm und verdrehte dessen Achillessehne. Felix sah verstört weg. Die Stimme des Kommentators überschlug sich:

„Das war wohl das aus für Jonny Stamboli. Vinnie Valentino hält ihn mit den Schultern auf der Matte. Count! One! Two! Three! Der Gewinner des zweiten Matches heißt: Vinnie Valentino!“


Das Publikum, das zuvor lautstark den Countdown des Ringrichters mitgebrüllt hatte, johlte vor Freude. Nur ein paar vereinzelte Missfallsbekundungen von Leuten, die anscheinend zu den Fans von Jonny Stamboli gehörten, waren zu hören: „Der ist doch auf Gas!“, „Das war ein abgekartetes Spiel, ein Scheiß B-Show Angle!“. Felix wunderte sich wie viel Energie die begeisterten Fans dem Erlernen des einschlägigen Fachjargons widmeten, schienen sie doch sonst größtenteils zu den Menschen zu gehören die einem sofort Blasiertheit oder Arroganz vorwarfen, wenn man mal ein weniger bekanntes Adjektiv benutzte. Verstand man aber das Kauderwelsch dieser rotgesichtigen Steroid-Freaks nicht, wurde man vermutlich sofort des Saales verwiesen. Ihm wurde etwas unwohl zumute und er besorgte sich ein Bier an der spärlich beleuchteten Bar.

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