Pāl saß gelangweilt vor seiner Wellblechhütte und säuberte sich mit seinem Armeemesser die Fingernägel. In der Sonnenglut, die nur von dem wenige Zentimeter überstehenden Dach gemildert wurde, konnte man nicht vielmehr machen, als rauchen, in der Nase bohren und vor sich hin grübeln. Vielleicht nicht mal grübeln. Die Gedanken krochen in dem Tempo durchs Gehirn in dem Ahornsirup in Griesbrei einsinkt und waren von ähnlicher Klarheit.
Von Zeit zu Zeit schaltete Pāl den Fernseher an, der an eine illegal angeflanschten Antenne angeschlossen war, und sah sich bollywoodeske Soaps mit augenschmerzender Farbgestaltung an. In der Hütte selber war es nur nachts auszuhalten, wenn die Steine in der Wüste mit einem trockenen Knall zerbarsten. Zweimal die Woche besuchte ihn ein rot-gelb-grün-lackierter Mercedes-Laster, der Reis, Bohnen, Konservenfleisch, Orangen, Wasser und Zigaretten brachte. Außerdem gab es bei den säkularen Partisanen in den Bergen den selbstgebranntem Schnaps der Kalashi im Tausch gegen Batterien oder Munition. Eigentlich war es Wahnsinn an einem militärischen Checkpoint zu trinken, aber Pāl wusste nicht wie er die langen Nächte sonst überstehen sollte in denen seine Petroleumlampe lange schmale Schatten auf die Wände der Baracke warf. Mit ein paar Gläsern Aprikosenschnaps wurden sie zu einem erotischen Scherenschnitt-Theater. Erst züchtige Turteleien zwischen ihm und seiner Angebeteten Yasira, später Varianten aller sexuellen Spielereien die seine unerfahrene Phantasie hergab.
Auch in dieser Nacht lag Pāl schlaflos auf seinem Feldbett, kalten Schweiß auf der Stirn und heißes verklebtes Sperma auf der rauhen Wollunterwäsche. Die Stille warf ein unheimliches Nicht-Echo in den nahen Bergen. Als er jedoch genau hinhörte nahm er ein feines hochfrequentes Pfeifen war, dass die kühle Nachtluft in zwei Hälften schnitt. Er drehte sich um und versuchte das linke Ohr dicht auf das Feldbett zu pressen. Doch anstatt nachzulassen wurde das Geräusch immer lauter. Ein scharfes, metallisches Etwas sauste durch die Luft. Pāl setzte sich auf und schob die schmutzige Jalousie beiseite. Alles was er sah waren die Reflektionen der Petroleumlampe und sein eigenes verschwitztes Gesicht. Er befeuchtete seine Finger mit Spucke, hob das Glas der Lampe und löschte den schwelenden Docht. Stille. Es sah wieder aus dem Fenster, konnte aber nur die grau-schwarzen Konturen der Bäume vor den pech-schwarzen Silhouetten der Berge erkennen. Er schlüpfte in seine Uniformhose und trat vor die Tür der Wellblechhütte. Lange besah er sich die Sterne und fragte sich, ob er sich das Pfeifen wohl nur eingebildet habe. Gerade als er sich wieder umdrehen und ein letztes Glas Aprikosenschnaps genehmigen wollte, kehrte das Pfeifen in höherer Intensität wieder. Im Freien fiel es ihm leichter das Geräusch zu orten und er erkannte, dass etwas projektilartiges mit abruptem Kurswechseln durch die Luft flog. Nach einiger Zeit konnte er im Geiste die ungefähre Flugroute abschätzen und als er zum dem Punkt sah, an dem er das unbekannte Objekt erwartete, konnte er zwischen den hellen Sternbilder ein kleine rot-gelbe Stichflamme in einer kobaltblauen Aureole erkennen. Der Ausstoss einen Düsentriebwerks.
Spätestens jetzt war er wieder nüchtern. Er sprang in die Baracke, kramte nach dem CB-Funkgerät, riß die Antenne aus dem Fernsehgerät und steckte sie zurück in die Funkanlage. Dann trat er, mit dem Mikrofon in der Hand, soweit vor die Baracke wie es die Kabellänge erlaubt. »Checkpoint Khyber Pass an Hauptquartier – Checkpoint Khyber Pass an HQ, bitte kommen«
Aus dem Lautsprecher in der Baracke war nur weißes Rauschen zu hören. Er duckte sich um mehr von Himmel sehen zu können.
»Checkpoint Khyber Pass an HQ – HQ bitte kommen.«
Wieder keine Antwort, wahrscheinlich schlief der diensthabende Kollege, genau wie er es normalerwiese auch getan hätte. Gerade als er den Funkspruch ein paar Nuancen lauter absetzen wollte, entdeckte er wieder die Stichflamme am Himmel und diesmal flog sie direkt auf ihn zu. Ensetzt ließ er das Mikrofon los, das am überdehnten Kabel zurück in die Baracke flog und warf sich in Erwartung einer Explosion auf den Boden. Das Flugobjekt sauste in einer steilen Trajektorie direkt auf die Baracke zu und produzierte ein scharfes Heulen. Pāl krabbelte so gut es ging in Deckung, schützte seine Eingeweide mit den Beinen und zuckte heftig zusammen, als der Himmelskörper mit einem ohrenbetäubendem Scheppern, aber ohne Explosion dreißig oder vierzig Meter entfernt auf den Steinboden aufschlug.
Nachdem er den Schock einigermaßen überwunden und sich den trockenen Staub aus dem Gesicht gewaschen hatte, den das abstürzende Flugobjekt aufgewirbelt hatte, fasste sich Pāl ein Herz, schnallte sich sein Maschinengewehr auf den Rücken und lief geduckt zur Absturzstelle.
In einem Umkreis von ein paar Meter um das Objekt wurde es unerträglich heiß. Das Düsentriebwerk war noch aktiv und verbrannte den übrigen Treibstoff in einer orangenen Glut.
Der Rumpf des Miniflugzeugs, als das Pāl das Absturzobjekt jetzt erkannte, war war entzweigebrochen, die Tragflächen und Räder standen in komischen Winkeln ab, wie die Gliedmaßen die bei einer Comicschlägerei aus der Rauchwolke herausragten. Den Absturz konnte niemand überlebt haben. Pāl ging um das Wrack herum zu der Stelle, an der er das Cockpit vermutete. Das verbeulte, aber dennoch halbwegs erkennbare Vorderteil des Wrack ging ihm höchstens bis zu Hüfte. Das war kein bemanntes Flugzeug, sondern eine von diesen Drohnen, mit denen das FSA-Militär die Region überflog. Einen Moment lang war Pāl starr vor Schreck. Wie weit konnten diese Dinger von der Basis wegfliegen? Waren irgendwo Bodentruppen in der Nähe? Würden sie sich das Ding holen kommen? Er hatte weder Lust auf diplomatische Verwicklungen noch darauf von einem Snipergewehr als lästiger Zeuge erledigt zu werden.
Hinter ein paar Felsbrocken fand er provisorische Deckung und zündete sich erstmal eine Gold Flake an, ohne darüber nachzudenken, dass er für etwaige Sniper nun ein ideales Ziel war. Er dachte nach. Die Technik in der Drohne musste für das Hauptquartier unglaublich wertvoll sein. Als legitimem Entdecker sprangen für ihn ein kumpelhafes Schulterklopfen vom zuständigen Sergeant und eventuell ein paar Tage Sonderurlaub heraus. Bei den Partisanen, die den Absturz zweifelsohne auch beobachtet hatten, erwarteten ihn entweder ein paar Schüsse in den Rücken oder ein paar wertvolle Versorgungskontakte. Während er so über seine Optionen sinnierte brannte das Triebwerk der Drohne langsam aus. Irgendwo musste ein Treibstoffleck sein und Pāl konnte von Glück sprechen, dass ihm das Ding nicht plötzlich um die Ohren geflogen war und er den Rest seines Lebens mit einem Schrapnell im Bein als Lagerfeuerheld verbringen musste. Geduckt hastete er zur Baracke und kramte in seinem provisorischen Werkzeugkoffer. Eine lange Rohrzange, ein kleiner Hammer und ein angerosteter Meißel, genug um dem himmlischen Fundstück etwas zu Leibe zu rücken. Nach einigem Hämmern, biegen und ziehen war er sich sicher, dass im Rumpf der Drohne nichts wichtiges zu finden war, also machte er sich als nächstes an das Cockpit. Hier war einiges zerstört worden.
Ein paar verkohlte Leiterplatten, noch leicht warme Antennen und dicke dreifach isolierte Kabelstrecken machten wenig Mut in diesem High-Tech-Schrott etwas Wichtiges zu finden. Dennoch werkelte Pāl, dessen Neugier mittlerweile größer war als die Angst attackiert zu werden, munter weiter, bis er auf einen irreduziblen Teil des Cockpits stieß.
Mit vier daumendicken Nieten war eine rote Box aus einem glatten Material an die Außenwand der Drohen befestigt worden, die keinen Kratzer abbekommen zu haben schien. Auf der Seite waren weiße Querstreifen und fünf Wörter in großen lateinischen Buchstaben aufgemalt, die Pāl nicht lesen konnte, aber für Englisch hielt. Da dies das einzige Teil war, dass einen erkennbaren Sinn zu haben schien, hämmerte er mit dem Meißel solange auf die Bodenplatte der Box ein, bis sich eine Niete nach der anderen von der Außenwand lösten. Dann zog er den einige Kilo schweren Behälter aus dem verbeulten Wrack, ließ es noch einen Moment abkühlen und schleppte ihn zur Baracke. Dort angekommen hiefte er die Box auf das Dach und versteckte sie zwischen einem Karton mit Stacheldraht, ein paar Treibstoffkanistern und zwei zerbeulten Fahrzeugsperren, die dort verstaut waren. Als er sicher war, dass sie bei oberflächlicher Betrachtung nicht zu entdecken war, kroch er in sein Feldbett, schloss die Augen und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Inschallah!