Artikel
0 Kommentare

Buchtipp: Markus Liske / Manja Präkels (Hg.) – Vorsicht Volk! (Verbrecher Verlag)

Rechtzeitig zum 25ten Jubiläum der »Wiedervereinigung« (auf twitter fragte zu recht jemand, ob das Wort nicht längst in die Floskelwolke gehört) erscheint im Verbrecher Verlag der Sammelband Vorsicht Volk!.
1563_L
Die Herausgeber_innen haben sich vorgenommen die »wahnhaften« Bürgerbewegungen um »Pegida, HoGeSa, Montagsmahnwachen, Reichsbürger oder Friedenswinter« unter die Lupe zu nehmen und stellen die Frage was hinter deren gemeinsamen Schlachtruf »Wir sind das Volk!« steckt.

»’Wir sind das Volk!‘ Stimmt das? Sind sie ‚das Volk‘? Und wenn ja: Was genau will dieses Volk?«

Die Ansätze in dem Buch sind begrüßenswert vielfältig, durchaus auch von unterschiedlicher Qualität. Die Fragen, die ich mir vor der Lektüre im Umkehrverfahren stellte, waren Folgende:

Ist das Buch anschlußfähig? An wen ist es gerichtet? Ist es eine wissenschaftlich-soziologisch-historische Untersuchung? Oder die Meinung einer vergleichsweise kleinen Gruppe von linken Publizist_innen und Aktivist_innen (zu deren Sympathisanten ich – offen gesagt – gehöre)?
Ist es »preaching to the converted«? Eine Art Psychotherapie für Menschen die zu lange unter dem Getöse der Wutbürger gelitten haben?

Um die Frage gleich zu Beginn zu beantworten: Das Buch ist biased! Die Autor_innen sind z.T. zu Recht verärgert über den neuen Rechtsruck im Land, die wahnhafte, irrationale und hermetische Argumentationslinie der »besorgten Bürger_innen«, ihre merkwürdigen Feindbilder und die anti-demokratische, anti-pluralistische und anti-elitäre Grundhaltung (1). Aber für die politischen Gegner dürfte das Buch als linke Propaganda von hoffnungslosen »Gutmenschen« eingeordnet werden. Es ist nur schwer vorstellbar, dass das Buch zu einer offenen gesellschaftliche Diskussion beiträgt. Vielmehr scheint es, als verhärteten sich die Blöcke innerhalb der Gesellschaft. Doch zunächst genauer zum Inhalt …

Führergrüße zwischen rofl und lol

Insgesamt wehren sich die Autor_innen gegen die Unterstellung, man habe es bei dem o.g. Phänomen mit einer schrägen Randgruppe von Internetspinnern, Sachsen oder Provinzlern zu tun, die keine Berührung zur »Mitte der Gesellschaft« hat. So schreibt Patrick Gensing in »Die Armee der Forentrolle«:

»Viele etablierte Medien halten sich Blogger oder Kolumnenschreiber als rechtskonservative Wadenbeißer; lauthals beklagen diese, dass sie nicht mehr allein bestimmen können sollen, wer wie genannt und behandelt wird. Überall lauert die Political Correctness, terrorisiert den kleinen Mann; Frauen, Juden, Muslime, Behinderte, Schwule – auf alles soll man plötzlich Rücksicht nehmen.« (2)

Und die rhetorische Figur des »normalen« oder »kleinen« Mannes bzw. Bürgers, dem zuviel Toleranz, Verständnis und Willkommenskultur nicht zugemutet werden dürfe, ist allgegenwärtig.

»Demokratie bedeutet ihrem Verständnis nach, immer den Willen der ’normalen‘ Mehrheit (also den eigenen) durchzusetzen – Minderheitenrechte und Kompromisse sind bestenfalls egal.«

Laut Gensing erleben wir mit Pegida und Co. »(…) die Wiederkehr der nationalistischen Antidemokraten, die sich nicht mehr mit der komplizierten Welt auseinandersetzen wollen.«

Der Frage aus welchem Geiste die »unideologischen« Pegidisten und »Lügenpresse«-Schreier eigentlich kommen, bzw. wo sie ihre gedankliche Heimat haben, geht Harald Dipper in seinem Beitrag »Das große Geheimnis« nach. Warum haben diese Menschen, linker wie rechter Herkunft, »keinerlei Widerstandskräfte gegen verschwörungstheoretisches Gaga (…) ?«, fragt er mit Hinblick auf die Klientel von Ken Jebsen, Jürgen Elsässer und Pedram Shahyar.

»Dafür gibt es zwar keine monokausale Erklärung, verschiedende Erklärungsansätze aber doch. Drei der wichtigsten scheinen mir diese zu sein: die Informationsbeschaffung über das Internet, hedonistischer Anti-Intellektualismus und das Fehlen konkreter ideologischer Gerüste.«

Als Ex-Pirat dürfte die ideologische Ausdifferenzierung der Piraten u.a. nach dem #Bombergate für Dipper sehr schmerzhaft gewesen sein …

Frontverläufe

So verschiedenfarbig die Einflüsse der neuen Bürgerbewegungen sind, eint sie doch – so arbeitet es Ivo Bozic in »Die Querfront als weltpolitisches Phänomen« heraus – die Begeisterung für den großen Mann aus Russland:

»Freunde Putins finden sich in der Linkspartei, bei der Jungen Welt und beim Friedenswinter – ebenso wie bei der AfD, der NPD, der FPÖ, dem französischen Front National, der griechischen Goldenen Morgenröte, der ungarischen Jobbik, der italienischen Lega Nord, dem belgischen Vlaams Belang und weiteren rechtsextremen europäischen Gruppierungen.«

Grund hierfür, so Bozic, sei u.a. die chamäleonartige PR-Strategie des Präsidenten.
»Den rechten präsentiert Putin sich als starker Mann, der sich von niemandem etwas bieten lässt, für die Linken gibt er den vom Imperialismus Bedrohten, der in Notwehr handelt.«
Umso absurder dürfte die Parteinahme für Putin und die Begeisterung für den Dada-Sender Russia Today sein, da sich Themen wie Minderheitenrechte und emanzipative Politik hier nicht mal mit der Lupe finden lassen. Eher verbreitet Putins Chefideologe Alexander Dugin zynische, vermeintliche postmoderne (aber in Wahrheit reaktionäre) Konzepte à la »Es gibt keine universellen Werte«.
Ivo Bozic stellt gegen Ende seines Textes ernüchtert fest:

»Die Parteinahme für Russland stellt daher einen Rückfall noch hinter den obskurantistischen Antiimperialismus der Epoche des Kalten Krieges dar.«

Apropos Krieg: Teile der »wahnhaften« Bürgerbewegungen treten (trotz oder gerade wegen großer Putin-Begeisterung) als »neue Friedensbewegung« auf. Klaus Lederer berichtet in diesem Zusammenhang von den Mahnwachen, auf denen vor allem im Jahre 2014 allerhand obskures gesichtet wurde:

»Wortführer wie Lars Märholz und Ken Jebsen, aber auch viele Mahnwachen-Redner propagieren den Besitz der Wahrheit über die Welt, ihre Beschaffenheit und die Ursachen ihrer Konflikte, die von den Medien – ferngesteuerten, Lügen produzierenden Herrschaftsinstrumenten – unterdrückt und verhüllt würden.«

Die Mahnwachen hätten sich zwar verbal von rechtsextremen und nationalistischen Positionen abgegrenzt, aber an »die Stelle von Kapitalismusanalyse tritt ‚Kapitalistenkritik‘, aus der Kritik an kapitalistischen Verhältnissen, Militarismus und reaktionärer Politik wird die Kritik an ‚den Bankern, die das Volk aussaugen‘.« Dies, so Lederer, biete ein großes »Potential für autoritäre, antidemokratische und inhumane Weltbilder und Bewegungsformen (…).«

Geflüchtet zu Vertriebenen

Andere Beiträge im Buch gehen das Thema historisch an und untersuchen Strukturen, die das Auftreten der kritisierten Bewegungen begünstigt bzw. verursacht haben. Die Herausgeberin Manja Präkels erinnert in »Die Eingeborenen« mit klaren Worten an die Ereignisse in den frühen Neunzigern:

»Frustrierte Männer jagten, verfolgten, erniedrigten, teils aus Wut, im Suff oder aus Langeweile. Vorwärts. Gegen Neger, Juden, Asoziale, Schwule, gegen das Zeckenpack, das nicht gehorchen wollte. (3) Häuser brannten lichterloh. (…) Die darauffolgende faktische Abschaffung des Asylrechts war so kalkuliert wie exemplarisch: Eine Generation von Brandstiftern, der Lynchmob, ging Fahnen schwingend als Sieger aus dieser Schlacht hervor.«

Zurück zum Anfang

Vieles in dem Buch habe ich mit großer Genugtuung gelesen, da es für mich die oben erwähnte Funktion einer »Psychotherapie« hatte. Es war für mich erleichternd zu lesen, dass auch für Andere die derzeitigen Zustände äußerst bedrückend und besorgniserregend sind. Aber ein Beitrag zu einem gesellschaftlichen Kompromiss oder Grundlage für ein verständigendes Gespräch ist das Buch sicher nicht. Will es vermutlich auch nicht sein. Aber darf es bei einem Buch wie diesem bei bloßer Genugtuung bleiben?

Als besonders problematisch habe ich u.a. die Beiträge von Kerstin Köditz, Jutta Dithfurth und (dem sonst hochgeschätzten) Stefan Gärtner empfunden:

Kerstin Köditz schreibt über die rechtskonservativen bis offen rechten Umtriebe im sächsischen Landtag, leider ohne einen einzigen Beleg. Ich nehme an die Autorin hat Belege für Ihre Behauptungen, aber gerade wenn es konkret wird, würde ich doch gerne – auch gerade in Abgrenzung zu den kritisierten irrationalen Aluhüten – Quellen lesen können. Auch an anderen Stellen im Buch hätte ich mir Quellenangaben gewünscht. Dass das Buch ganz ohne diese auskommt, unterstreicht den Eindruck, es handele sich bei dieser Textsammlung um eine Art schriftlichen Fehdehandschuh.

Jutta Dithfurth kritisiert den Vizekanzler Sigmar Gabriel (an dem man viel kritisieren kann) in einer Weise, die mir doch eher haarspalterisch vorkommt. Dass die meisten Bundesbürger gute Deutsche sein wollen und ein Vizekanzler diese auch als solche adressiert, scheint mir doch ein eher vernachlässigbarer Tatbestand zu sein.

Stefan Gärtner verfährt ähnlich mit Joachim Gauck (an dem man ebenfalls vieles kritisieren kann) und wirft ihm mit harten Worten vor den grausamen Gaskammertod von jüdischen Familien als sittliche Identitätsbildung der Deutschen zu benutzen. Finde ich ebenfalls nicht nachvollziehbar bzw. zu krass angesetzt.

Fazit:

Ich empfehle das Buch für alle die von den Umtrieben der als wahnhaft benannten Akteure und »neuen Bürgerbewegungen« beunruhigt oder genervt sind. Es dient wunderbar als Selbstversicherung, Agressionsabbau und innerer Ausdifferenzierung des diffusen Mobs. Auch finden sich viele Erklärungsansätze aus verschiedenen Fachbereichen, die die gesellschaftlichen Entwicklungen kontextualisieren und fassbar machen.
Aber das Buch muss sich auch die Frage stellen, die Anselm Nelft in seinem Beitrag »Drinnen, draußen, voll daneben« formuliert:

»Wie moralisch verhalte ich mich gegenüber den Unmoralischen, vor allem wenn ich mich von ihnen bedroht fühle?«

Dieser Text am Schluss des Buches ist übrigens gleichzeitig das Highlight. In wenigen Sätzen, die ich hiermit ebenfalls an den Schluss stelle, entlarvt er das stereotype Muster jeder rassistischen, antisemitischen, anti-intellektuellen, fremdenfeindlichen (Volks)erzählung:

»Ein Drinnen wird von einem aggressiven, minderwertigen Draußen bedroht. Eine Versöhnung ist nicht denkbar. Ein heldenhafter Kampf muss nicht nur gegen die anbrandenden Horden von Eindringlingen ausgefochten werden, sondern auch gegen die jede Kampfkraft zersetzenden Schwächlinge in den eigenen Reihen. Endziel des Kampfes ist die Rückkehr in ein ursprüngliches, geeintes Reich der Reinheit, aus dem aller Schmutz beseitigt ist.«

Die Bestseller-Autoren Sarazzin und Pirinçci lassen grüßen!

Fußnoten:

(1) Übrigens genau die Eigenschaften die Jan-Werner Müller in Merkur #795 als wesentlich für die Definition des vielgebrauchten Wortes »Populismus« ausgemacht hat.

(2) Die eigentliche Frage, die mich schon seit Jahren umtreibt, wird nicht direkt angesprochen, doch meine ich die Antwort schon an anderer Stelle gefunden zu haben. Die Frage ist: Wie kann es sein, dass die Pegidisten und Wutbürger und Aluhüte gerade in unserer Regierung (und in der sie sekundierenden Presse) ein linkes Mainstreaming sehen? In einer Regierung die vorbildlich das neoliberale Programm exekutiert und Waffen in alle Welt exportiert?
Nun es wird daran liegen, dass eine moderne Regierung viele Gesichter hat. Es reicht mithin die Ressorts Militär, Justiz und Finanzen mit erzkonservativen Haudegen zu besetzen und die anderen Ressorts mit milde liberalen Pappkameraden auszustaffieren. Dann kann der Staat auf Bürger von Rechtsaußen liberal und »gender-mainstreamig« wirken, die bpd für linksliberale Positionen werben und der politische Mainstream doch kompromisslose Hegemonialpolitik betreiben. Dass das für die neue Rechte zu wenig ist, heisst noch lange nicht, dass das Links ist.

(3) Vgl. hierzu die Äußerungen von Thomas de Maizière im September 2015 (Link)

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.