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Und nun … die Nachrichten!

Mitunter kommt es auch in ordentlichen Demokratien vor, dass dem jeweiligen politischen Gegner der Vorwurf gemacht wird er sei „ideologisch verblendet“. Ideologie, die sonst nur in nichtsäkularisierten „Axis of Evil“-Staaten oder diktatorischen Regimen existiert, wird plötzlich als wirksame Diskussionskeule hervorgekramt um unliebsame Ansichten aus der Diskussion auszuklammern.

Zum brillianten Einfall Gepäck und Personalien auch von deutschen Zugreisenden schärfer zu kontrollieren um terroristischen Attentaten, wie etwa dem in Spanien in der vergangene Woche, vorzubeugen, äüßerte sich Hartmut Koschyk, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, etwa so:

„Innere und äußere Sicherheit lassen sich nicht mehr trennen, auch wenn Rot-Grün das aus ideologischen Gründen nicht einsehen will.“

Abgesehen von der durchaus üblichen (und statistisch sinnlosen) Dummbeutelei immer genau das Überwachen und Kontrollieren zu wollen was gerade erst in die Luft geflogen ist, wähnt sich der Redner hier als Vertreter des gesunden Menschenverstands und als Verteidiger gegen ideologische Querschläger die nicht einsehen wollen das potentiell jeder ein brutaler Terrorist sein kann. Auch die paar Richter die in der vorigen Woche ein Sondervotum gegen die geplante Änderung des Artikel 13 Absatz 3 des Grundgesetzes – auch als Gro?er Lauschangriff bekannt – einlegten, und damit bewiesen dass sie noch erstaunlich viele Tassen im Schrank haben, faden sich urplötzlich dem Vorwurf ausgesetzt weltfremde Ideologen zu sein. Dabei hatten sie lediglich laut nachgedacht:

„Wenn aber selbst die persönliche Intimsphäre, manifestiert in den eigenen vier Wänden, kein Tabu mehr ist, vor dem das Sicherheitsbedürfnis Halt zu machen hat, stellt sich auch verfassungsrechtlich die Frage, ob das Menschenbild, das eine solche Vorgehensweise erzeugt, noch einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie entspricht.“

Ja sie alle, der als wirtschaftsnaher Macher sich verstehende Olaf Henkel und die braune Suppe aus rechtskonservativen Hilfssheriffs und die Möchtegernspionen im Innenministerium sind jedem Ideologievorwurf so fern wie nur was. Ob sie wissen dass sie als aufgeklärte und freiheitlich-demokratisch denkende Menschen, die der dogmatischen Ideologie ihren gesunden Menschenverstand entgegensetzen, in allzu schlechter Gesellschaft sind ?
Auch Goebbels versuchte Einsteins Physik als jüdische Kabbalistik und Zahlenspielerei zu diskreditieren, nicht ohne zu erwähnen das jede ordentliche Physik dem gesunden Menschenverstand nachvollziehbar zu sein hätte.

Ideologie

Die sich als wertfrei und politisch-neutral gerierenden Tageszeitungen, die jeden auch nur harmlosesten Zweifel an beispielsweise den Ereignissen des 11.9.2001 verschweigen, der autoriär seriös daherkommende Ulrich Wickert der allabendlich im ARD „Die Wahrheit“ präsentiert oder die neoliberalen Jünger die jeden Sachzwang sofort erkennen und durch forsche Anpacken organisieren wollen – sie sind die eigentlichen Ideologen. Sie erkennen ihr Modelle des „gesunden Menschenverstandes“ und der „neutralen Berichterstattung“ nicht als die Konstruktionen, die sie zweifelsfrei sind.

Und wer sich als solchermassen ideologiefrei empfindet und daraus die ultimativen Legitimation für sein Denken und Handeln ableitet, glaubt mir, der ist tausendmal gefährlicher als die vielen zweifelnden und hoffenden Menschen die Wissen das es keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen gibt …

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Die André Rieu-Mimesis

Der Tag fing ja schon Scheiße an mit der bierseligen Eröffnung dieses Weblogs und den damit verbundenen Schwierigkeiten. Aber dann in der TV-Show „Willkommen bei Carmen Nebel“ (einer mir im Übrigen bis dato vollkommen unbekannten Promi-Schnackse, die aber unterschwellig so wirkt als sei sie immer schon ZDF-Aktenkundig) als krönenden Abschluss einen Auftritt von André Rieu serviert zu bekommen (der übrigens in den Papp-Aufstellern einschlägiger WOM-Filialen immer noch lebensechter aussieht als sein blutleeres Altherren-Mucker TV-Icon) geht eindeutig zuweit!

Nicht etwa der Umstand, dass der von einem circa 23köpfigen Backing-Philharmonieorchester begleitete Fiedler eine „Kalinka“-Coverversion dreist mitperformend als eigenen Komposition ausgab – in der im Übrigen gar keine Streicher-Sektion zu hören war, geschweige denn ein Geigen-Soli – hat mich verstört, sondern vielmehr die Tatsache dass es etwa zwei Dutzend Musikstudenten in Magdeburg zu geben scheint, denen es nicht zu blöd ist sich als Fake-Orchester bei einem Mainstream-Oma-Geiger anzudienen.

Aber mit Adornos ästhetischer Theorie braucht man an Magdeburger Konservatorium wohl keinem Studenten zu kommen, der wahrscheinlich eh damit beschäftigt ist von einem Engagement als Synthimucker in einem Andrew Lloyd Webber-Musical zu träumen.

Oder aber es waren einfach nur begabte Hostessen die in einer Sonderschulung gelernt haben zu synthetischer Playback-Mucke scheinsynchron Geigenbögen und Oboen zu schwingen. Allein der Umstand das der Name der Moderatorin (Carmen Nebel) augenzwinkernd-sarkastisch auf die Wesenhaftigkeit dieser kulturelle Nebelgranate verweist rettet die Sendung in den Schutz der uneigentlichen Postmoderne.

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Cultural Mission Failed!

Es ist soweit, endlich ein Weblog eingerichtet, endlich dabei in der öffentlichen Diskussion. Endlich gehört werden, endlich die Ordnung des Diskurses neu bestimmen. Leider ist die Computer-Maus in meiner Exil-Wohnung in Köln-Kalk soweit kaputt, dass jede Navigation sich zu einer enervierenden Geduldsprobe entwickelt.
Es wird nichts helfen ich muss in den widerlichen Kaufhof auf der Kalker Hauptstrasse mit der kakerlakenverwanzten und stinkenden Lebensmittelabteilung und schnell ’ne neue Maus kaufen. 5 Euro macht das! Die Verkäuferin sortiert aber lieber erstmal 1-Cent-Münzene in die Kasse und ignoriert mich, vermutlich aufgrund der Tatsache dass ich keine sog. Payback- oder Kaufhof-Visa-Karte besitze. Die scheint hier in diesem Kölner Elendsviertel außer mir jeder zu besitzen.
Jetzt wo ich schon mal an der frischen Luft bin gehe ich noch kurz zum Edeka um Bier zu kaufen.

Als ich so sinnierend vor dem Bierregal stehe, stürzt sich aus nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen eine Flasche Gilden Kölsch aus dem Regal neben mich auf den Boden.

Entgegen aller Schwerkraftgesetze bin ich von der Hüfte abwärts mit Bier getränkt, obwohl die Flasche auf dem Boden zerschellte und ich gut und gerne 1,94 Meter groß bin.
Der flugs herbeigeeilte Verkäufer – von dem ich eigentlich wenigstens die Kostenübernahme für die Reinigung meiner Hose erwartet hätte – sagte: „Keine Sorge. Sie müssen das nicht bezahlen!“ – Na prima!

Die Gesetzeslage scheint die Konsequenzen eines solchen Zwischenfalls allerdings in das Ermessen des Azubis zu stellen, da zwei Tage zuvor ein osteuropäisch anmutender Kunde der eine Weinflasche fallen ließ vom Regalbestücker derart angeschnauzt wurde, die Flasche müsse er jetzt aber bezahlen. Wie ist denn das eigentlich? Egal, schnell zurück in die warme Wohnung und sozialkritisch gedachte Weblogs verfassen …

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Agonie des Realen: Big Brother – Die 2. Staffel

Selbstverortung:
Im Februar diesen Jahres, als die ersten Medienwellen über „Big Brother“ durch den Äther spülten, nahm ich mir sofort vor, diese Sendung nie einzuschalten. Nicht etwa aufgrund alberner Fernsehkonsumkontrollängste à la „Ich habe mal kurz zu Tutti Frutti gezappt“, vielmehr aus Angst vor der Dreistigkeit, mit der die Produzenten die Schreckensvision des Orwellschen Big Brothers aushöhlen, indem sie es zum Symbol einer Fernsehshow machten. Doch nach schleichendem Beginn der Serie erlag ich zunehmend der Faszination eines vollkommen von Kameras kontrollierten (künstlichen) Lebens. Die Frage stellte sich mir, inwieweit die Protagonisten noch ein normales Leben führen können, und wie das Experiment wohl ohne Kameras aussehen würde. Extreme Fernsehshows dieser Art kannte man ja höchstens aus „Dr.Who“-Folgen oder bitterböser Medienkritik-Science-Fiction. Und das alles ließen Die Teilnehmer für „nur“ 250.000 DM mit sich geschehen – ein Viertel des Gewinns einer anderen bekannten Quizshow Nach 2 Wochen entwickelte ich mich zum „Big Brother“ Kenner, führte meine eigenen Warnungen ad absurdum und diskutierte heftig mit, über das Leben von John, Andrea, Zlatko und Co. Zumal mir auch die Kritiker immer weiter auf die Eier gingen, die den Quoten nur in die Hände spielen … Subersive Affimation?

1. Zwischenspiel:
Gegen Ende der ersten Staffel, als „Die Bewohner“ mit dem Hit Großer Bruder in den Charts auftauchten, mit einem Text ähnlich „Du bist mein großer Bruder, du bist immer da … „, beschlich mich plötzlich die Paranoia, hier ginge es nicht nur um Einschaltquoten, sondern die Big Brother-Macher wollten quasi schunkelnderweise schon mal Einstimmen auf die Realität totaler Überwachung. Eben genau durch die Behauptungen der Bewohner, daß alles sei ja gar nicht so schlimm und die Entwertung des Schreckensymbols des Big Brother. (Zur Erinnerung: Der Orwellsche Big Brother war das Medium eines totalitären Staates, das seine Bewohner mit Ideologie zuspülte, und sie gleichzeitig per Rückkanal überwachte.) Doch sei hier erstmal Schluß mit der Paranoia.

Big Brother- Realität:

Nach längerer Zeit entwickelte sich das todgesendete Format zu „einem minimalem tatsächlichen Ereignis (in einem) ein maximales Echo erzeugendem Hallraum“.

Meint hier die Zeitungen, die Sensationsmeldungen und „geheime“ Fakten veröffentlichten, die Prominentenbesuche im Container, die ausgekoppelte Charthits der Ex-Bewohner und so weiter … Anscheinend hatten die Caster nicht genügend Konfliktpotential eingebaut, und das Containerleben entwickelte sich recht friedlich und ereignislos.
(Zynisch wie Percy Hoven zugab, Zlatko sei als „ey, alter wasn los“-Baustein ausgesucht worden, und hätte sich dann als Star entpuppt) Schnell war dann auch das Ende der Serie erreicht, und es begann die übliche mediale Resteverwertung … Dienst nach Vorschrift.

Die zweite Staffel:
Man hatte dazugelernt. Eine große Show veranstaltet, Stars auftreten lassen, Fans sind nach Hürth eingeladen worden … quasi die kapitalistische Variante von „der Masse eine Begriff von sich selber geben“. Auch die Bewohner sind jetzt 12 an der Zahl und aus sämtlichen verfügbaren Klischees rausgemorpht worden. Das simulierte Leben kann weitergehen. Und: Die ersten Schäden die die Big Brother-Welle auslösen wird, sind zu spüren … Die Bewohner verhalten sich nicht nur in erster Ordnung künstlich wie im ersten Teil („Bloß bei allen beliebt sein, damit man nicht nominiert wird“), sondern beziehen die zweite Ordnung, d.h. die Zuschauer mit in ihre Kalkulation ein. So wird beispielsweise Karim vorgeworfen, er wolle bei den Zuschauer als „der Liebe“ ankommen, nur weil er die völlig fertige Marion tröstet.

Dieses Mißtrauen seinen engsten Umgebenden gegenüber, zugunsten eines antizipierten Zuschauers, ist wohl schon fast eine Psychose, die den gegeben Realitäten ein herrschendes Über-Ich entgegenstellt: Den allmächtigen Zuschauer

Der Zuschauer:
Selber kann der Zuschauer (dank der Cleverness von rtl2) jetzt mitbestimmen, wer nominiert wird (faktisch hat die Stimme aber eher symbolischen Charakter). Er hat Einfluß auf das Handeln der Protagonisten und vergißt damit netterweise die gegebenen Realitäten. Sein Feedback ist folgendermaßen zubewerten:

2.Zwischenspiel:
„In der Sphäre der Medien (der der Zuschauer ausgesetzt ist) wird zwar gesprochen, aber so, daß nirgends darauf geantwortet werden kann. Unnötig sich das Fernsehen als Periskop vorzustellen, mit dem das Regime im Privatleben eines jeden herumspioniert, denn es ist vielmehr als das, das Fernsehen ist, daß die Leute nicht mehr miteinander reden, dass sie angesichts einer Rede ohne Antwort endgültig isoliert sind.“ Paranoia also nicht nur in zukünftigen Schreckensvisionen à la Orwell, sondern eher in der Alltagswelt.

Fazit:
Hört auf, euch über diesen Quatsch zu unterhalten, „Big Brother“ dient nur drei Zwecken

– der Quotenmaximierung bei geringsten Produktionskosten, um Werbung zu lancieren
– der Verschleierung der steigenden Überwachung öffentlicher Plätze, Automaten, Bahnhöfen, Supermärkten bzw. die Verharmlosung dessen
– der Eliminierung sozialer Kontakte die über Medienreflektion hinausgehen

Über die popkulturellen Implikationen der Serie, die ihre Faszination ausmachen, hier ein andermal.

(Alle in Anführungszeichen gestellte Zitate enstammen Jean Baudrillard „Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen“ )