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Re: Sirenen (die Debatte formerly known as: Intrinsisches Entertainment)

@rumpusQ – 25.03.15 – 12:14 Uhr

Hi!
Diesmal nur 35 Stunden Kontemplation über deine Antwort 🙂
Meine dystopische Vision von solipsistischen Netzteilnehmern die in Spiegelkabinetten fechten ist ja wohl erstmal wieder vom Tisch, oder?
Gut, ich werde vielleicht später nochmal darauf zurückgreifen die Gewalt der Debordschen Philosophie in die Debatte einzubringen. Hätte er sich nicht 1994 das Leben genommen, hätten wir ihn ja vielleicht auch noch als Kolumnist in Paris Match oder als Blogger erlebt …

Aber die Unterthemen

    – Warum machen wir das? (Antwort: Wir sind – aus Gründen – Narzissten und die technische Struktur unterstützt und schmeichelt uns da.)
    – Wer profitiert davon? (Antwort: Die Sirenenserver)

sind fürs Erste abgehakt.

Um deine Fragestellung »Sind die Sirenenserver ein kategorisch neues Phänomen?« (Antwort: Nein!) zu untersuchen, nochmal zurück zur Begriffsklärung:

Aufgetaucht ist der Begriff zuerst in dem Buch Wem gehört die Zukunft? von Jaron Lanier:

»Sirenenserver nennt Lanier die Serverfarmen der Internetunternehmen, da sie – wie die Sirenen bei Odysseus – durchs Netz streifende User durch betörenden Gesang anlocken, um ihre Daten abzugreifen.«

Nun ist Begriffsarbeit nicht wirklich die Stärke des Internetphilosophen, aber wenn er schon Sirenen sagt, dann muss ich doch mal nachgucken, was das genau bedeutet.

Was sind eigentlich Sirenen?
»Dieses sind sangreiche Nymphen, die jedermann bezaubern, der auf ihr Lied horcht.«, übersetzt Gustav Schwab die Homersche Odyssee in »Sagen des klassischen Altertums«. Laut Homers Überlieferung der Sirenensage locken die Sirenen Seefahrer nicht nur durch ihre bezaubernde Stimme an, sondern vor allem durch ihre Fähigkeit, alles auf Erden Geschehende zu wissen und offenbaren zu können:

»Denn wir wissen dir alles (…) was irgend geschah auf der vielernährenden Erde.« Folgten die Seeleute ihnen auf die Insel, waren sie verloren und starben, vielleicht aufgezehrt vom Zuhören, ein Opfer ihrer Neugier.

Auch interessant: Als die Argonauten in die Nähe der Sirenen-Insel kamen, konnte Orpheus ihren Gesang mit seiner Leier übertönen: »Auch jetzt sangen sie den Argonauten die schönsten Lieder zu, und schon waren diese im Begriffe, die Taue nach dem Ufer zu werfen und anzulegen, als der thrakische Sänger Orpheus sich von seinem Sitze erhob und seine göttliche Leier so mächtig zu schlagen begann, daß sie die Stimmen der Jungfrauen übertönte;«

Und:
Laut Hyginus konnten sie nur so lange leben, wie sie imstande waren, jeden vorbeifahrenden Seemann durch ihren Gesang zu verlocken und so dessen Untergang zu bewirken. Nachdem sie an Odysseus gescheitert waren, stürzten sie sich ins Meer und starben.

Klar ist also: Ohne die Zuhörer (oder in unserem Fall die prosumierenden Netzwerkteilnehmer) sind die Sirenen nüscht wert. Außerdem kann man sie übertönen, wenn man laut genug die Harfe spielt. Laniers Vergleich hinkt nur in dem Punkt, dass die Sirenen nicht gerade zum Mitmachen einladen.

Max Horkheimer und Theodoro Adorno sehen die List des Odysseus als klassischen Fall einer beschränkten Rationalität:

»Es ist unmöglich, die Sirenen zu hören und ihnen nicht zu verfallen: es läßt sich ihnen nicht trotzen. (…) Odysseus versucht nicht, einen anderen Weg zu fahren als den an der Sireneninsel vorbei. Er versucht auch nicht, etwa auf die Überlegenheit seines Wissens zu pochen und frei den Versucherinnen zuzuhören, wähnend seine Freiheit genüge als Schutz. (…) er hat eine Lücke im Vertrag aufgespürt, durch die er bei der Erfüllung der Satzung dieser entschlüpft. (…) Odysseus erkennt die archaische Übermacht des Liedes an, indem er, technisch aufgeklärt, sich fesseln läßt.«

Ich kann mir nicht helfen, aber das erinnert mich irgendwie an die facebook-Nutzer die die fb-Satzungen in ihrem Profil posten oder ihnen dort widersprechen. Anstatt facebook gar nicht erst zu nutzen … Und da liegt das Problem: Indem wir die Übermacht der Sirenenserver faktisch anerkennen verleihen wir ihnen Macht. Und jeder Zeitungsverlag oder Fernsehsender, der da mitmacht, stärkt diese Macht.

Als es noch keine Sirenenserver gab – das hast du richtig erkannt – stärkten die Leserbriefschreiber die Definitionsmacht der Zeitungen.

Fazit: Die demokratischen BürgerInnen trauen dem System der Aufklärung nicht. Sie haben kein Vertrauen in demokratische Prozesse und in die Systeme politischer Repräsentation. Ob diese Repräsentation jemals im Sirenenrundfunk und der Sirenenpresse vorhanden war, weiß ich nicht. Klar ist aber, das alle kleinen und großen Sirenensysteme mehr und mehr bei dieser Funktion versagen. Sie haben ja auch anderes im Sinn. Da erscheint es schon fast possierlich, wie sich SpOn oder die Süddeutsche Zeitung hinter Paywalls verschanzen, während Buzzfeed sich komplett den Sirenenservern ausliefert und diese auch gierig zugreifen.

Ich denke – Vorsicht unpopuläre Einzelmeinung! – das den öffentlich-rechtlichen Medien hier eine wichtige Funktion zukäme – nämlich die, die journalistische Integrität zu sichern. Leider versagen sie gerade da in großen Teilen kläglich, wie man z.B. schön an der Jauch-Stinkefinder-Debatte sehen kann.

So, ich denke unsere Debatte hat jetzt den Punkt erreicht, wo wir Lösungsvorschläge erarbeiten könnten???

Peace!
Sub_Kid

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