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Aus dem Notizbuch (25/01/2013): DAM Gallery

Heute fahre ich auf dem Weg zum Büro bei der DAM Gallery vorbei um mir das Ende der Ausstellung »Meine Wunderkammer« anzusehen. Mich empfängt eine junge, nicht unattraktive, aber irgendwie anämisch wirkende junge Frau, die mir mit Begeisterung die vielen Exponate erläutert.

Joachim Lottmann nennt diesen Typ Frau in seinem Buch »Endlich Kokain« Galerinas: »dünne, ätherisch-schöne Frauen zwischen 25 und 35, leicht verblüht, kunstsinnig und eingebildet, mit einem Hang zum Masochismus und zum Dienen«.

Tatsächlich verbringe ich eine ganze Stunde in der Galerie und befeuert durch den (eigentlich recht moderaten) Alkoholkonsum des gestrigen Abends komme ich in Hochstimmung. Die Namen zeitgenössischer Künstler fliegen an mir vorbei und ich erinnere mich wieder an die Begeisterung die ich bei der Produktion von Culture Jamming gespürt habe.

Auch wenn die Galerina den Großteil der Konversation übernimmt, habe ich am Schluss das Gefühl auch ich habe einen Funken in ihr geschlagen. Aus Verlegenheit kaufe ich dann einen Katalog der Künstlerin Lynn Hershman Leeson, die interessant zu sein scheint. Kann man ja von der Steuer absetzen, als werdender Autor.
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Aus dem Notizbuch (17/01/2013): Hotel Viento10

»Por la calle del viento sopla la brisa desde la ribera del guadalquivir que da gusto. Desde luego el nombre le va perfecto, mucho mejor que Ronquillo Briceño, que es como se llama hoy en honor a un antiguo corregidor de la ciudad.«

Alphonse ist der Besitzer des liebevoll gestalteten Hotels Viento10 in der Calle Ronquillo Briceño in Córdoba, Andalusien. Früher hieß die Strasse Calle del Viento. Alphonse will durch sein Hotel an diesen traditionellen Namen erinnern. Er ist ein eleganter Mittfünfziger, mit einer Leidenschaft für die moderne Kunst und das kulturelle Erbe von Al-Andaluz. Den patio seines Hotels ziert eine William Turner-Reproduktion die er sich in der Tate Britain in London lizensieren ließ, nachdem er vor dem Original in Tränen ausgebrochen war.

Lange fixiert er Marco, der auf seiner Andalusien-Reise in seinem Hotel gelandet ist. »Borges«, erzählt er unvermittelt, »hat eine Geschichte geschrieben, die hier in Córdoba, an den Ufern des Guadalquivir, spielt. Sie handelt von einem islamischen Schriftgelehrten namens Averroes. Dieser sucht den Sinn der Worte ‚Tragödie‘ und ‚Komödie‘ zu begreifen, ohne jemals ein Theaterstück gesehen zu haben. Er bleibt notwendigerweise blind für den Sinn dieser Begriffe und als er am Ende eine falsche Definition notiert, verschwindet er aus der Geschichte, mitsamt seinem Harem, seinen Büchern und seinem Haus. Übrig bleibt einzig (vielleicht) der Guadalquivir.«

Marco überlegt kurz, traut sich nicht nach dem tieferen Sinn der Geschichte zu fragen. Alphonse, der die Irritation in Marcos Augen wahrnimmt, fährt fort: »Während er die Geschichte schrieb, musste Borges erkennen, dass er genauso blind für Averroes war, wie dieser für die Tragödie. Ein Mensch kann nur wahrhaftig über das schreiben, was ihm selber wiederfahren ist.«

Um Marco Gelegenheit zu geben, über diese Worte nachzudenken, schenkt er aus einem Krug Wasser nach. Die Sonne, die während des Gesprächs weiter nach Westen gewandert ist, überstrahlt jetzt die Turner-Reproduktion und beide sind in gleißendes Sonnenlicht getaucht.

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Aus dem Notizbuch (27/12/2012): Die Bestatter von W.

Weihnachtlicher Besuch in der Heimat. Kaum war ich heute morgen wach, da rief mein Vater an und sagte er brauche Hilfe auf der Baustelle. Mein Onkel habe ein Stechen in der Brust und in letzte Minute abgesagt. Ich war total abgefuckt. Mir blieb ja nichts anderes übrig als »Ja« zu sagen und mit dem Zug nach W. zu fahren. M. hat mir netterweise seinen Blaumann ausgeliehen und ich bin wie ein Bauarbeiter (mit dem passenden Gesichtsausdruck vermute ich) aus dem Haus gestiefelt. Die Arbeit war dann natürlich nicht so schlimm. Ein paar Fliesen schlagen, ein bißchen Schutt schaufeln und einen Döner holen fahren. Das alles fand in einem Büro für Grabpflege statt, was ein wenig absurd war:

Die Bestatter standen rauchend vor der Tür, alle dreißig Minuten versammelte sich eine Trauergemeinschaft auf dem Hof und einige Individuen kauften panisch Blumengestecke beim Floristen.

(Notiz an mich: Eine absolute Pole Position habe jawohl Floristen in Friedhofsnähe!)
Mein Vater schickte mich dann einen Schlüssel suchen und als ich ihn nicht fand, sagte er: »Das kann doch wohl nicht sein. Ich dachte immer Bestatter hätten sogar den Schlüssel für das Himmelsreich«. Der Höhepunkt war dann, als der Sarglieferant kam. Während ich Schutt schaufelte, stapelte er Särge neben mir auf.
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Das Turing Kontinuum – Kapitel 42 (Auszug)

Part 2 – 16

»Du bist zu spät«, bemerkte Zara spröde und blies affektiert Zigarettenrauch aus ihrem Mundwinkel. Sie trug ein enges, weißes T-Shirt mit der Aufschrift »MIDI Junkies gonna fuck you up!« unter dem sich die dunkelbraunen Nippel ihrer flachen Brust abzeichneten. Vor ihr auf dem Tisch lag ein vollgekritzeltes Notizbuch neben einer Tasse Milchkaffee.
»Sorry«, entschuldigte sich Alisa, »Ich musste lange auf den Shuttle-Bus warten. In der Knaackstraße haben ein paar Kiezbewohner die Billboards umgekippt und in Brand gesetzt.«
»Geil!«
»Was soll daran geil sein? Das ist doch total destruktiv.«
Zara rollte die Augen.
»Du bist so bourgeois.«
»Und du? Hockst hier in einem schicken Wohnblock und spielst Neo-Beatpoetin?«

»Eine aufrichtige Intellektuelle muss Klassenverrat begehen. Und außerdem: Nicht die Kiezbewohner sind destruktiv, sondern die Umstände in denen sie leben. Durch ihren Adern fließt Schweröl und in ihren Pupillen spiegelt sich der mediale Overkill der Ultra-HDTV-Screens. Die Interzone muss brennen, ihre Kaputtheit muss sich materalisieren …«

»Woran schreibst du gerade?«, versuchte Alisa das Thema zu wechseln.
»Ach«, Zara machte eine wegwerfende Handbewegung. »Einen Artikel für Grassroots Revolution, so ein wwoofer-Magazin. Nichts Weltbewegendes.«
»Zeigst du ihn mir, wenn er fertig ist?«
»Mal sehen«, nuschelte Zara gelangweilt.
Es war genau dieses zur Schau getragenen „Ma vie m’ennuie«, das Alisa so unwiderstehlich anzog. In den letzten Wochen war es zum Zentrum ihres Lebens geworden ein Lachen auf das blass-graue Gesicht ihrer Geliebten zu zaubern. Etwas von dem Eis zu zerbrechen, das sie beide umgab. Wenn nur Zara auch versuchen würde sich ihr zu nähern. Aber es schien ihr eigentlich egal zu sein. Alisa bestellte sich einen Moscow Mule. Herr Bresch, der sie erst jetzt bemerkte, nickte ihr knapp zu. Für ihn kam das einem Kotau gleich. Zara hatte sich schon eine neue Zigarette angezündet und ließ sie im Aschenbecher verglimmen, während sie ihr Notizbuch vollkrakelte.

Lust auf mehr? – Der komplette erste Entwurf von »Das Turing Kontinuum« zum Testlesen findet sich hier.

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»Das Turing Kontinuum« – Berlin Cyberpunk

Seit dem November 2012 arbeite ich an dem Roman »Das Turing Kontinuum«. Der Roman spielt in einem Europa im Jahre 2042, das in urbane Interzones und freie Regionen aufgeteilt ist und sich gegen die restliche Weltbevölkerung abgeschottet hat.

In der Interzone Berlin gelingt es einer erotischen, aber tendenziell selbstzerstörerischen Frau – Alisa Gross – eine künstliche Intelligenz zu erschaffen. Diese AI kopiert sich in das weltweite Datennetz und wird von den Interzone Regierungen gejagt. Ist die AI ein Verbündeter der Menschen oder eine Gefahr, die ausgerottet werden muss?

Wer gerne die Entstehung eines anspruchsvollen Cyberpunk/AI-Romans miterleben will, der zudem in Berlin und Brandenburg spielt und mit Paul Madorn und Alisa Gross zwei sympathische, mutige, aber auch herrlich kaputte Hauptpersonen hat, der kann bei writeon mitlesen. Zu jedem Kapitel stelle ich Fragen und wer eingeloggt ist, kann dem Projekt folgen und Kommentare, Feedback und Kritik abgeben.

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Einzelgänger in den Zeiten der Cholera. Ich meinte … des Netzwerkens.

Dieser Text ist ein Gastbeitrag von silkella.

Einzelgänger. Ein-Zell-Gänger. Einzel-gang-er. Es ist schon ein komisches Wort, dieses Wort. Man muss es sich nur ein paar mal vorsprechen und schon kommt es einem seltsam vor. Wie fast alle anderen Worte auch. Es ist also völlig irrelevant, welchen Begriff wir dafür verwenden, denn es geht hier nicht um Worte, sondern Phänomene. Und ich denke gerade über den Einzelgänger nach. Als solchen. Und als anderen. Und welche Assoziationen dieses Wort heraufbeschwört …

Ich glaube, wenn man das Wort Einzelgänger hört, denkt man schnell an den Eigenbrötler. Den Nerd. Den verschrobenen Menschen mit einem erschreckenden Mangel an sozialen Kompetenzen und dafür besonderen Spezialinteressen, die sonst kaum jemand hat oder teilt.
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Die Maßnahme – Das Finale

(Dieser Beitrag ist in voller Länge nur für Mitglieder lesbar.)

4. DUNKELHEIT

Die Gruppe sitzt wieder geordnet im Schulungsraum. Der Jalousienschrott wurde sauber in die Ecke gefegt. Die Tageslichtröhre in der Fensternische flackert und wirft nur noch ein fahles Licht auf die Teilnehmer. Angela steht wieder an der Tafel und schreibt, alle schreiben brav mit.

Angela: »Also, wir können die Möglichkeiten des Internets prima für unsere Stellensuche nutzen. Nehme wir mal die Nadine. Du hattest Lateinamerikawissenschaften studiert?«
Nadine: »Ja, also Regionalwissenschaften Lateinamerika.«
Angela: »Ja, dann gibst du bei Google ein: Jobs, Lateinamerika und Wissenschaft … Oder Markus: Jobs, Gitarre, Berlin … Wir leben im Informationszeitalter, alles ist nur einen Mausklick weit entfernt. Ich werde nachher auch noch eine Broschüre austeilen wie man im Ausland auf Jobsuche geht. In vielen Ländern sieht das ja noch besser aus als hier bei uns.«
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Die Maßnahme – Der dritte Akt

(Dieser Beitrag ist in voller Länge nur für Mitglieder lesbar.)

3. LICHT AUS

Mittlerweile sind die Kartonbogen auf den einzelnen Plätzen wieder eingesammelt. Die vorderen beiden Tische sind zueinander gedreht und zusammen geschoben worden, es soll eine Bewerbungssituation dargestellt werden. Angela ist die Beobachterin, Thorsten der Personalchef und Nadine die Bewerberin. Markus ist auf Thorstens Platz versetzt worden, rückt zu Beginn der Szene näher zu Peter. Angela, Nadine und Thorsten sind im Freeze, bzw. lesen Texte.

Markus: »Soll ich dir ma‘ zeigen wie du dir n‘ paar Euro zum Hartzen dazuverdienen kannst, ohne viel Arbeit…?«

Peter scheint nicht besonders interessiert, aber eine Mischung aus grundlegender Höflichkeit und mangelndem Mut zum Widerspruch zwingt ihn dennoch zum Zuhören …

Markus: (skizziert auf dem Tisch) »Pass auf, du kennst doch das Wochenendticket? Da kannst du an einem Tag vier Leute mit in die Bahn nehmen und durch Deutschland tingeln … Da kauf ich mir eine von und inseriere dann in der Mitfahrzentrale vier Fahrten nach Hamburg für 15 Euro die Fahrt. Die fahren dann alle in der Bahn mit und dann hasse‘ schon nach einer Fahrt die Kosten wieder raus … Na, und dann halt wieder zurück … Letztes Jahr ging das auf jeden Fall …«
Peter: »Wie jetze? Mit Leuten die de jahni kennst?«
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Die Maßnahme – Der zweite Akt

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2. EINSCHLUSS

Die Bühne wird leicht umgeräumt. Alle haben nun Filzschreiber und farbige Kartons auf ihren Plätzen liegen, ein paar Kartons pappen auf der Tafel. Nadine und Markus schreiben eifrig, Peter hat scheinbar nichts zu tun, Thorsten hat offenbar nie angefangen.

Angela: (floskelnd) »Ja, da ist ja schon einiges zusammengekommen hier. Dann wollen wir uns doch mal an die Auswertung machen …«
(sieht sich die Kartons an)
»Sänger von Arcade Fire … (dreht sich zu Markus um) Das bist sicher du? … Also nichts schreiben was man schon ist, nee?«
(Nadine schaut Markus bedeutungsvoll an.)
»… Altbauwohnung in der Altstadt von Stockholm, Bar Refaeli als Frau, Buchbinder, Job in einer Kreativagentur … Thorsten, Sie haben nichts geschrieben …?«
Thorsten: (provokant) »Nö! Wat soll ick denn da schreiben?«
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Die Maßnahme – Der erste Akt

Ich habe mich entschlossen ein paar besondere Inhalte auf realvinylz.net online zu stellen – allerdings nur für Mitglieder.

Mitglied bei realvinylz.net kann jede(r) werden, der/die seinen/ihren Namen und e-mail Adresse hinterlässt. Die e-mail Adresse werde ich dazu verwenden alle Jubeljahre einen Newsletter zu schicken, in dem ich auf aktuelle eBook- oder Printveröffentlichungen von mir hinweise.

Was haben Mitglieder davon?

Mitglieder können ganze Texte (Manuskripte, Drehbücher, Theaterstücke) umsonst und vor einer regulären Veröffentlichung lesen. Natürlich können sie auch kommentieren und Verbesserungsvorschläge geben.

»Die Maßnahme«

Den Anfang macht das Hartz IV-Theaterstück »Die Maßnahme«, angelegt für 5 Hauptrollen (2 weiblich, 3 männlich) und eine Nebenrolle (männlich).

1. ANKUNFT

Ein leerer Raum, eine Schiefertafel auf der linken Bühnenseite, daneben ein Overheadprojektor, ein schwarzer Plastikpapierkorb und ein ein typischer Schulzubehör-CD-Player. Vier in Zweierpaaren aufgestellte Schultische und Stühle, ein Dozententisch. An der Hinterwand befindet sich ein Fenster mit runtergelassenen Jalousien. Tageslicht scheint durch. Die Tür befindet sich am rechten Bühnenrand. Man hört sanfte, meditative Panflötenmusik.
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