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Diary of an Unpublished Author 4 (Kritische Ausgabe)

Vor drei Jahren habe ich ein Theaterstück geschrieben. »Die Maßnahme«. Es beruht lose auf den Erfahrungen von A. und N. in einer Hartz IV-Maßnahme im berüchtigten Jobcenter Pankow. So geht es los:

Ein leerer Raum, eine Schiefertafel auf der linken Bühnenseite, daneben ein Overheadprojektor, ein schwarzer Plastikpapierkorb und ein ein typischer Schulzubehör-CD-Player. Vier in Zweierpaaren aufgestellte Schultische und Stühle, ein Dozententisch. An der Hinterwand befindet sich ein Fenster mit runtergelassenen Jalousien. Tageslicht scheint durch. Die Tür befindet sich am rechten Bühnenrand. Man hört sanfte, meditative Panflötenmusik. Eine männliche Person in den mittleren Vierzigern (Thorsten) in speckiger Jeans und »schickem« C&A-Hemd tritt auf. Er trägt einen billligen, schwarzen Lederaktenkoffer in dem die Stullendose klappert. Thorsten sieht sich genervt um, wählt dann den Platz rechts-hinten. Er legt den Aktenkoffer auf den Tisch, setzt sich umständlich, öffnet den Aktenkoffer und entnimmt ihm eine Stullendose und eine 0,5l-Kaffekanne. Er gießt sich einen Deckel voll Kaffee ein und öffnet die Stullendose. Linkisch fingert er eine Graubrotstulle mit Cervelatwurst aus der Dose und mampft los. Eine weibliche Person Ende Dreißig (Angela), attraktiv, stilbewusst, mit Jeans und Blazer, aber sehr fraulich, militant-offene Mimik und Gestik, tritt auf. Sie sieht Thorsten und grüßt freundlich.

Angela: »Guten Morgen.«
Thorsten: (barsch) »Morgen!«
Angela: »Na, da sind sie ja der erste heute morgen …« (geht auf ihn zu, streckt freundlich die Hand aus) »Angela Pfeiffer, ich bin die Leiterin der Maßnahme.«
Thorsten: (erwidert den Händedruck notgedrungen) »Na, is ja nich‘ schlimm … Matuschke mein Name …«
Angela: »Ich werd‘ es gleich nochmal vor der Klasse sagen, aber ich fände es schön wenn wir die Abmachung treffen, dass im Kursraum nichts gegessen wird. Wir werden zwischendurch genug Pausen machen und ich lade sie herzlich dazu ein dann etwas zu essen, nicht?«
Thorsten: (hört auf zu kauen) »Dit fängt ja jut an… Ick kau ja nich‘ mit den Ohren, oder wat is ihr Problehm?«
Angela: (offen, legt die Hände spitz aneinander, erst zeigen die Fingerspitzen nach oben, dann auf Thorsten) »Es geht weniger um das Zuhören als darum, dass wir eine …« (hier öffnet sie die Hände und zeigt Thorsten ihre offenen Handflächen) »angenehme, offene und konzentrierte Arbeitsatmosphäre schaffen. Wir haben ja auch viel vor in den nächsten Wochen.«
Thorsten: (argwöhnisch) »Ham wa, ja?«

Nacheinander betreten zwei Personen den Raum. Erst ein Mann, Anfang Fünfzig (Peter) mit rot-orangener Kordhose, gedecktem Paradiesvogel-Poloshirt, gelber Hintenzukurz-Stoffjacke und unsicherem Blick. Dann eine junge Frau (Nadine) Ende Zwanzig, hübsch, modisch aber angemessen nüchtern gekleidet, offen und freundlich. Sie setzt sich spontan links-hinten hin, nah an die an der Tafel stehende Angela.

Peter: (sagt nichts, das aber programmatisch)
Angela: (fröhlich-vorwurfsvoll) »Guten Mooorgen!«
Peter: (zerstreut) »Ja, Morgen …« (überlegt kurz wo er sich hinsetzen soll und entscheidet sich dann für den Tisch rechts-vorne, wo er am weitesten von den beiden anderen weg sitzt)
Nadine: (fröhlich) »Guten Morgen!«
Angela: (hoffnungsvoll, wittert wenigstens eine Bundesgenossin) »Guten Morgen! Na, dann sind wir ja bald vollständig …«
(schaut demonstrativ auf die Armbanduhr) »So, ich denke wir warten noch die fünf Minuten ab, damit auch die anderen noch eine Chance bekommen und dann fangen wir an …«

Jeder richtet sich irgendwie auf seinem Platz ein, Peter starrt auf den Tisch, Thorsten trommelt enervierend auf seinem Aktenkoffer rum und Nadine sitzt mit geradem Rücken erwartungsfroh da. Angela schaut nach einer Weile wieder auf die Armbanduhr, nestelt am CD-Player rum, die Panflötenmusik wird kurz lauter, dann langsam leiser, bis sie schließlich ganz verstummt.

So ist die Eingangsszene des ersten Aktes. Auf der Anlage läuft ein Drone von Phill Niblock – »Early Winter«, passend zum Fadenregen draußen.

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