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Diary of an Unpublished Author 3 (Kritische Ausgabe)

Zu meinem Manuskript »Das Turing Continuum« ist mir eingefallen, dass ich die Geschichte so strukturieren könnte, dass die Sprache, in den Passagen in denen die künstliche Intelligenz (NHC) eingesperrt ist, immer detailarmer, kürzer und direkter wird, während die Welt die ich vorher schildere sehr detailreich und »voll« ist.

Das wäre ein tolles strukturelles Mittel, mit dem ich auch wieder meiner alten Leidenschaft treu bleibe. Der Leidenschaft aus Form und Inhalt eine (aargh) synergetische Symbiose zu erschaffen. Die Form reflektiert den Inhalt und der Inhalt gewinnt aus der Form. Solche Spielereien finde ich toll, wenn sie gut gemacht sind.

Als ich gestern zur VHS Mitte gefahren bin, war ich etwas zu früh da und bin die Linienstraße hinuntergelaufen. Es dämmerte gerade und die Flutlichtanlange eines kleinen Fußballstadions war bereits eingeschaltet. Die Kleine Hamburger Straße endet direkt vor dem Absperrgitter. Dahinter war ein hell erleuchteter, größtenteils leerer Sportplatz zu sehen. Im Hintergrund leuchtete der Alex in der Dämmerung und ein Schwarm schwarzer Vögel flog hinter dem Turm vorbei. Ich dachte in dem Augenblick, das Schönheit alles überstrahlen kann. In dem Augenblick in dem wir Schönheit wahrnehmen können, übersteigt unser Geist Grenzen und ist Teil einer großen, ewigen Idee von Schönheit. Ich hatte einen Augenblick keine Angst mehr und fühlte mich frei. Dann dachte ich daran, wie ich den Ausblick fotografieren würde und fiel zurück in meine Körpergrenzen. Aber mir wurde klar, dass das schon ein Ziel an sich ist, wenn man schreibt oder filmt. Wenn es einem gelingt einen Augenblick vollkommener ästhetischer Harmonie zu erschaffen, dann macht man anderen Menschen ein Geschenk, welches einen Wert an sich darstellt. Egal ob jemand die Botschaft des Kunstwerks versteht oder die Welt besser wird.

Das Aufblitzen des Geistes, die Strahlkraft des Schönen – in dem Moment in dem man es erblickt – sind eine wichtige Funktion der Kunst. Das ist mir immer klar gewesen, war aber von einer dicken Mauer von politischem Funktionalismus und der halluzinierten Verantwortung für eine geistige Evolution der Menschheit verdeckt.

Das kann Literatur auch leisten. Ja, Kunstwerke können Revolutionen auslösen, das müssen sie aber nicht. Gut, jetzt habe ich lange über einen Roman philosophiert, der nur in groben Zügen existiert. Es wird Zeit weiter zu arbeiten, wenigstens sollte ich bis morgen den alten Kram bearbeitet haben …

A. hatte mir heute ein Video geschickt, in dem über die Blume des Lebens berichtet wird. Dort gibt es einen Mathematiker, der Planetenkonjunktionen (oder wie das heißt) über Jahrhunderte verfolgt hat und dabei nach und nach Muster erkennt. Das ist auch eine Stärke (oder wie man es nimmt auch Schwäche) von Paul, der ja auch auf der Suche nach Mustern ist, nach etwas in der Realität an dem er sich festhalten kann. Zunächst hatte ich ja vor, dass Pauls Krankheit ihn dazu bringt die KI zu verkrüppeln, aber jetzt wird mir klar, dass es eher umgekehrt ist. Er ist auf der Suche nach dem Wesen der Realität, weil er Ann (oder 1.0.0.0.0.0.0.0) so nahe ist. Außer ihm und Alisa wird am Ende keiner wissen, dass ihre Welt aufgrund der Wahrnehmung von Ann erschaffen und dann wieder dekonstruiert wurde.

Ich wittere schon einige Logikfehler im Skript, aber an das Ausmerzen kann ich mich später immer noch machen. Zunächst ist es wichtig die Romanmasse zu schaffen. Das Sujet ist aufregend und in der Buchwelt geht es ab.

Die Frage ist tatsächlich warum Paul sich an Dinge erinnert (und Alisa auch) die die anderen vergessen haben. Und wenn die KI die Welt erschafft, wie sieht sie (die Welt) dann aus, wenn die KI nur noch ein Mensch ist? Müsste dann nicht alles wieder verschwunden sein? Oder ist die Restrealität der seismische Schock, beziehungsweise die Spätfolge des Erwachens? So ganz konsistent ist das Ganze noch nicht, aber wie gesagt: Das spätere editieren ist immer einfacher als das Schreiben. Und bezüglich der Kuppel über der Erde muss ich mir auch noch was anderes ausdenken. Das ist zu offensichtlich aus Quarantäne geklaut. Vielleicht sind da einfach Jäger, die jeden Satelliten abschießen der Anzeichen einer KI zeigt, beziehungsweise von einer KI verseucht ist. Es ist ja letztlich nur ein kleines Detail.

Während ich diese Zeilen hier schreibe läuft im Hintergrund Conrad Schnitzler. Eine minimale, elektronische Komposition, die irgendwie Kult sein soll. Was jetzt ein wenig despektierlich klingt, denn es handelt sich bei Conrad Schnitzler um eine der zentralen Gestalten in der Geschichte des Krautrock. Er war Gründer von Kluster und zeitweiliges Mitglied von Tangerine Dream. Zwei wegweisende deutsche Bands. Beim ersten hören wirken die Modulationen eher uninspiriert und leer. Der Mann hat hunderte von Schallplatten beziehungsweise selbstgebrannte CDs rausgebracht und an Subskribienten verschickt. Was für eine Energie! So einen Drive wünsche ich mir auch zuweilen. Ich sitze doch gerne am Schreibtisch und schreibe, also warum verschiebe ich das immer in die Zukunft, wo ich doch die meiste Zeit schwärmerisch darüber nachdenke zu schreiben. Aber das Schreiben selbst ist dann nochmal schwieriger, wie der nächste Monat wieder zeigen wird. Im Juli habe ich sehr viel geschrieben, mein zweites Manuskript ist auf 25.000 Wörter angewachsen und damit ist eine gute Basis gelegt. Manche Zweige werde ich wieder begraben müssen, andere ausbauen. Und eine gute Dramaturgie, nachvollziehbare Ziele der Charakter wollen generiert werden.

Oder ist diese Dramaturgielehre ein Leitfaden für Doofe? Leute die keine Geschichten erzählen können und deswegen alles auf Spannung und Konflikte runterbrechen müssen.

Konflikte gibt es überall, man muss sie nur klar herausarbeiten. Weiß der Teufel wie David Foster Wallace es geschafft hat, dass man seinen Roman zu Ende lesen muss. Es ist eine komische Droge, ein eigenes idiosynkratisches Universum in das nur die Leute Zugang erhalten die bereit sind sich darauf einzulassen. Das ist für mich das Idealbuch. Nicht unbedingt eine Erfolgsformel, wohlgemerkt.

Musikwechsel: »Smocking Erde« von Zoviet:France. Keine leichte Kost. Oder vielleicht doch? Ist diese sogenannte avantgardistische Musik wirklich schwierig? Also so wie es schwierig ist im Job befördert zu werden oder in der Kälte zu übernachten? Sie läuft ja einfach und das Einzige was der Hörer schaffen muss ist nicht abzuschalten (oder einzuschlafen). Der Genuss – so soll es jawohl heißen – ist schwierig. Aber es locken ja schließlich auch höhere Hörgenüsse, wenn man das Klangmaterial erstmal dechiffriert hat. Sonst würde sich jawohl kaum einer auf »schwierige« Musik einlassen, es sei denn er ist Masochist. Aber für mich ist strange Musik ein Genuss und gerade verschrabbelte Tapeloops oder endlose Drones sind ein willkommener Begleiter beim Schreiben. Gerne auch mal eine ambientöse Klangtapete …

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