Mein letzter Eintrag zur Transmediale 08 betrifft das Website-Projekt pleasespam.us von Jonah Brucker-Cohen, der seine Arbeit rund um „dekonstruierende Netzwerke“ ansiedelt.
pleasespam.us ist ein kollaboratives Webprojekt, bei dem die User „spamwürdige“ e-mail-Adressen vorschlagen sollen, welche dann auf der Mainpage gelistet werden, die wiederrum massiv Spambots anzieht.
Spam wird in Brucker-Cohens Projekt als kulturelles und soziales Tool eingesetzt um eine Debatte über e-mail als Kommunikationsmittel anzuregen. Die Funktion von e-mail als Massenmedium und die Art und Weise wie Spambots funktionieren und wie man sie behindern kann, soll in das Bewußtsein der User rücken.
Weitere Arbeiten von Jonah Brucker-Cohen finden sich auf seiner Website coin-operated.com
Im vorletzten Filmprogramm der Transmediale 08 mit dem Titel CP09: Structural Poetics stachen für mich besonders zwei Arbeiten hervor: Elesyn 15.625 von Billy Roisz und Orchid von Nicolas Bernier.
Als ‚elektrische Synästhesie‘ bezeichnet Roisz ihr zehnminütiges Werk Elesyn 15.625 und tatsächlich hat hier jedes Audiobrummen, jedes Videofeedback, jeder Schaltungsknackser seine visuelle Entsprechung. Von schwarz-weißer geometrischer Strenge bis hin zu farbenfrohen, expressionistischen Moirés wird das komplette Sammelsurium elektromagnetischer (Stör)signale zu einer humorvollen Bildkomposition kompiliert.
Trotz des minimalistische Duktus, der bei vielen derartigen Arbeiten schnell anstrengend wirkt, kann der Zuschauer sich gegen Ende das Lachen nicht verkneifen. Immer wieder bricht in die schwarzen Zäsuren ein fiepsender Irrwitz ein, der fast organisch wirkt. Leider liefert das abgefilmte Video nur eine blassen Ahnung des tollen Gesamteindrucks.
Orchid von Nicolas Bernier besteht aus fotografische Stills die in klassischer Weise zum musikalischen Rhythmus synchronisiert werden. Bernier hat elektroakustische Musik an der Universität von Montreal studiert. Seine Kompositionen verorten sich zwischen organischen Klangquellen und digitalem Processing, ähnlich wie sein visuelles Material. 2006 hat er das Künstlerkollektiv Ekumen gegründet.
Die Internetaktivisten Christoph Wachter und Mathias Jud von picidae.net haben im Bilderberg-Salon der Transmediale 08 ihre Lösung für die omnipräsente Internetzensur vorgestellt.
Die beiden haben – inspiriert von den Berliner Mauerspechten – ein System entwickelt, mit dem die Einwohner aus von Internetzensur betroffenen Gebieten, diese Zensur umgehen können. Sie führten mit einer Live-Anfrage nach dem chinesischen Wort für Massaker auf der Suchmaschine baidu.com vor, wie schnell nach einer unerlaubten Suchanfrage der Zugang durch das chinesische Backbone geblockt werden kann.
picidae.net verschlüsselt den eingebenen URL und wandelt die angefragte Seite in ein Bild um, das an den Browser zurückgesendet wird. Durch Imagemaps ist auch ein Surfen auf dieser Abbild-Seite möglich. Auch Formulare können ausgefüllt werden, um – z.B. von China aus – eine Suchanfrage auf Suchmaschinen außerhalb des von Zensur betroffenen Gebietes zu machen.
Aber nicht nur in Kuba, Iran, Tunesien und Saudi-Arabien, auch in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gebe es unterdrückte Internetseiten, betonen die beiden.
Als Einstimmung in das Thema wurde der Kurzfilm Master Plan von Ozan Halici und Jürgen Mayer gezeigt, der auf dem Buch Die Google-Story von David A. Vise und Mark Malseed basiert.
Zunächst gingen Hans Bernhard und Paolo Cirico auf ihr Projekt GWEI – Google Will Eat Itself ein, das auch in meinem Interview mit Bernhard behandelt wurde.
Während des Projektes hat sich das nette, servicefreundliche Image von Google für die GWEI-Aktionisten als immer agressiver dargestellt. Redaktionen wie z.B. Wired zogen die Berichterstattung über das Projekt zurück, laut Bernhards Vermutung aus Angst des Verlages Condé Nast eine wichtige Einnahmequelle durch Google-Ads zu verlieren.
Grischinka Teufl fragte anschließen, was eigentlich der Preis für Googles frei erhältlichen Service sei. Seine These: Google benutzt seine User als human resource für Daten und Informationen. Der ausführliche Vortrag findet sich hier.
Bis heute hat GWEI 611 Google-Aktien gekauft, was 336.318,84 US$ entspricht. Es wird noch 202.345.119 Jahre dauern bis GWEI die Firma Google ganz erworben haben wird.
Der Autor und Kulturtheoretiker Felix Stalder und der Soziologe und Medienforscher Volker Grassmuck moderierten die Session 03: Greying of The Commons: IP, The Law and The Street auf der Transmediale 08.
Als erste Teilnehmerin sprach Eva Lichtenberger, die für die österreichischen Die Grünen im Europäischen Parlament als Abgeordnete sitzt und Mitglied der Initative Open Mind – Open Source – Open Europe ist.
Als größtes Problem nannte Lichtenberger den Umstand, dass die EU versuche den Unterschied zwischen materiellen Gütern und nicht-materiellen Gütern wie Software, Musik und Video zu verwischen. Dies geschehe oft aus Unkenntnis seitens der darüber entscheidenden Politiker über die sozialen Praxen in der jüngeren Generation. Von der Gleichsetzung materieller und nicht-materieller Güter, sei der Schritt zu einer Kriminalisierung von Peer2Peer-Usern nicht mehr weit.
Die Kampagne: I Wouldn’t Steal, I Share soll hier aufklären.
Intellectual Property Rights stehen laut Lichtenberger, durchaus im Fokus des EU-Parlaments, u.a. auch als neues Machtinstrument der sog. entwickelten Welt gegenüber der sog. Dritten Welt.
Der für Binnenmarkt und Dienstleistung zuständige EU-Kommissar Charlie McCreevy sähe die Massenklagen gegen Downloader gar als neue Einkommensquelle. Lichtenberger machte dagegen den Vorschlag, private User aus dem Strafrecht auszuklammern. Die Legislative müsse dringend darauf hingewiesen werden, das Rechtsprechung nicht gegen die herrschende soziale Praxis erfolgen könne.
Der Pariser Gesellschaftstheoretiker Brian Holmes moderierte, zusammen mit dem deutschen Leiter des Fachbereichs Multimedia & IT der bpb Thorsten Schilling, die Session 2: Embedding Fear – The Internet and The Spectacle of Hightened Alert auf der Transmediale 08.
Thema waren die Gefahren, die für Kultur und Identität enstehen, wenn die Freiheit der Kommunikation in einen Konflikt mit einem ‚war on terror‘ gerät.
Brian Holmes eröffnete das Panel mit der These, das die Gesellschaft ein so komplexes Model sei, dass man eine Art faithwork brauche, um ein Vertrauen in Systeme zu erzeugen, die der Einzelne nicht überprüfen kann. Als Beispiel nannte er das Vertrauen, das Menschen in Architektur haben, nicht weil sie den Architekten trauen, sondern dem Expertensystem des Architekturstudiums. Holmes Konklusion:
„Surveillance is an expert system to create faith and reembed humans into modern society“
Als nächstes kreierte der Künstler und Autor Naeem Mohaiemen eine Pseudo-Biographie mit dem Titel How A Google Search Ruined My Day.
Er sieht Airport Security als eine Art Performance Kunst, in der der Fluggast eine unauffällige und harmlose Person darstellen muss, um erfolgreich zu sein.
In Mohaiemens Fiktion googelt die Airport Security seinen Namen und erhält aufgrund seiner publizistischen Tätigkeit und der Freundschaft mit einem Araber, der wiederrum mit einem potentiellen Verdächtigen zur Schule ging, eine alarmierende Auskunft. Eine andere Suche fördert ein süsses Babyfoto von ihm zutage.
Mohaiemens führt hier vor, wie eine ausführliche Google-Recherche verschiedene Realitäten konstruieren kann. Naeem Mohaiemen betreibt auch ein eigenes Blog.
Der Kulturtheoretiker Timothy Druckrey ist zur Transmediale 08 gekommen, um über „Realitätsvorstellungen als tragisches Herzstück einer Kultur, die von einer hoffnungslosen Illusions berauscht ist“ zu sprechen. Zum Anfang seiner höchstinteressanten Ausführungen erinnerte Druckrey an den surrealen Alptraum, den einer der Mitglieder des Critical Art Ensembles, der Künstler und Professor Steve Kurtz, noch immer erleben muss:
Seine Frau Hope starb über Nacht an einem Herzfehler und die alarmierte Polizei, die an Kurtzes Kunst Anstoss nahm, rief das FBI. Kurtz wurde als „bioterrorist“ verhaftet und das Interieur seiner Wohnung, samt Leiche seiner Frau, wurde von dutzenden Agenten in Biohazard-Anzügen durchsucht und beschlagnahmt. Bis heute wartet er auf seinen Prozess. Das Electronic Art Ensemble hat unter caedefensefund.org eine Informationsseite eingerichtet.
Die unglaublichen Ereignisse sind im Film Strange Culture dokumentiert.
Timothy Druckrey sprach in seinem Vortrag über die verschiedenen Theorien der Verschwörung/Conspiracy des Imaginären. Der Exklusion von Ereignissen, das Reale in der Illusion und eben die Verschwörung des ‚Realen‘. Unmöglich die Dichte seines Vortrags wiederzugeben, blieb vor allem ein Beispiel haften:
Die Geschichte des Fotos vom Tiananmen Square oder Platz des himmlische Friedens. Das Foto eines einzelnen Mannes, der sich 1989, während der Proteste der chinesischen Demokratiebewegung, die blutig beendet wurde, einer Kolonne von Panzern entgegenstellt.
Das Foto ging um die Welt, als Symbol für den möglichen Widerstand eine einzelnen Zivilisten, gegen das scheinbar allmächtige Repressionssystem. Befragt man heute Studenten an der Pekinger Universität über das Foto, wissen die meisten nicht, was es darstellt, da seine Verbreitung seitens der chinesischen Medien, verhindert wurde.
Und in Zeiten des Internet? Naja, sucht man in einer deutschen Suchmaschine den Tiannamen Square findet man hunderte von Reproduktionen des Fotos, während eine chinesische Search Engine (z.B. Google oder Yahoo) nur Bilder von fröhlichen Menschen und Touristen zeigt.
Google, Sisco System, Yahoo und Microsoft, Firmen die für den Information Superhighway und dezentrale, allumfassende Wissenvermittlung stehen, haben – auf Drängen des chinesischen Diktatorenregimes – eine Selbstzensur ausgeübt.
Druckrey bemerkte dazu noch:
If images could be that dangerous, why are there so many of them?
Der 1969 in Israel geborene Guli Silberstein hat im Filmprogramm CP01: When You’re Strange der Transmediale 08 einen formal-ästhetisch sehr überzeugenden Film vorgeführt:
Beach von 2006 ist eine ca. vierminütige Bildcollage, in der das sorglose Leben am Strand von Tel Aviv mit einem – am 100 km entfernten zerbombten Strand von Gaza – herumirrenden Mädchen montiert wird.
Beach ist ein immer weiter beschleunigender Bilderrausch, der scheinbar private Aufnahmen und Nachrichtenbildern zu einer verstörenden Mediation über existentielle und moralische Fragen kompiliert.
Dieses Jahr habe ich das Glück und die Ehre Teilnehmer der Transmediale zu sein und darf somit eine Rundum-Akkreditierung für Club Transmediale und Transmediale mein Eigen nennen.
Ich werde daher ab Mittwoch den 30ten Januar von der Transmediale bloggen und das Neuste in der Welt der elektronischen Musik und im weitesten Sinne der elektronischen Lebensaspekte zusammentragen.
Die Transmediale 08 dreht sich um Verschwörungsmythen, konspirative Netzwerke und Interaktion in gesellschaftliche und elektronischen Schaltkreisen.
Unter dem Thema Unpredictable beschäftigt sich die Club Transmediale mit künstlerischen Konzepten, die Nichtvorhersehbares und Überraschendes, Unfälle, Fehler und Zufall einbinden, um die Dynamik kreativer Prozesse zu verändern und neue ästhetische Formen zu entdecken.