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Ars Gratia Artis? – Part III

Für einen kreativen Umgang mit Original, Imitation, Copyright und Starsystem

(Fortsetzung von Part II)

Der Kult um den Star

Aber diese Punkte beantworten nicht die Frage, warum sich so viele Kulturproduzent_innen überhaupt mit dem Status der un(ter)bezahlten Contentproduzent_innen abgeben, wenn sie doch eigentlich davon leben wollen?
Der Sektor der Kulturproduktion ist, wie viele Branchen die von der Selbstausbeutung und Prekarisierung ihrer Produzent_innen leben, ein Starsystem. Dieses Starsystem entwickelte das warenproduzierende System laut Guy Debord aus dem historischen Umstand, dass „die Unzufriedenheit selbst zu einer Ware geworden ist“ (1), der arbeitende Mensch somit nach seiner „Selbstverwirklichung“ strebt, die gleichsam als Lebensziel an sich erscheint:

Die Stars sind da, um unterschiedliche Typen von Lebensstilen und Gesellschaftsauffassungen darzustellen, denen es global zu wirken freisteht. Sie verkörpern das unzugängliche Resultat der gesellschaftlichen Arbeit, indem sie Nebenprodukte dieser Arbeit mimen, die als deren Zweck magisch über sie erhoben werden: die Macht und die Ferien, die Entscheidung und der Konsum, (…)

Nur mit der Aussicht auf größere Macht, mehr Aufmerksamkeit und einem lebenswerteren Leben mit den Privilegien eines Stars (2), bzw. der erfolgreicheren und einflussreicheren Kulturarbeiter_innen im gleichen Arbeitsfeld, lässt sich die Bereitschaft erklären, temporär unter dem Lohnniveau (oder für kostenlosen Kaffee) zu arbeiten. Gewerkschaften und Tarifverträge erscheinen unter der Hypnose des Starsystems natürlich als restriktive Relikte einer vergangenen Zeit.

Paradoxerweise hat das Starsystem auch ein Feedback im Verhalten der Kulturkonsument_innen. Die Berechtigung, die sich manch eine(r) für den kostenfreien Download eines bestimmen Kulturguts herbeiphilosophiert, ist, wo sie nicht explizit oder implizit politisch ist, der Neid auf die vermeintlich privilegierten Darsteller_innen eines „wahrhaftigen“ Lebens: Die Künstler_innen, die Musiker_innen, die Kulturproduzent_innen: Menschen die dem Ideal des Stars zumindest graduell näher stehen als man selbst. „Ich nehme denen doch nichts weg“, ist eine oft gehörte rhetorische Figur. (3)
Diese Sichtweise blendet den Begriff der Klasse aus. Die Klasse der Kulturproduzent_innen besteht aus Arbeiter_innen, die Ideen, Konzepte und Vorstellungen als immaterielle Ware produzieren müssen um ihre Existenz zu sichern. Die Mitbewerber_innen sind keine Feinde, sondern Individuen, die denselben Überlebenskampf führen.
Manch einer mag argumentieren, dass die Vertriebe, Content-Provider, Label, Gütesiegel und Marken den Kulturproduzent_innen beim sozialen Aufstieg und dem Kampf um Aufmerksamkeit helfend zur Seite stehen. Dmytri Kleiner verneint dies und wagt einen überraschenden Vergleich:

In any system of property, musicians collectively can no more retain ownership of the product of their labour than can workers at a textile sweatshop. The purpose of intellectual property (…) is to ensure a propertyless class exists to produce the information profited on by a propertied class. Intellectual property is no friend of the intellectual, or creative, worker.
Dmytri Kleiner

Diese funktionelle Trennung zwischen Dealer_innen und Produzent_innen von Kulturprodukten wird oft verwischt oder gar geleugnet. Darum erscheinen Kulturtechniken wie Download und Remix für viele auf der einen Seite lebensbedrohlich und verwerflich und auf der anderen Seite subversiv und sexy. Ist doch die Fülle an warenförmigen Kulturgütern so übermächtig, dass es geradezu automatisch gerecht und widerständig erscheint das „System“ in einen ästhetischen Krieg zu verwickeln. Diese Strategien, der, vor allem in den Neunzigern entwickelten, großflächigen, semiotischen Guerillaaktionen (Adbusting, Culture Jamming, Mashup, Sampling), flankiert von den Kulturtechniken der Raubkopie und des Filesharing, sind meiner Ansicht nach grandios nach hinten losgegangen. Die Verramschung und der Ausverkauf von Kulturprodukten, den wir derzeit erleben, ist leider nur die negative Seite des modernistischen Versprechens Künstler_innen könnten l’art pour l’art (4) machen, da die wesentlichen ökonomischen Probleme gelöst worden sind. Die Versprechen der Moderne sind auf ästhetischer Ebene eingelöst worden, aber auf der ökonomischen ausgeblieben. Lokale Sabotage- und Störaktionen helfen bei der Lösung der ökonomischen Probleme wenig. Sie sind vielmehr in einer simplen pseudo-revolutionären Geste verankert, deren catchy Parolen oft an der Realität vorbeigehen:

(…) there’s no problem in loosely aggregating millions of people around a diffuse pro-piracy/anti-copyright program, because it rhymes with their own interests, is composed of (a) negative thinking and (screw the industry!) (b) small homemade constitutive acts (…), and (c) the absence of heavy ideological baggage (all political shades love it!)
Alan Toner

So widersprüchlich es klingt: Wir brauchen das Copyright und damit den Begriff des Originals um im existierenden System als Kulturproduzent_innen überleben zu können und sollten uns doch, im Interesse eines freien Zugangs zur Kultur für alle Menschen, von der Dichotomie zwischen Original und Imitation befreien. Das bürgerliche Lager sieht in der Imitation minderwertige, nachgeahmte oder geklaute Kunst und kopflose Anti-Copyright-Aktivist_innen halten jede Kopie und jeden Remix für einen revolutionären Akt. Beides ist in der gegenwärtigen Lage nicht hilfreich.

(Fortsetzung in Part III)

Footnotes:

(1) Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin: Edition TIAMAT 1996
(2) Der Star ist hier ausdrücklich nicht ausschließlich in seiner Verkörperung als Rock- oder Popstar, sondern in seiner vielfältigen Gestalt als beispielsweise Modedesigner_in, Herausgeber_in, Chefredakteur_in, Regisseur_in, Producer_in, Creative Director, Kunstmarktliebling oder Schauspieler_in gemeint.
(3) Ich selber habe oft gegenüber erbosten Filmfreund_innen rechtfertigen müssen warum man meinen Film „Culture Jamming“ nicht kostenlos auf einem kommerziellen Festival zeigen dürfe, er sei doch schließlich von ARTE bezahlt worden.
(4) Ironischerweise taucht dieses löbliche Motto ausgerechnet im bekannten Intro der Metro-Goldwyn-Mayer, Inc., einem der größten amerikanischen Medienunternehmen auf. Über dem Löwenkopf steht: Ars Gratia Artis

CC-Sampling Plus 1.0

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