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Ars Gratia Artis? – Part II

Für einen kreativen Umgang mit Original, Imitation, Copyright und Starsystem

(Fortsetzung von Part I)

Die Gesellschaft des Zugangs

In Access beschreibt Rifkin den Umbau der klassischen Eigentumsökonomie in eine Ökonomie des Zugangs:

Netzwerke treten an die Stelle der Märkte, Verkäufer und Käufer werden zu Anbietern und Nutzern, und was bislang käuflich war, wird ‚zugänglich‘. (1)

Die von Rifkin seinerzeit nur erahnte Flut von sozialen Netzwerken, Content-Plattformen und Apps, die zumeist durch Werbung finanziert werden, und die zunehmende Trennung des Online-Datenstroms in funktionale Teilbereiche wie Video, Audio, VoIP und Gaming ist ein deutliches Merkmal dieser Entwicklung.

Geistiges Kapital (…) wird allerdings kaum ausgetauscht. Stattdessen steht es unter der Verfügung von Anbietern, die es potentiellen Nutzern zur begrenzten Verfügung verleihen oder in Lizenz vergeben. (…) Überall auf der Erde bauen transnationale Medienkonzerne weltumspannende Kommunikationsnetze auf und beuten lokale Ressourcen aus: neu verpackt als Unterhaltungsprodukte und Kulturware.

Und das Ernüchternde: Wir, die Kulturproduzent_innen, sind auf das Funktionieren dieses Systems angewiesen, wenn wir mit dem Ergebnis unserer immateriellen Arbeit einen Gewinn erzielen, also überleben, wollen. Trotzdem sollten wir uns nicht in die Debatte um den immanenten Wert von Original und Imitation verwickeln lassen, sondern möglichst nüchtern die Funktion immaterieller Rohmaterialien analysieren.

Um den reibungslosen Ablauf der immateriellen Warenflüsse zu gewährleisten, muss das geistige Eigentum geschützt werden, was durch Marken-, Urheber- und Nutzungsrechte, kurz: das Copyright, gewährleistet wird. Ein Song, ein Text, ein Video oder ein Kunstwerk kann nur Gewinn erzielen, wenn es durch juristische Codes geschützt wird. Bei audiovisuellen Medien sind nämlich die Reproduktionskosten bei konstant bleibendem Gebrauchswert extrem gering. Die ohnehin schwer zu fassenden Produktionskosten eines Songs, einer Erzählung, eines Filmes, einer Fotografie sind vollständig abgekoppelt von deren Reproduktionskosten. Eine rare Ware, deren Eigentum verwertbar ist, sieht anders aus. Filme werden gestreamt, Texte, Bilder und Tracks heruntergeladen. Die Nutzer_innen zahlen für das, was für viele von uns der Stoff ist, der „die Welt im Innersten zusammenhält“, am liebsten: gar nichts. Diese allgegenwärtige Praxis des Kopierens treibt die Distributor_innen von warenförmigen Kulturprodukten zu einem Rückgriff auf die fest in unserer Gesellschaft verankerten Vorstellungen von Original und Imitation:

Copyright is a legal construction that tries to make certain kinds of immaterial wealth behave like material wealth, so that they can be owned, controlled, and traded.
Dmytri Kleiner

Natürlich ist es absurd, eine endlos und praktisch ohne Verlust reproduzierbare immaterielle Ware so zu behandeln wie eine materielle Ware. Doch wie geht das warenproduzierende System in Gestalt der Kulturindustrie mit diesem Widerspruch um, wenn die notwendige Verteidigung der Warenansammlungen nicht mehr durch bürgerliche Moralvorstellungen gedeckt ist? Es mahnt ab, was das Zeug hält, jagt Nutzer_innen durch das Internet und sorgt für Angst und Schrecken in der eigenen Zielgruppe. Dass die Content-Pirat_innen offenbar gleichzeitig zu den besten Kunden gehören (wie eine unveröffentlichte GfK-Studie und mehrere EMI-Studien offenbar zeigen) sorgt nicht gerade für mehr Verständnis.

Zur Verteidigung der rigiden Praxis von Abmahnungen und Hausdurchsuchungen wird oft argumentiert, das es das Copyright den Kulturproduzent_innen überhaupt erst ermögliche, von ihrer Arbeit zu leben. Das sieht Dmytri Kleiner, der als Softwareentwickler an symbolischen Projekten zur politischen Ökonomie im Internet arbeitet, anders. Entlang einer Beschreibung der Arbeiterklasse zeichnet er die Situation der Produzent_innen von immateriellen Gütern:

(…) an understanding of class struggle makes it clear that so long as the owning class wants to have music, they must allow musicians to make a living. They do not require intellectual property for this purpose. Rather, they require intellectual property so that property owners, not musicians, can earn money on the music made by musicians.
Dmytri Kleiner

Ich stimme Kleiner hier nur bedingt zu, da seine Darstellung übersieht, dass es keine direkte Beziehung der „owning class“ zu den „musicians“ gibt. Das klingt doch mehr nach feudalen Zuständen als nach gegenwärtiger Realität, schließlich sind es heutzutage die Endverbraucher aus allen gesellschaftlichen Schichten, die die Musik konsumieren und bezahlen. Er behält allerdings Recht was die Funktion des Copyrights für Content-Provider betrifft. Die lachenden Dritten sind am Ende eben die Produzent_innen der materiellen Hardware (Pinsel, Kleister, Filmkamera, Gitarre, MacBook), die Content-Provider, die Internetportale, die Verlage und Label. Die Originale der Kulturproduzent_innen sind notwendiges Beiwerk. Folgt man Matteo Pasquinelli in seiner Argumentation über den kognitiven Kapitalismus scheint dies sogar eine immanente Eigenschaft von immateriellen Gütern zu sein:

The immaterial generates value only if it grants meaning to a material process. A music CD for example has to be physically produced and physically consumed. (…) And when the CD vector is dematerialised thanks to the evolution of digital media into P2P networks, the body of the artist has to be engaged in a stronger competition.
Matteo Pasquinelli

Das immaterielle Original wäre dann nur ein Anreiz, ein materielles Gut zu erwerben und/oder die Künstler_innen live zu sehen.

(Fortsetzung in Part III)

Footnotes:

(1) Jeremy Rifkin: Access – Das Verschwinden des Eigentums. Frankfurt: Campus 2000

CC-Sampling Plus 1.0

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