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Ars Gratia Artis? – Part I

Für einen kreativen Umgang mit Original, Imitation, Copyright und Starsystem

Originaltext erschienen in testcard #21

Selber als Autor und Regisseur tätig, beobachte ich eine zunehmende Bereitschaft von Kulturproduzent_innen (1) ihre Arbeit für geringe oder gar keine Entlohnung an die Kulturindustrie abzugeben, in der diffusen Hoffnung auf bezahlte Folgeaufträge oder mit dem abstrakten Wunsch „sich einen Namen“ zu machen. Dabei konkurrieren sie, anstatt sich als Klasse von immateriellen Produzent_innen zu begreifen, um die vermeintlich knappen finanziellen Mittel. Kein Sektor produziert mehr prekäre Arbeitsplätze als der kulturelle. Die Mehrheit der Kulturproduzent_innen erhält nicht einmal, wie im klassischen Erwerbsleben üblich, die Lebenshaltungskosten. (2) Laut den Statistiken der Künstlersozialkasse liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen von Bildenden Künstler_innen unter 40 bei 11.160 Euro, das von Musiker_innen bei 9.965 Euro. Autor_innen verdienen mit ca. 14.580 Euro im Jahr noch vergleichsweise gut.

„Leider arbeiten viele der 5 Millionen, die von der Kreativindustrie leben, in prekären Verhältnissen. Zweit- und Drittjobs sind keine Seltenheit, da ein Job zum Leben oft nicht ausreicht. Fehlende Kranken- und Rentenversicherung sind an der Tagesordnung. Arbeitsverträge sind meist unsicher und viele Kreativschaffende können kaum mehr als ein paar Monate im Voraus planen”, sagt die SPD-Beschäftigungsexpertin Jutta Steinruck auf ihrer Homepage.

Andererseits gibt es eine sehr kleine Gruppe von Kulturproduzent_innen, die extrem hohe Einnahmen erzielt. Dies hat eine ganze Reihe von Gründen, von denen der nicht unwichtigste das in der Kulturindustrie gängige Starsystem und der weitverbreitete Irrglaube ist, dass es darauf ankäme erst einmal in den eigenen Markennamen zu investieren, bis es sich für die Kulturindustrie lohnt, diesen zu verwerten. Diese beobachtet das natürlich mit wachsendem Vergnügen, spart man sich doch so das Marketingbudget und schöpft trotzdem den Mehrwert ab. (3)

Das Original

Eine entgrenzte Definition dessen, was ein Original sein soll, ist im Copyright (4) juristisch festgeschrieben. Dieses bildet die Legitimation für die Aneignung des Mehrwerts immaterieller Produkte. Ein Original, vom lateinischen origo (= Ursprung) stammend, ist, so der englische Dichter Edward Young, das Gegenteil einer Imitation:

„The mind of a man of Genius is a fertile and pleasant field, (…) it enjoys a perpetual Spring. Of that Spring, Originals are the fairest Flowers: Imitations are of two kinds; one of Nature, one of Authors: The first we call Originals, and confine the term Imitation to the second.“

Ein Original ist also immer eine Nachahmung. Die Nachahmung der Natur nennen wir „Original“, die Nachahmung anderer Künstler „Imitation“. Ein traditionelles künstlerisches Original ist stark mit dem Begriff des Genies verknüpft, das aus einer unerschöpflichen Quelle, einem Ursprung schöpft:

„Wer bemerkt, wahrnimmt, schaut, empfindet, denkt, spricht, handelt, bildet, dichtet, singt, schafft, vergleicht, sondert, vereinigt, folgert, ahndet, gibt, nimmt – als wenn’s ihm ein Genius, ein Wesen höherer Art diktiert und angegeben hätte, der hat Genie; als wenn er selbst ein Wesen höherer Art wäre – ist Genie.“
Johann Caspar Lavater

Immanuel Kant hat vier Merkmale ausfindig gemacht die dieses Genie kennzeichnen:

1. Genie ist als Talent angeboren, kann nicht erlernt werden und hat deshalb Originalität
2. Es ist nicht der Nachahmung entsprungen
3. Seine Werke kann es nicht wissenschaftlich erklären, weil es nicht weiß, wie sich ihm die Ideen mitteilen
4. Die Natur gibt dem Genie die Regeln der schönen Kunst vor. (5)

Diskutiere ich mit Freund_innen über die Themen Collage, Sampling oder Appropriation Art scheinen mir diese Definitionen aus dem 18. Jahrhundert immer noch stark verinnerlicht. Die oben genannten und verwandte Kunstformen werden – wenn man mal ganz ehrlich sein solle – als sekundär und weniger authentisch empfunden. Der „echte“ Künstler wird parallel dazu als „Schöpfer“ konstruiert, der „weder so entfremdet arbeitet wie der Proletarier, der eben nicht ’sein‘ Auto am Fließband baut, (…) noch so vampirisch abstrakt wie der Fabrikherr, der seine Schöpfung nur durch technokratische Aneignung von Arbeitskraft und Phantasie anderer (…) verwirklicht (…). Nur in der Kunst ’stimmt‘ das Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung, (…). “ (6)

Der südkoreanische Philosoph Byung-Chul Han untersucht dagegen in seinem Buch Shanzhai die Funktion des Originals in der chinesischen Kultur. Das chinesische Wort zhen-ji bedeutet „echte Spur“. Diese Spur „ (…) lässt kein abgeschlossenes, in sich ruhendes Kunstwerk zu, das eine endgültige Form besäße und sich jeder Veränderung entzöge. (…) nicht die endgültige Identität, sondern die ständige Wandlung bestimmt die chinesische Idee des Originals.“ (7)
Die Re-Kreation eines Originals ist in dieser Definition mit dem Original gleichwertig und keineswegs negativ konnotiert. Vielmehr wird es als Ausgangspunkt für schöpferische Transformationen betrachtet:

„Es wird also ein regelrecht dadaistisches Spiel mit Labels betrieben, das nicht nur Kreativität in Gang setzt, sondern auch eine parodistische oder subversive Wirkung (…) entfaltet.“

Byung-Chul Han erinnert uns an die Grundtugend jeder Philosophie: Vermeintliche Offensichtlichkeiten zu hinterfragen und die Welt mit den Augen eines Wesens zu betrachten das alles neu lernen muss. Sehr oft werden die Begriffe Original und Imitation in den parlamentarischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Diskurs geworfen, um diesen möglichst schnell und einseitig zu beenden. Dabei haben wir es meistens mit überaus komplizierten, ja widersprüchlichen Sachlagen zu tun, die eine genauere Betrachtung verdienen.

Ein Beispiel: Der Schlagzeuger Clyde Stubblefield hat auf der Aufnahme von James Browns „Funky Drummer“ gespielt und der entsprechende Part wurde zum meist gesampleten Drumbreak in der Geschichte der Musik. Der Song „Justify My Love“ von Madonna ist einer von Hunderten der ein „Funky Drummer“-Sample verwendet. (8) Clyde Stubblefield hat, abgesehen von seiner Gage, niemals auch nur einen Cent für diesen Umstand bekommen, da James Brown der juristische Urheber ist. Wenn ein(e) Bootlegger_in auf die Idee käme „Justify My Love“ als Grundlage einer Veröffentlichung, zusammen mit – sagen wir – einem Public Enemy-Acappella (9), zu verwenden – das Schreiben eines Abmahnanwalts wäre sicher.

Die Diskussion um das Copyright ist offenbar weniger eine moralisch-kulturelle Grundsatzfrage als vielmehr eine spitzfindige juristische Causa.

Wer sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausreichend juristisch informiert und absichert, hat schnell das Nachsehen. So sahen sich beispielsweise im Herbst 2009 einige Hobby-DJs mit Abmahnungen von Sony, Warner und Universal konfrontiert, weil sie auf ihren Blogs ein kostenloses Mixtape verlinkt haben. Die Kanzlei Rasch verschickte, mit einem Freibrief der Major Labels versehen, überhöhte Kostennoten, die die meist nicht-kommerziell betriebenen Blogs finanziell in die Knie zwangen. Wenn dann ein eigenständiges musikalisches Werk, wie z.B. das Album All Day des amerikanischen Mashup-Künstlers Girl Talk, auf 71 Minuten aus 372 Samples besteht, ist man schnell wieder in der alten Debatte um Original und Imitation. Denn wo hört ein Plagiat auf und wo fängt eine künstlerische Bearbeitung an?

Die Frage nach dem unterschiedlichen Wert von Original und Imitation in den verschiedenen kulturellen Auffassungen stellt sich, da das Konzept des (künstlerischen) Originals, und dessen Schutz durch Copyrights, eine wesentliche Funktion in der, u.a. vom US-amerikanischen Soziologen, Ökonomen und Publizisten Jeremy Jeremy Rifkin in Access skizzierten, „Neuen Ökonomie“ übernimmt.

(Fortsetzung in Part II)

Footnotes:

(1) Künstler_innen, Musiker_innen, Autor_innen, Filmemacher_innen, Journalist_innen, Kurator_innen, Moderator_innen, Cutter_innen, Schauspieler_innen u.v.m
(2) Und einige Künstler, wie z.B. Simon Clayton von The Indelicates, finden das auch gar nicht problematisch: „Ja, es wäre schön von Musik leben zu können. Aber ich glaube nicht, dass man das Recht hat, von irgendetwas leben zu können. Die ersten hundert Jahre hat man in Amerika von der Tranindustrie gelebt. Menschen haben Wale gejagt und Öl daraus gemacht. Dann wurde Erdöl gefunden. Da hat auch niemand gesagt: ‚Die armen Walfänger, die haben doch ein Recht darauf, vom Tran zu leben, wir müssen ein Gesetz gegen das Erdöl erfinden!’“ – Sonja Müller: „Musikindustrie heute – Auferstehung aus Ruinen?“, in OPAK #09 (2011), S. 44
(3) Natürlich spreche ich hier nicht von einer Verschwörung unmoralischer Personen oder Industriezweigen, sondern von strukturellen Entwicklungen. Der Zwang, den die Agent_innen der Kulturindustrie auf die Kulturproduzent_innen ausüben, erscheint ihnen selbst als Sachzwang. (Vgl. auch den Fetischbegriff bei Marx, Das Kapital – Band 1 und Theorien über den Mehrwert III)
(4) Die Begriffe Copyright, Urheber- und Leistungsschutzrecht und verwandte Rechte werden in diesem Artikel, trotz ihrer international und juristisch unterschiedlichen Bedeutungen und Implikationen, unter dem Begriff Copyright subsumiert. Der zu besprechende Gegenstand ist hinreichend abstrakt um für den jeweiligen Einzelfall herleitbar zu sein.
(5) Paraphrasiert nach: Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 10, Frankfurt am Main 1977, S. 242 f.
(6) Georg Seeßlen: „Das 7.000.000-Dollar Mißverständnis“, in konkret 8/2011, S. 43
(7) Byung-Chul Han: Shanzai – Dekonstruktion auf Chinesisch. Berlin: Merve 2011, S. 19 f.
(8) Madonna war sich andererseits nicht zu blöd manipulierte Versionen ihres Albums „American Life“ in P2P-Netzwerke einzuspeisen und ihre Fans mit „What the fuck do you think you’re doing?“ zu beschimpfen.
(9) Public Enemy haben den „Funky Drummer“ mehrmals in einem in vielfacher Hinsicht zwingenderen ästhetischen Zusammenhang gesamplet.

CC-Sampling Plus 1.0

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