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Re: Back to: Intrinsisches Entertainment oder »The Sirenenserver Diaries«

@rumpusQ – 29.03.15 – 00:23 Uhr

Hi!
Ich denke wir nähern uns langsam dem Kern der Angelegenheit. Ein paar deiner Gedanken (»Jede menschliche Kommunikation ist ein Tauschhandel: aufmerksam sein, Aufmerksamkeit erfahren«, »das Internet (ist) ein Kommunikationsnetzwerk (…) in dem (…) Aufmerksamkeit zu einer wichtigen Währung geworden ist«) kamen ja auch bei mir schon implizit vor. Und deine Fragestellung »Kann eine neue Währung auch eine Chance sein? Hat diese Währung die Kraft, das System, in dem sie zirkuliert, neu zu ordnen?« geht genau in die richtige Richtung.

Schön fand ich auch deine Beobachtung, dass »wenn man sein Sein im Netz erst einmal anfängt als ein unternehmerisches zu betrachten: Ja, dann offenbart sich einem plötzlich das ganze Potential des Internets, dann umweht einen dieser Duft des neuen Kontinents, der neuen Welt, der ungeahnten, unendlichen Möglichkeiten.«

Bei mir wurde dieser wohlbekannte Thrill, die euphorische Ich-AGisierung des Netzes, zu dem unangenehmen Gefühl, »dass im Netzwerk keine Menschen zu uns sprechen, sondern Waren auf dem langen Aufstiegsweg zur Star-Ware.«

Bevor wir aber über Lösungsansätze diskutieren, würde ich gerne unsere Abstraktion der hochmotivierten und leistungsbereiten Netz-Unternehmer auf empirische Füße stellen, mit ein paar Kurzbiografien von Menschen die ich persönlich kenne. Die Namen sind abgekürzt und/oder verändert:

The Sirenenserver-Diaries

J. war einer der ersten Menschen mit denen ich das Internet erforscht habe. Damals hießen die Sirenenserver noch sendmoreinfo.com und SaveBySurf (alter Artikel von 1999) und waren plumpe Versuche das Multi-Level-Marketing ins Netz zu bringen.
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Back to: Intrinsisches Entertainment

@subkid – 28.03.15 – 01:43 Uhr

Nabend!
Du wirfst mir augenzwinkernd Eskapismus vor. Aber ist das Eskapismus, der mich in meiner letzten Mail nach Island flüchten lassen wollte? Ich weiß nicht. Nicht nur, vielleicht. Ich glaube einfach nicht mehr an den Sinn des Netzes für mein privates Leben. Beruflich, klar: Mail, WeTransfer, iTunes Store und Avid Knowledge Base will ich nicht mehr missen. Vielleicht vermischen du und Andere auch zu sehr private und berufliche Ansprüche an das Internet. Denn wenn man an dieses nur rein berufliche Anfordungen stellen würde, wäre kaum der Mythos von der neuen, freien, digitalen Gesellschaft entstanden. Ich flüchte also nicht vor einem System das ich ablehne, sondern privat entziehe ich mich diesem System, weil es mir privat kaum etwas bringt.

Aber zu meiner Sicht auf das Internet noch einmal genauer:

Die Möglichkeit des Internets, den Teilnehmern schnellere und direktere Kommunikation zu ermöglichen, will ich ihm ja auch gar nicht absprechen. Kann schon ein toller Nebeneffekt dieses militärischen Verteidigungsnetzwerkes sein. Aber seine Stärken (außerhalb von Verteidigung) hat es bis jetzt nur auf dem ökonomischen Sektor gezeigt.

    – Finanztransaktionen gehen schneller und damit billiger. Was aber auch erhebliche Nachteile haben kann, wie wir z.B. am Flash Crash sehen mussten. Oder an Kreditkartenhacks.

    – Verkäufer können potenziell ohne grosse Kosten Milliarden Konsumenten ansprechen. »The world is flat« und so. Birgt leider die Gefahr der Monopolisierung.

    – Emaildienste und Suchmaschinen stellen ihre Services nur umsonst zur Verfügung, weil sie die Kommunikation für Zielgruppenanalysen verwenden können.

Und, und, und …
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Re: Aw: Re: Sirenen (d.D.f.k.a.: Intrinsisches Entertainment)

@rumpusQ – 27.03.15 – 20:21 Uhr

Hi! und Hmmmm! … Das klingt doch stark nach DQschem Eskapismus – der mir persönlich natürlich sehr sympathisch ist. Bei den meisten Menschen (und bei dir auf jeden Fall) ist Eskapismus ja nur die dialektische Kippfigur von: Ich muss das System/die Menschheit/die Welt retten.
Soll heißen: wenn man so enttäuscht oder genervt von den Umständen (oder den Sirenenservern) ist, dass man nach Island will, dann war einem das Ganze vorher wohl ziemlich wichtig.

Ich denke, dass wir es bei den Sirenenservern mit einem Problem zu tun haben, das überwiegend ökonomischer Natur ist: Wenn es kein Geld (oder keinen geldwerten Informationsvorteil) für Daten gäbe, würde das Datensammeln für viele keinen Sinn ergeben.

Bei den narzisstischen Tendenzen der mitteilungsfreudigen Netzbewohner hingegen handelt es sich um eine Massenpsychose. Und ich kenne keinen psychischen Defekt der dadurch besser wird, dass man ihn durch ein externes Belohnungssystem positiv verstärkt.

Wenn also die Netzbewohner auf Teufel komm raus auf den Sirenenservern teilen, mitteilen und kommentieren müssen, um ihren Teil von Aufmerksamkeitskuchen zu bekommen, dann wäre die Rosskur wohl eine Bestrafung dieser Tätigkeit …
(Als Bestrafung bezeichnet man im Behaviorismus ein Ereignis, bei dem die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens gesenkt wird)
Wenn aber die größten Narzissten das meiste Geld verdienen, dann läuft was falsch.
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Aw: Re: Sirenen (die Debatte formerly known as: Intrinsisches Entertainment)

@subkid – 26.03.15 – 00:23 Uhr

Nabend!
Lösungsvorschläge? Nicht in die Nähe der Sireneninsel fahren. Warum musste Odysseus dort eigentlich hin? Ich habe es jetzt nicht nachgelesen, aber ich gehe davon aus, dass es für Odysseus nur ein unerfreulicher Zwischenstopp auf dem Weg zu seinem entfernteren Ziel war. Und dies kreide ich Vielen an: Dass sie kein entfernteres Ziel haben. Die Sireneninsel ist ihr Ziel, die Aufmerksamkeit wird um ihrer selbst willen gesucht.

Helfen könnte dabei, nicht alles wissen zu wollen, dann muss man nämlich dort auch gar nicht hin. Darum schimpfe ich ja so aufs Ego, auf Narzissmus. Wer gottgleich werden will, klar, der kommt am Sirenenversprechen nicht vorbei.

Da greift deine Theorie der Individualisierung des Menschen, des es »reicht nicht mehr nur über die Runden zu kommen« – wahrscheinlich reicht es doch. Es sei denn, man versteht den Menschen als ein Angehöriger derjenigen Spezies, die den Auftrag bekommen hat alles Andere zu retten. Schau dir Aronofskys »Noah« an: Sein Noah entwickelt ziemlich grössenwahnsinnige Züge …
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Re: Sirenen (die Debatte formerly known as: Intrinsisches Entertainment)

@rumpusQ – 25.03.15 – 12:14 Uhr

Hi!
Diesmal nur 35 Stunden Kontemplation über deine Antwort 🙂
Meine dystopische Vision von solipsistischen Netzteilnehmern die in Spiegelkabinetten fechten ist ja wohl erstmal wieder vom Tisch, oder?
Gut, ich werde vielleicht später nochmal darauf zurückgreifen die Gewalt der Debordschen Philosophie in die Debatte einzubringen. Hätte er sich nicht 1994 das Leben genommen, hätten wir ihn ja vielleicht auch noch als Kolumnist in Paris Match oder als Blogger erlebt …

Aber die Unterthemen

    – Warum machen wir das? (Antwort: Wir sind – aus Gründen – Narzissten und die technische Struktur unterstützt und schmeichelt uns da.)
    – Wer profitiert davon? (Antwort: Die Sirenenserver)

sind fürs Erste abgehakt.

Um deine Fragestellung »Sind die Sirenenserver ein kategorisch neues Phänomen?« (Antwort: Nein!) zu untersuchen, nochmal zurück zur Begriffsklärung:

Aufgetaucht ist der Begriff zuerst in dem Buch Wem gehört die Zukunft? von Jaron Lanier:

»Sirenenserver nennt Lanier die Serverfarmen der Internetunternehmen, da sie – wie die Sirenen bei Odysseus – durchs Netz streifende User durch betörenden Gesang anlocken, um ihre Daten abzugreifen.«

Nun ist Begriffsarbeit nicht wirklich die Stärke des Internetphilosophen, aber wenn er schon Sirenen sagt, dann muss ich doch mal nachgucken, was das genau bedeutet.
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Sirenen (die Debatte formerly known as: Intrinsisches Entertainment)

@subkid – 24.03.15 – 01:12 Uhr

Nabend!
Ok, von der »ernsthaften Geschichtsvermittlung/Legendenbildung« will ich erst einmal Abstand nehmen. Klingt doch sehr pathetisch. Vielleicht schaffe ich es später ja doch noch wieder darauf zurückzukommen …

Für meine Antwort zwei Prämissen vorab:
– Ja, ich akzeptiere den natürlichen Drang des Menschen nach Aufmerksamkeit.
– Ja, ich akzeptiere die Existenz der Sirenenserver.

Aber zu den Sirenenservern will ich fragen:
Ist das etwas Neues? Ich behaupte, dass es das nicht ist. Denn es gab die Sirenen schon immer, nur dass sie damals nicht -server hießen, sondern -verlag oder -rundfunk.

Soviel zu meiner Frage aus der letzten Mail »Warum mache ich jetzt ‚was mit Medien‘, obwohl ich doch eigentlich Regisseur oder Journalist oder Autor werden wollte?«
Wenn man in den Neunzigern das (narzisstische?) Bedürfnis hatte die Gesellschaftsmeinung mitzuprägen, dann musste man zur Zeitung oder zum Fernsehen. Heute gibt es auch den dritten Weg YouTuber zu werden oder Blogger.
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Re: Aw: Re: Intrinsisches Entertainment

@rumpusQ – 18.03.15 – 14:56 Uhr

Hi!
Ich habe versucht deine Gedanken 38 Stunden lang gut abgären zu lassen und ein paar Kernfragen aus deiner Mail herauszudestillieren …

Warum sind wir alle Narzissten? Warum gieren wir alle nach Aufmerksamkeit? Nun, dafür habe ich mehrere Theorien:

Die vulgär-soziologische Erklärung:
Die Menschen unserer Elterngeneration waren Nachkriegskinder. In meinem Falle Kinder von dysfunktionalen, verängstigten Menschen, die z.T. in Kriegsgefangenschaft waren und – wie mein deutscher Opa – 1947 an irgendeinem Provinzbahnhof aus Rußland zurückgekehrt sind (wenn sie Glück hatten). Unsere Eltern (grob zwischen 1940 und 1960 geboren) haben eine Zeit des Aufschwungs erlebt. Eine Zeit eines vorher kaum gekannten Wirtschaftswachstums, in der die persönliche Freiheit und Selbstentfaltung zum ersten Mal seit mindestens 45 Jahren wieder ein Thema war. Eine Zeit in der die Popkultur entstand.
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Aw: Re: Intrinsisches Entertainment

@subkid – 17.03.15 – 00:49 Uhr

Nabend!
Dich davon zu überzeugen, dass du schwarz siehst? Puh, schwere Aufgabe. Aber dagegen argumentieren könnte ich schon. Wie überzeugend es ist, steht auf einem anderen Blatt …

Mein Einstieg: »Schlechte Zeiten für professionelle Storyteller würde ich sagen.«
Ich glaube, diese Folgerung von dir gilt nur, wenn man ernsthafte Wissensvermittlung/Legendenbildung (um in dem von mir gesetzten historischen Kontext zu bleiben) mit den heutigen Aufmerksamkeitsjunkies in einen Pott wirft. Und teilweise macht man es wahrscheinlich sogar richtig, wenn man sie als eine Gruppe betrachtet.

Meine Kritik an dem Aufmerksamkeitsparadigma (»man MUSS liefern«, s.o.) geht nämlich glaube ich stark an das Lager der Professionellen.

Warum machen der Spiegel und die Zeit und die FAZ und die Süddeutsche und arte und und und da überhaupt mit? Weil die youtuber das auch machen? Weil die Jungredakteure, die für die Onlineredaktionen arbeiten eh schon bei twitter und facebook sind?

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»The internet is a failed utopia. And we’re all trapped inside of it. But I’m not willing to give up on it yet. It’s where I first discovered punk rock and anarchism. Where I learned about the I Ching and Albert Camus while downloading “Holiday in Cambodia” at 15kbps.«

Douglas Haddow

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Re: Intrinsisches Entertainment

@rumpusQ – 13.03.15 – 13:12 Uhr

Hi!
Essay über den Wandel der Unterhaltung klingt gut. Spontan fällt mir da schon folgender Titel ein: »Networking, Storytelling, Prosuming und kein Ende?«
– vielleicht ein etwas zu gigantomanisches Framing, aber du weisst ja, bei mir hängt immer alles mit allem zusammen … Trotzdem mal kurz zur Begriffsklärung:

Storytelling deswegen weil dies eine zentrale Kategorie in der menschlichen Kommunikation zu sein scheint. Habe erst kürzlich einen Artikel von so einem Kybernetik-Neuroscience-Zombie gelesen, der mit diesem Foto beginnt:



via
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